Noch drei Wochen bis wir die Leinen los werfen – Zeit also, auch das Thema rund um die medizinische (Notfall-) Versorgung endlich abzuschließen. Da Martin im Gegensatz zu mir, nicht wirklich einen Faible für Medizin hat („…. Ohrr nö, da kann ich echt nicht hinguckn!“ ), war schnell klar, dass ich mich um die Ausstattung der Bordapotheke und des Erste-Hilfe-Koffers kümmern werde. An dieser Stelle möchte ich gleich vorab ein herzliches Dankeschön an Miri und Thoralf für eure ausgiebige Beratung, eure Zeit und Geduld beim Zusammenstellen der Bordapotheke platzieren! Ohne Euch wüste ich z.B. nicht, wie man eine Flexüle ohne Schaden in ein Trinkröhrchen einführt 😉
Vor der Zusammenstellung der Bordapotheke stand eine ausgiebige Web-Recherche. Entsprechende Vorschläge und Listen zu empfohlenen Wirkstoffen und medizinischen Ausrüstungsgegenständen/ Hilfsmitteln finden sich natürlich unzählige im Netz. In Abhängigkeit vom Segelrevier, der Dauer des Törns und der Crew-Stärke sowie dem Alter der Besatzung unterscheiden sich die Empfehlungen selbstverständlich ganz erheblich und reichen von der Minimalausstattung (Schmerzmittel, Pflaster, Verband) bis zur Vollausstattung vergleichbar derer von Lazarett-Schiffen. Bei aller Recherche und Vergleich der unterschiedlichen Empfehlungen landet man früher oder später jedoch fast unausweichlich bei dem Buch „Medizin auf See“, welches sich – wie ich finde – nicht ohne Grund als eine Art Standartwerk für die medizinische Notfallversorgung auch für (Blauwasser-) Segler etabliert hat. Das Buch gibt einen guten Überblick zu möglichen Krankheitsbildern bzw. Unfallsituationen, die Möglichkeiten zur Erstellung einer halbwegs sicheren Diagnose und den anschließenden Behandlungsschritten bzw. anzuwendenden Medikamenten/Wirkstoffen. OK, bei dem Kapitel „Amputationen am Kopf“… whaaat!!! war ich dann auch raus. Dennoch kann ich nur jedem empfehlen, sich das zugegeben umfangreiche Buch in Ruhe einmal durchzulesen, zweimal kann auch nicht schaden. Auch wenn der Aufbau des Buches so gestaltet ist, dass man in einer Unfallsituation schnell eine entsprechende Anleitung zu den notwendigen Behandlungsschritten findet, gebe ich mich nicht der Illusion hin, dass ich mich bei Eintritt einer Notfallsituation erst mal in Ruhe hinsetze und beginne, im Buch das entsprechende Kapitel durch zu arbeiten.
A apropos Illusion: ein Großteil der für Langfahrten empfohlenen Wirkstoffe und Medikamente unterscheidet sich kaum von den Mittelchen, die wahrscheinlich jeder zu Hause hat oder von seinem Arzt irgendwann einmal verschrieben bekam. Dazu zählen u.a. die gängigen Schmerzmittel (ASS, Paracetamol, IBU), Mittel gegen Fieber, Husten, Schnupfen, Allergien, Magen-Darm-Probleme (wie Übelkeit, Erbrechen, Schwindel) sowie Gels und/oder Salben mit zum Teil antiseptischer Wirkung für (stumpfe) Verletzungen, Prellungen, Verbrennungen, Juckreiz. Die Wirkstoffe sind größtenteils bekannt und die Anwendung eigentlich kein Hexenwerk. Anders sieht es bei den verschreibungspflichtigen Medikamenten und vor allem den medizinischen Hilfsmitteln aus. Es versteht sich von selbst, dass die Anwendung von z.B. Antibiotika ohne eine entsprechende medizinische Indikation sowie Beratung vor Ort oder über Seefunk nicht wirklich hilfreich ist. Hat einer der Bordmitglieder eine medizinische Ausbildung, sieht die Sache natürlich anders aus. Zur Behandlung von schwerwiegenden Erkrankungen bzw. massiven Unfallverletzungen ist die Mitnahme von verschiedensten medizinischen Hilfsmitteln notwendig. Diese reichen von Pflastern, Verbänden, Kompressen, Desinfektionsmittel, … (ähnlich wie im KFZ-Sanikasten) über Skalpelle, Einwegspritzen, Klammergerät, Kanülen, Stethoskop, Beatmungsmaske, Nahtmaterial – die Ausrüstungsliste kennt hier wie die Medikamentenliste nach oben ebenfalls fast keine Grenze. Ohne Frage, z.B. Skalpelle und Kanülen/Flexülen stellen weder eine enorme finanzielle Belastung dar oder sprengen sie die maximale Zuladung des Schiffes. Jedoch bezweifle ich, dass ein Laie (wie wir beide) in der Lage wäre, einem verletzten Crewmitglied auf offener See bei Windstärke 5 eine Kanüle zu legen oder eine klaffende Wunde zu vernähen, ohne dabei noch größeren Schaden anzurichten.
Kurz um: für die Zusammenstellung der Bordapotheke sowie des Erste-Hilfe-Koffers habe ich mich weitestgehend an die Empfehlungen meiner Apothekerin Miri und ihrem Arzt-Gatten Thoralf gehalten sowie an den Vorschlägen anderer Langfahrtsegler und der einschlägigen Literatur orientiert. Darüber hinaus habe ich für uns eine Abwägung im Sinne einer Risikoeinschätzung getroffen, die u.a. unserer beiden Krankheitsbilder der letzten Monate/Jahre an Land und auf See, den möglichen Unfall- und Verletzungsquellen auf dem Boot, das zeitliche Verhältnis von „Segeln in Landnähe“ und „Segeln auf offener See“ und nicht zu Letzt der medizinischen Versorgung sowie typischen/möglichen Erkrankungen entlang unserer geplanten Reiseroute, beinhaltet.
Demnach sind wir beide eigentlich kerngesund, haben weder Allergien noch bekannte Unverträglichkeiten oder (chronische) Vorerkrankungen, selbst Seekrankheit ist für uns beide bisher kein Thema. Daher haben wir z.B. auf Medikamente rund um das Thema Herzerkrankungen/Herzrhythmusstörung sowie Medikamente wie Salbutamol- und Asthmasprays, Schlaf- und Beruhigungsmittel verzichtet. Abgesehen von den üblichen saisonalen Erkältungsbeschwerden und kleineren Wehwehchen geht es uns – Gott sei Dank- gesundheitlich sehr gut und wir gehen erst mal davon aus, dass es auch so bleibt.
Das Unfall- und Verletzungsrisiko auf einem Schiff ist dagegen ein komplexeres Thema. Es beginnt bei`m kleinen „Aua“ wie Prellungen, kleine Schnittverletzung, Schiefer eingezogen, Fußzehe eingerannt, Erkältet oder möglicherweise einer leichten Übelkeit und Kopfschmerzen nach einem feucht-fröhlichen Abend mit den Bootsnachbarn. Gravierender und somit auch einschneidender für den Bordalltag, besonders bei kleinen Crews, sind definitiv Unfälle wie Stürze, die Zerrungen, Quetschungen, Luxation, (offene) Brüche oder mögliche Kopfverletzungen nach sich ziehen. Verbrennungen (in der Kombüse oder beim Festhalten einer ausrauschenden Schot, schlimmstenfalls bei Feuer an Bord), Vergiftungen (durch Lebensmittel, Kohlenmonoxid), Übelkeit, Durchfall und Erbrechen mit einer nachfolgenden Dehydrierung, Verletzungen der Augen, Infektionen und nicht zu Letzt Unterkühlung nach einem Sturz von Bord stellen eine ernsthafte Notfallsituation an Bord dar und können im schlimmsten Fall lebensbedrohlich werden. Die notwendigen Behandlungsmaßnahmen richten sich in so einem Fall grundsätzlich nach der Schwere des Krankheitsbildes (ist der Verunfallte ansprechbar, Puls, offene Verletzung, Infektionsrisiko,…) sowie dem aktuellen Standort auf See bzw. der Nähe zur Küste oder anderen Schiffen. Für die beschrieben jedoch unvollständigen und beliebig erweiterbaren Szenarien ist unsere Bordapotheke sowie der Erste-Hilfe-Koffer soweit ausgestattet, dass sowohl eine Notfallversorgung mit medizinischer Unterstützung z.B. über Funk sichergestellt werden kann, als auch den Verunfallten bis zum Eintreffen von Hilfe zu stabilisieren und eine Verschlimmerung des Zustandes verhindert wird. Mehr kann und sollte nach meinem Dafürhalten die Notfallausrüstung nicht leisten, da wir beide (Martin und ich) auf Grund der fehlenden Vorkenntnisse bzw. Erfahrungen ebenfalls zu nicht mehr im Stande wären. Auch wenn die NaCl-Lösung zur Not subkutan verabreicht werden kann, die Gabe von Antibiotika über Funk geklärt, ein verstauchter Fuß oder ein gebrochener Finger an Bord geschient werden kann, gibt es eine Vielzahl von Verletzungen, die wir nicht behandeln im Sinne von (aus)therapieren könnten. Welcher Laie würde es sich auch zutrauen auf einem schaukelnden Schiff eine Schulter einzurenken oder einen Splitter aus dem Auge zu operieren …
Mal abgesehen von den 4 größeren Mehrtages- bzw. Mehrwochen-Schlägen (Kapverden – Karibik, Karibik – Bermudas, Bermudas – Azoren, Azoren – Ärmelkanal) für die wir insgesamt ca. 8,5 – 11 Wochen veranschlagen und den beiden Wochentörns auf die Kanaren sowie die Kap Verden mit jeweils ca. 1 bis maximal 1,5 Wochen Dauer, verläuft unsere Route weitgehend in Küsten- bzw. Inselnähe. Das heißt, von den insgesamt geplanten 13 Monaten werden wir etwa dreiviertel der Zeit nicht weiter als einen Tagestörn (150 sm) vom nächsten Hafen entfernt sein. Dadurch ist es schon verlockend zu sagen: …warum soll man dann eine so umfangreiche Notfallausrüstung dabei haben? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich z.B. eine Bronchitis mitten auf dem Atlantik bekomme oder dass ich mir ausgerechnet in diesen drei von insgesamt 60 Wochen den Arm breche, eine Wurzelentzündung bekomme oder ich von Durchfall und Übelkeit geplagt werde?
Erstens: der Teufel ist ein Eichhörnchen, d.h. sowas passiert immer unerwartet und zur Unzeit!Zweitens: weil das Verletzungs-/Unfallrisiko offshore zwar nicht zwangsweise größer ist als onshore, jedoch die Notwendigkeit auch bei schwierigen Bedingungen mehrere Tage auf See durchzuhalten das Unfallrisiko insgesamt erhöht. Schwere See, möglicherweise Sturm und dadurch bedingten Schlafmangel sowie wenig Zeit zum Essen/Trinken lassen die Konzentration sinken, was wiederum zu Unachtsamkeit und Unfällen führen kann.
Drittens: auch wenn es mittlerweile beeindruckende Rettungs-Szenarien gibt (z.B. die beiden im Atlantik verunfallten Segler, die nach einem Brand an Bord über die amerikanische Coastguard in Zusammenarbeit mit Bremen-Rescue innerhalb eines Tages geborgen werden konnten), kann es im schlimmsten Fall auch mehrere Tage dauern, bis Hilfe eintrifft oder man die nächste Küste erreicht.
Viertens: wie schnell eine bakterielle Infektion und der in diesem Fall nicht ausreichenden/falschen/zu späten Behandlung mit dem richtigen Antibiotika aus einer Mandelentzündung eine Blutvergiftung mit drohendem Organversagen werden kann, hat Martin vor 2 Jahren erfahren müssen. Mehrere Tage abzuwarten, bis man einen Arzt erreicht wäre in so einem Fall nicht nur dämlich sondern grob fahrlässig. Mal abgesehen davon, dass einem z.B. mit einem Harnwegsinfekt so schon der Tag versaut ist…
Fünftens: anders als z.B. die Rettungsinsel oder die EPIRB, die man ehrlich gesagt auch nur dabei hat um sie letztendlich doch nicht verwenden zu müssen, kann die medizinische Notfallausrüstung natürlich auch zur Hilfe bei Notrufen oder Notfällen anderer Segler/Seefahrer dringend benötigt werden. Die Vorstellung, einen Notruf einer Yacht auf dem Atlantik zu erhalten und den Verunfallten/Erkrankten außer mit einem Bärchen-Pflaster und Aspirin nicht wirklich weiterhelfen zu können, ist nicht gerade befriedigend. Man würde es ja selber auch anders erhoffen, wenn ein Notfall eintritt.
Sechstens und Letztens: Die geplante Atlantikrunde führt uns zu großen Teilen durch europäische Gewässer bzw. Küstengebiete. Selbst einige Inseln der Karibik gehören bzw. gehörten als französische oder (ehemalige) niederländische/britische Überseegebiete zu Europa. Um den medizinischen Standard mache ich mir hier keine großen Sorgen. Dazu zählen für mich ebenfalls die Bermudas sowie die Azoren. Der Yachttourismus hat hier in den vergangenen Jahren einen so hohen Stellenwert für die Wirtschaft erreicht, dass ich – trotz einiger belehrender Ermahnungen – davon ausgehe, hier eine ähnlich gute medizinische Versorgung vorzufinden, wie sie in Europa gegeben ist. Anders sieht es da möglicherweise auf den Kap Verden und einigen der kleineren karibischen Inseln aus. Dennoch ist eine eigene umfangreiche Ausstattung mit den verschiedensten Medikamenten/Wirkstoffen durchaus sinnvoll. Nicht weil ich Angst habe, dass ein entsprechend benötigter Wirkstoff gerade nicht vorhanden ist, sondern weil auch diese Dinge erst mal auf die Inseln importiert werden müssen. Für mich ist es einfacher (und auch fairer der Bevölkerung vor Ort gegenüber), wenn ich dem Mediziner vor Ort erkläre, was das Problem ist, was wir selbst dabei haben und er mir die notwendige Behandlung erklärt. Gleiches gilt für medizinische, sterile Hilfsmittel – und ja, vielleicht ist da doch so eine kleine diffuse Angst, dass gerade steril verpackte Dinge wie Kompressen, Spritzen, Skalpelle aus Germany besser sind als die vor Ort … etwas paranoid, ich weiß.
Zum Schluss noch ein Wort zu den Impfungen und Malaria: letztlich muss es jeder für sich selbst entscheiden. Empfohlen wir vom Tropeninstitut bzw. RK-Institut die Impfung gegen Tollwut, Hepatitis, Typhus, Diphtherie und Tetanus. Die Gelbfieberimpfung ist für die Karibik (von Trinidad abgesehen) selbst nicht notwendig. Es kann allerdings zu Problemen bei der Einreise führen, wenn man aus einem Gelb-Fieber-Risikogebiet kommt und keine Impfung nachweisen kann.
Auch für die Malariaprophylaxe gibt es keine eindeutige Empfehlung. Auf unserer Reiseroute liegt kein ausgewiesenes Malaria-Risiko-Gebiet, daher haben wir uns auch gegen eine vorsorgliche Prophylaxe entschieden. Moskitonetze sowie Repellentien (NoBite) sind natürlich dabei.
Eine ausführliche Liste zu den an Bord befindlichen Medikamenten und zur Ausstattung des Erste-Hilfe-Koffers gibt’s im Anhang. Die Hoffnung bleibt, nichts davon in den kommenden Monaten tatsächlich zu benötigen.