Mit der Atlantiküberquerung auf der Passatwindroute steht uns jetzt zum Jahresende die wahrscheinlich längste Etappe der gesamten Runde über den Nordatlantik bevor. Beständige Winde aus NO mit 15 – 25 kn ermöglichen in den meisten Fällen eine entspannte Überfahrt zwischen Dezember und März. Häufig auch als Barfußroute bezeichnet, wird sie von vielen Seglern auf Langfahrt daher als die schönste im Sinne von sorgen-freiste Strecke zwischen Europa und der Karibik beschrieben. Sehnsuchtsroute auf historischen Breiten wenn man so will, denn schon die ersten Seefahrer nutzten genau diese Passatwinde um von Europa aus die neue Welt zu entdecken. Für Blauwasser-Segler ist sie bis heute das Tor zu den Traumrevieren mit so verheißungsvoll klingenden Namen wie Carriacou, Tobago Cays, Barbados, Saba, Virgin Gorda, St. Martin, …
Unsere Atlantiküberquerung wird von Mindelo reichlich 2.200 sm (ca. 3.500 km) bis nach Grenada ganz im Süden der Windward Islands, der „Inseln über dem Wind“, führen. 18 – 24 Tage, so unsere Schätzung, in denen sich unser Bewegungsraum auf die 35 ft von Selene konzentrieren und die gigantische Weite zwischen den Kontinenten mit jedem Tag auf See zu spüren sein wird.
Seetag 1, 30.12.2019
Die Abfahrt haben wir nun schon mehrfach verschoben und das Jahr 2019 hat nur noch wenige Tage, drei um genau zu sein. Also setzen wir den Start endgültig für den 30.12. fest, egal ob mit oder ohne unsere verschollenen Lieferungen. Den Tag gehen wir noch ganz entspannt an und besprechen bei einem für lange Zeit letztem ausgedehnten und üppigen Frühstück, was noch zu tun ist, bevor wir die Leinen los werfen. Martin wird das Ausreiseprozedere bei Polizei und Zoll erledigen, ich werde mich um die letzten Einkäufe wie Obst, Gemüse und Kühlwaren kümmern. Die Wassertanks müssen noch befüllt, der Rest der umfangreichen Einkäufe von gestern verstaut, diverse Ausrüstungen, die wir die nächsten Tage sicher nicht brauchen beräumt und die Heckkoje schaukel-sicher bzw schlaf-tauglich hergerichtet werden. Es ist ganz gut, dass wir beide unsere eigenen To-Do-Listen für heute haben. Ich merke schon am Morgen, heute herrscht eine andere, besondere Stimmung an Bord. Freudige Erwartung vielleicht, Aufregung, etwas Angst oder Sorgen sind fraglos auch dabei. Wir sprechen heute nicht viel miteinander, da sich scheinbar in unser beider Köpfe ein eigenes Gedankenkarussell dreht. Die Verabschiedung von einigen neuen Bekannten erledigen wir gleich über den Tag und fällt damit zum Glück recht kurz aus. Ist uns auch lieber so, denn lange Abschiedsszenen sind nicht unser Ding. Als wir die Maschine starten, stehlen wir uns mehr oder weniger aus der Marina, keiner ist da zum Winken. Aber der gut gelaunte Tankwart, bei dem jeder, der aus Mindelo aufbricht nochmal Halt macht, wünscht uns zum Abschied eine gute Überfahrt. Wir laufen 16:00 Uhr aus und setzen kurz darauf im Canal de Vincente die Segel. Der NO-Passat erfasst uns schnell und wir segeln mit 6 – 6.5 kn in die schon tiefstehende Sonne. Vor uns liegen nun 2.195 Meilen, wenn wir dem Idealkurs in den kommenden 2 ½ Wochen ohne Abweichung folgen können.
Unsere Freude über das rasche Vorankommen hält nicht lange an, mit Einbruch der Nacht lässt der Wind nach. Dafür bleibt uns die Welle erhalten. Stunde um Stunde beschert uns ein umlaufendes Lüftchen Quietschen, Schaukeln und Segelgeklapper. Die erste Nacht bleibt schlaflos. Segel einrollen, ausrollen, Treiben lassen. Mehrmals fährt Selene dem Wind als Kringel hinterher. Sieht so aus als wolle uns der Passatwind noch nicht in die Karibik mitnehmen und uns statt dessen nach Mindelo zurück bringen. Bei 0.5 – 3 kn Fahrt ist der Blick auf die Restfahrzeit frustrierend, TTG 30 Tage.
Seetag 2, 31.12.2019
Der erste Morgen zeigt sich wolkenverhangen und dunstig, vom Sonnenaufgang war leider nichts zu sehen. Immerhin hat sich der Wind grob für eine Richtung entschieden. Mit lauen 4 – 8 kn weht es aus O – NO und wir schaffen knapp 4 kn Fahrt. Die See ist kabbelig und lässt Selene von Zeit zu Zeit wie einen Korken auf dem Wasser hin und her schaukeln. Dazwischen mogelt sich immer wieder eine größere Welle, die an oder über die Bordwand klatscht. Das Schaukeln und Rollen ist anstrengend und geht uns jetzt schon auf die Nerven. Wir hoffen, dass bald die lange gleichmäßig hohe Atlantikdünung einsetzt und etwas Ruhe ins Boot kommt.
Bis zum Nachmittag bleibt es beständig trüb, wie meine Stimmung auch. So richtig weiß ich mit mir und der vielen freien Zeit noch nichts anzufangen. Und so sitze ich stundenlang im Cockpit und schaue aufs Meer. Ein wenig beängstigt mich die Vorstellung schon, in ein paar Tagen tausend Meilen von irgendeiner Küste entfernt zu sein. Martin versucht’s derweil mit Angeln, die Bedingungen sind eigentlich ideal aber auch heute haben wir kein Glück. Schade, gibt’s an Neujahr also doch keinen Fisch.
A apropos: Heute ist ja Silvester! Wobei, ich finde ja auch an Land den Hype um den Jahreswechsel ziemlich blöd, daher bin ich ganz froh, dass wir diesmal auf See sind und keine große Party schmeißen müssen. Nach dem Abendessen schlafe ich schon mal ein, kurz vor Mitternacht bin ich wieder wach. Wir stoßen mit einem Gläschen Wein an, Sekt zu kaufen habe ich total vergessen, 2 Wunderkerzen werden abgebrannt und das war’s dann schon mit großer Sause.
Das Logbuch verzeichnet für heute auch nix aufregendes: Ein paar Delphine, am Abend und eine „spanische Galeere“ (hochtoxische Qualle) gesehen, Maschine für 2 h an, um die Akkus zu laden…
12:00 (UTC+2) 16°39´35 N/25°54´63 W, RNG: 2.133sm, TTG: 28D!
Seetag 3, 01.01.2020
Die Nacht ist ruhig und Leichtwind aus NO schiebt uns beständig nach WSW. Hin und wieder knallt die Genua jedoch mächtig ins Rigg, wenn eine hohe Welle Selenes Heck erwischt und energisch gen Süd dreht. Ich hab trotzdem ganz gut ab 2:00 Uhr geschlafen und übernehme wieder ab 6:00 die Ruderwache. Mit dem Sonnenaufgang setzt dann auch endlich der ersehnte Wind mit 12 -16 kn ein. Dazu eine lange hohe Dünung aus NO und Selene beschleunigt gleich auf mindestens 5 kn. Die Ankunftszeit verkürzt sich schlagartig auf 15 – 17 Tage, gut so! Mittags kämpft sich dann auch die Sonne durch den Wolkenschleier, die Akkus im Boot werden geladen, genauso wie meine. Erstaunlich, wie sich mit aufklarendem Himmel häufig gleich die Stimmung hebt. Dennoch, mir fehlt zu allem die Lust. Zum Lesen fehlt die Konzentration, zum Schreiben die Gelassenheit. Ich bin gleichzeitig aufgeregt, lethargisch, angespannt, müde und mir gehen tausend Dinge durch den Kopf. Vor allem am Abend, wenn es gilt 12 Stunden Dunkelheit abzuwarten bevor mich das Tageslicht wieder etwas ruhiger werden lässt. Dann braut sich ganz unten im Bauch kurz ein panikartiges Gefühl zusammen, wenn ich an die Dimensionen des Meeres und unseres Schiffes, die lange Zeit, meine Erfahrungen und sämtliche Schlechtwettervarianten denke. Martin meint, ich habe zu viele schlechte Filme gesehen. Denn was soll schon passieren! Och, da fällt mir so einiges ein: Segelriss, Mastbruch, Riss der Steuerseile, Schaden am Ruder, Windpilot kaputt, Schaden an der Maschine, Leck im Rumpf, Kollision, Gewitter und Blitzschlag … es wird noch ein bis zwei Tage dauern, bis es aufhört, so in meinem Kopf zu spuken. Und Martin hat ja vollkommen recht. Selene hat schon so einige kritische Situationen überstanden und ist auch nicht auseinander gefallen! Überhaupt scheint sich mein Skipper schon komplett auf dem Atlantik eingerichtet zu haben und ist sichtlich mit sich und der Welt zufrieden.
Dazu trägt sicher auch bei, dass er heute zum ersten Mal Erfolg beim Angeln hatte. Eine leuchtend gelbe Goldmakrele zappelt am Hacken. Leider ist der Matz noch sehr klein (30 cm) und der Haken steckt auch nicht so fest. Glück für ihn, er darf wieder zurück ins Meer. Ein zweiter Biss kurz darauf und Martin hat sichtlich zu tun, die Angel aufzurollen. Aber der scheinbar große Fang schafft es sich loszureißen und Martin steht heute leider doch ohne Pfannen-geeigneten Fang da. Schade, morgen klappt es bestimmt!
Am Abend flaut es wie gewohnt leicht ab, mit schwachem Halbmond und wenigen Sternen geht’s in die Nacht.
12:00 (UTC+2) 15°55´95 N/27°23´19 W, RNG: 2.038sm, TTG: 18D
Seetag 4, 02.01.2020
Heute Nacht bekommt Martin die erste Runde Schlaf, sah ja auch ganz schön fertig aus. Leider muss ich ihn gegen 3:00 Uhr wecken, unsere Akkus sind in kürzester Zeit auf 9.7 V gesunken – gar nicht gut! Obwohl wir mit dem Windgenerator und vier 80 W Solar-Paneelen energietechnisch recht gut ausgerüstet sind, nützt das alles wenig, wenn der Wind nur schwach von Achtern bläst und die Sonne tagsüber wolkenverhangen bleibt. Für 1 h müssen wir dann doch die Maschine laufen lassen. Danach ist Martin „munter“ und ich leg mich schlaflos nieder. Eigentlich könnten wir auch zeitgleich in die Koje, es ist ringsum so wie so nichts los: kein Segler, kein Frachter, kein Tanker, nicht mal Fische oder Vögel.
Der Morgen beginn wie gewohnt trüb und bedeckt. Ich frage mich wann die für den Passat typischen Tupfenwölkchen am klaren, blauen Himmel auftauchen? Sind das überhaupt Wolken? Sieht eher noch nach Harmatan aus, rot-braun-grauer Schleiersand aus der Sahara.
Der Atlantik wogt gemächlich und in langen Wellen aus Nordost, der Passat bläst beständig mit 14 – 18kn. Unsere Geschwindigkeit schwankt dabei zwischen 3.5 – 6.5 kn, die große Genua zieht ganz ordentlich, Kurs 245°. Angestachelt durch seine zwei Bisse gestern, versucht es Martin heute wieder den gesamten Tag mit Angeln. Es werden verschiedene Köder ausprobiert, die zumindest dafür sorgen, dass etwas anbeißt. Leider aber hakt es anscheinend nicht so richtig und so können wir keinen Fang ins Boot holen. Am Abend ist er sichtlich frustriert und für morgen wird der Plan gefasst, richtig große Haken zu probieren. Ansonsten lümmeln wir im Cockpit, lesen, hören Musik, blättern mit aufkeimender Vorfreude die Revierführer der Karibischen Inseln durch und träumen von schaukelfreien Ankerplätzen vor palmenumsäumten Traumstränden.
12:00 (UTC+2) 15°12´87 N/29°18´43 W, RNG: 1.922sm, TTG: 15D
Seetag 5, 03.01.2020
Meine Nachtwache beginnt um 2:00 Uhr und ich schaffe es anfangs auch ganz gut, wach zu bleiben. Irgendwann zieht es mir aber so die Augen zu, dass ich beschließe mich ins Cockpit zu legen und mit Intervall-Schlaf aller 20 min nach dem Recht zu schauen. Klappt ganz gut. Dachte ich zumindest, bis mich Martin um 6:00 Uhr weckt. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal wach war, aber es scheint ja auch nichts passiert zu sein in der Zeit. Wie auch, wir sind hier wahrscheinlich im Umkreis von 100ten Meilen die Einzigsten. Den frühmorgendlichen Kaffee gibt´s dann gleich im Anschluss und Martin will dazu die ersten Angelversuche starten. Dabei findet er einen gar nicht mal so kleinen toten fliegenden Fisch hinterm Steuerrad. Das Frühstück muss also erstmal warten, denn der Fisch scheint ideal, um einen richtig großen Köder daraus zu bauen. Mir ist doch etwas mulmig, als ich die 20cm große Konstruktion mit dem riesigen Haken im Bauch ins Wasser gleiten sehe. Wie war das noch mal: mit großen Ködern fängt man große Fische … wenn ich mir das Ding anschaue, läuft das möglicherweise auf einen Hai hinaus. Vielleicht auch ein großer Thuna oder Schwertfisch…
Keine 15 min später schnurrt die Angel los, ein Fisch! Ein Fisch! Nur was für einer? Martin müht sich erwartungsfroh ab und das Tier am anderen Ende der Leine kämpft nach Kräften um sein Leben. Ich lasse das Segel ein Stück raus damit wir langsamer werden und Martin seinen Fang herankurbeln kann. Leuchtend gelb und wild um sich schlagend kommt eine herrliche Goldmakrele ans Tageslicht. Das 80 cm große Tier heben wir mit dem Köcher an Bord und dann geht alles sehr schnell. Zwei, drei gezielte Schläge aufs Hirn um den Fisch zu betäuben und mit schnellem Schnitt unterhalb der Kiemen den Herzbeutel anstechen. Natürlich ist das keine schöne Aufgabe, ein so prächtiges Tier zu töten, aber auf diese Weiße dauert das Ganze keine Minute und der Fisch muss nicht unnötig leiden. Andere Methoden wie z.B. Alkohol hinter die Kiemen zu kippen sind zwar weniger blutig aber meiner Meinung nach Tierquälerei. Dann lieber blutig und schnell.
Martin ist stolz wie Bolle und der Tag könnte nicht besser beginnen. Den ganzen Vormittag sind wir damit beschäftigt, die Spuren des leider notwendigen „Massakers“ und anschließendem Filetieren im Cockpit zu beseitigen. Auch wenn so ein Fisch nicht wirklich viel Blut hat, ist es trotzdem eine Riesen-Sauerei und nachträglich richtig schwer zu beseitigen. Das Filetieren klappt ganz gut auf dem Sonnendeck und wir können wunderschöne Filets für 4 volle Mahlzeiten aus dem Fisch schneiden. Eine davon gibt es gleich im Anschluss als Ersatz für das ausgefallene Frühstück.
Den restlichen Tag streichen wir zufrieden über unsere gut gefüllten Bäuche und freuen uns über den schönen Tag. Moderater Wind, viel Sonne, ein paar Wolken – perfekte Passat-Wind-Segelei! So kann es die nächsten Wochen weitergehen. Die Vorhersage bestätigt ein stabiles Flautenfeld nord-westlich der Kurslinie. Also setzen wir weiter Kurs WSW. Morgen wollen wir probieren, ob wir Selene mit einem zweiten Vorsegel noch etwas schneller bekommen.
12:00 (UTC+2) 14°48´84 N/31°21´90 W, RNG: 1.801sm, TTG: 13D
Seetag 6, 04.01.2020
Die Nacht verläuft wie schon die vorherigen ereignislos. Kein Schiff zu sehen, weder am Horizont, noch als AIS Signal. Auch die Funke ist seit Tagen still. Aus dem Halb- wird langsam ein schöner Vollmond, jedoch verdecken auch Nachts Schleierwolken den ungetrübten Blick zu den Sternen. Am Wind hat sich seit Tagen kaum etwas verändert. Vor dem Wind geht es bei 10 – 16 kn konstant nach WSW. Da nach der Wettervorschau keine deutliche Änderung zu erwarten ist setzen wir zur Genua noch das Großsegel als Schmetterling. Trotz der hohen Wellen, die das Schiff beständig von Luv auf Lee kippen kann der Steuerherbert (Windpilot) den Kurs problemlos halten. Ab und zu dreht uns eine der urplötzlich heranrauschenden größeren Wellen das Heck über Lee. Ohne den Bullenstander würde das Großsegel mit Wucht auf die andere Seite schlagen. Eine solche Patenthals hat nicht wenigen Yachten den Mast oder Baum gekostet.
Der Tag ist sonnig und warm, von der tropischen Schwüle ist aber noch nichts zu spüren. Was mich ein wenig wundert ist die Wassertemperatur: 27°C, und das im Winter! Ab 26° C steigt die Gefahr, dass sich Hurrikans bilden und diese Temperatur wird normalerweise erst im Sommer erreicht…
Das Flautenfeld haben wir scheinbar ganz gut umsegelt und der Kurs kann so langsam von SW auf West gesteckt werden. Viel weiter südlich sollten wir jetzt nicht mehr laufen. Der achterliche laue Wind und die wenige direkte Sonneneinstrahlung, dazu noch die Kühlbox mit den Makrelen-Filets auf Eis, lassen die Akkuladung zum Abend hin wieder deutlich sinken. So müssen wir nach Einbruch der Dunkelheit und ein weiteres Mal mitten in der Nacht den Perkins für ein Stunde laufen lassen damit wenigstens die Navigationsinstrumente und die Schiffsbeleuchtung betrieben werden können. Am Abend sehen wir kurz eine große Anzahl von Delphinen, die mit hohen wilden Sprüngen über die Wellen fliegen. Scheinen auf der Jagd zu sein und einen Fischschwarm vor sich her zu treiben. Und es gibt einen zweiten Schiffskontakt. Vermutlich ist es das selbe japanische Fischereifahrzeug, welches wir schon vor 2 Tagen gesehen haben. Japan… verrückt … da kommen die bis hier in den Atlantik um zu Fischen…
12:00 (UTC+2) 14°10´38 N/33°08´77 W, RNG: 1.701sm, TTG: 13D
Seetag 7, 05.01.2020
Der „Schmetterling“ ließ sich auch über Nacht gut segeln, obwohl ein wenig mehr Wind aufkommt. Hin und wieder nimmt auch die Wellenhöhe und damit das Schaukeln zu aber der Herbert kann das alles sehr gut aussteuern, noch dazu präziser als von Hand.
Martin hat die erste Nachtwache, ich übernehme dann ab 4:00 Uhr. Die Einteilung erfolgt bei uns nach keinem geregelten Plan, wie das andere Crews machen. Meist ist es nur eine kurze Nachfrage nach „wie müde bist du, soll ich zuerst oder du?“. Die Ablösung erfolgt dann meist genauso aber wenigstens 4 Stunden gönnen wir einander schon bevor gewechselt wird. Mir passt der Rhythmus mittlerweile ganz gut und ich liebe es, morgens die Sonne aufgehen zu sehen. Trotz durchschnittlich 5 – 6 Stunden Schlaf war ich die letzten Tage unglaublich müde. Heute jedoch ist der erste Tag an dem ich mich putzmunter fühle. Keine Spur von der Trägheit, Lustlosigkeit und Lethargie, die seit Tagen wie Blei auf mir liegen. Wahrscheinlich bin ich nun endlich auch richtig auf dem Atlantik angekommen.
Wir stellen die Borduhren ein weiteres Mal eine Stunde zurück, was wir bereits gestern oder vorgestern hätten machen können, da wir schon den 33°W erreicht haben. Mir war heute morgen aufgefallen, dass sie Sonne im Vergleich zu den vorherigen Tagen erst sehr spät aufging. Ein Abgleich mit den Längengraden und der weltweiten Zeitzonenverteilung zeigt, dass wir mittlerweile 2 Stunden hinter der UTC und somit 3 Stunden nach deutscher Zeit leben.
Es gibt einen neuen Satz Wetterdaten für die nächsten beiden Tage und keinen Grund zur Sorge. Am Flautenfeld sind wir vorbei und ab morgen kann mit einer Windstärke mehr gerechnet werden – prima, mit einem Knoten mehr Fahrt könnten wir immerhin ein bis zwei Tage rausfahren. Ich bin aber eher auf die Gesamtwetterlage der nächsten Zeit gespannt. Typischerweise sollten hier kleine Passatwindwolken am Himmel stehen. Bei genügend Verdunstung türmen sich diese dann zu lokalen Starkwind- und Gewitterzellen auf, lassen den Wind auf das Doppelte zunehmen, ergießen sich in ergiebigen Regengüssen und lassen den Wind danach wieder abflauen. Diese sogenannten „Squalls“ flössen mir schon einigen Respekt ein, zumal wenn man sie nicht kommen sieht, z.B. Nachts.
12:00 (UTC+2) 13°20´85 N/35°16´60 W, RNG: 1.570sm, TTG: 10D
Seetag 8, 06.01.2020
Statt wie vorhergesagt abzuflauen, hat der Wind heute Nacht deutlich aufgebriest als ich meine Wache gegen 3 antrete. Zwischen 12 – 18 kn böet es stetig aus NO, die Wellenhöhe steigt. Leider ist es stockfinstere heute Nacht und es wirkt ein wenig gespenstig, wie die Wellen laut heranrauschen und sich mit dem Geheul des Windes vermischen. Wir überlegen noch kurz, das Großsegel zu bergen, entscheiden uns aber, dies bei Tageslicht am Morgen zu erledigen. Selene geigt und rollt jetzt doch sehr heftig. Gegen halb 5 passiert dann, was wir schon befürchtet haben: Eine große Woge drückt Selene weit nach Luv und die einsetzende Böe tut ihr Übriges um das Schiff einmal um 180° gegen die Windrichtung zu drehen.
Mit backstehendem Großsegel schaffen es weder Herbert noch ich das Schiff wieder auf Kurs vor den Wind zu fahren. Martin hat davon gar nix mitbekommen aber er springt sofort aus der Koje, als ich ihn rufe. Wir bergen das Groß und bringen Herbert wieder auf Kurs. Der Terz dauern nur 15 min dann kehrt wieder sowas wie Ruhe ein. Bei 20 kn Wind, in Böen auch mal 25 kn, zieht jetzt nur noch die Genua und wir erreichen durchschnittlich 6.5 kn – nicht schlecht! Es sind auch mal 9 oder 11.5 kn Fahrt kurzzeitig dabei, wenn einer der sich nun aufbauenden „Kawenzmänner“ Selene zum Surfen bringt.
Auch heute wird es nur langsam hell, die Sonne ist erst gegen 8:00 Uhr als milchig trübe Scheibe am Horizont zu erkennen. Später spannt sich über uns ein strahlend blauer Himmel mit einzelnen Tupfen-Wölckchen, rings um uns in alle Himmelsrichtungen diesige Wolkenschleier am Horizont – komisches Wetter! Dazu nimmt die Wärme zu, drückende schwüle Hitze unter Deck. Wir versuchen uns einen entspannten Stunden-Rhythmus beizubehalten und den Tag zu strukturieren. Dazu gehören z.B. so akrobatische Übungen wie Aufwaschen und Essenkochen/Brotbacken, die uns bei der zunehmenden Wellenhöhe mittlerweile einiges an Geschick und Kraft abverlangen. Das Etmal gestern war endlich mal richtig gut: 136 sm, die 140 vllt 50 sm wären noch besser.
12:00 (UTC+2) 12°52´05 N/37°35´63 W, RNG: 1.450sm, TTG: 8D
Seetag 9, 07.01.2020
Um 6:30 wird es erkennbar hell und die lange Nacht weicht endlich dem Tageslicht, aber es ziehen schon früh dicke Regenwolken auf. Somit gibt es auch heute wieder keinen Sonnenaufgang zu bestaunen. In der Nacht sind zwei größere Schauerwolken durchgezogen, ansonsten war nichts los. Bis Mittag bleibt es wie alle Tage bedeckt und diesig, aber die Wolken lösen sich später auf und der Wind nimmt weiter zu. Angesagt sind nur 4 Bft, jetzt bläst es schon mit 20 – 25 kn, in Böen 30kn! Laut Vorhersage soll es zum Abend noch eine Windstärke mehr werden, das würde dann auf 35 kn hinaus laufen – na super!
Kein Schiff, kein Fisch, kein Vogel zu sehen aber jede Menge Algen, die in langen Ketten an der Oberfläche treiben. Könnte zum Problem werden, wenn sich einer der großen Batzen am Strömungsruder des Windpiloten verhängt…
Ansonsten vertreiben wir uns hauptsächlich unter Deck die Zeit: Video schneiden, Bilder aussortieren, durch die umfangreiche Musiksammlung stöbern – Danke noch mal an Thomas, richtig cooler Mix! Bei mittlerweile 6-7 Bft und strahlend blauem Himmel produzieren wir über Wind- und Solaranlage mehr Strom als alle unsere Laptops verbrauchen können. Alles was irgendwie akkubetrieben läuft, wird aufgeladen.
Das Etmal für gestern ist unsere neue Bestmarke: 139 sm, wenn`s so weiter geht brauchen wir ja nur noch 10 Tage!
12:00 (UTC+3) 12°32´37 N/39°53´12 W, RNG: 1.292sm, TTG: 7D
Seetag 10, 08.01.2020 – jetzt geht`s los!
Unser beider Schlaf- und Wachrhythmus haben sich ganz gut eingependelt: Martin übernimmt die erste Nachthälfte ab ca. 22:00 Uhr, Wechsel gegen 2:00 Uhr und ich dann bis zum Sonnenaufgang. Mit dem morgendlichen Kaffee sind wir beide erst mal für ein paar Stunden wach. Wobei Schlaf für keinen richtig erholsam ist. Die Windgeschwindigkeit liegt mittlerweile bei ca. 25 kn (mal 20, mal 30 kn), die Wellen aus NO rauschen deutlich hörbar mit 3 – 4 m von achtern unter Selene durch.
Sonnenaufgang ist heute bereits 6:00 Uhr – wir müssen die Uhren entsprechend der Zeitzonen endlich anpassen. Schön, wenn es endlich hell wird aber die aufziehenden dunklen Regenwolken sehen schon bedrohlich aus und lassen nichts gutes für den Tag ahnen. Wobei viel Wind bedeutet auch viel Geschwindigkeit und heute werden wir wohl schon Bergfest feiern können!
Ab Mittag baut sich mit weiter zunehmendem Wind auch die See deutlich auf. Schwer zu schätzen aber 4 – 5 m, vielleicht auch 6m werden es wohl sicher inzwischen sein. Sind wir für kurze Zeit auf dem Wellenberg, weitet sich der Blick über die aufgewühlte tiefblaue See und das nächste Wellental wirkt erschreckend tief. Dort angekommen ist für einige Sekunden in alle Richtungen wiederum nur eine tiefblaue meterhohe Wand aus Wasser zu sehen. So geht es Stunde um Stunde nach oben und nach unten. Beeindruckend, wie viel Energie das Meer in sich trägt und leicht vorzustellen, was diese Energie mit einem kleinen Bötchen machen könnte. Schaurig schön und faszinierend zugleich, wie die Wellenberge heranrauschen und schäumend und gurgelnd unter Selene unaufhaltsam ostwärts laufen. Mit jeder Woge beschleunigen wir auf 8 – 10 kn obwohl wir nur noch ein winziges Stück der Genua gesetzt haben.
Irgendwie war es klar, dass ausgerechnet an unserem „Point Nemo“, dem Punkt wo wir am weitesten von Land in alle Richtungen entfernt sind, der Atlantik zu neuer Höchstform aufdreht. Die Vorstellung unserer kleinen Selene auf dem riesigen Ozean, hunderte – nein tausend Meilen von irgend einer Küste entfernt als Spielball der aufgewühlten See … besser nicht zu viel darüber nachdenken. Letztendlich sind wir schon 3.500 Meilen gesegelt und haben mit Selene den einen oder anderen Gewittersturm erlebt, ohne dass wir oder das Boot Schaden genommen haben. Da sind sie also wieder: Die seemännische Gelassenheit und das Gottvertrauen, dass alles so kommt wie es kommen soll.
12:00 (UTC+3) 12°38´55 N/42°29´62 W, RNG: 1.139sm, TTG: 7D
Seetag 11, 09.01.2020
Die Nacht wird so anstrengend wie schon der Tag zuvor, körperlich wie auch mental. Selene rollt von Luv auf Lee, 30 – 40° Krängung, dazu die Geräusche der Wellen, des Windes und das Geknarze im Schiff lassen uns beide nicht wirklich zur Ruhe kommen, wenig und unerholsamer Schlaf ist die Folge. Mit jeder Böe von 40 kn giert das Schiff nach Luv und man wartet in „Hab-Acht-Stellung“ darauf, dass Herbert die Böe aussteuert und uns zurück auf Kurs bringt – überhaupt, Herbert ist der beste Mann an Bord. Kaum vorstellbar, wie das Solo-Segler ohne Steueranlage über eine so lange Zeit geschafft haben! Trotz der beständig einfallenden Böen entwickeln auch wir nach einiger Zeit eine Art von stoischer Ruhe und lassen das Wetter einfach über uns ergehen, ändern können wir momentan ja eh nichts.
Der Tag bleibt ansonsten ereignislos, sonnig und drückend heiß. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, versuchen wir etwas Schlaf nachzuholen. Die Sailgribdaten geben leider auch keinen Aufschluss darüber, was diesen unsteten starke Wind verursacht. Irgendwann wird es sich schon wieder beruhigen und, so hoffen wir, mit beständigen 20 kn wehen wie es auf der Passatwindroute eigentlich üblich ist. Vielleicht liegt es aber auch an der aufgeheizten See, 29°C hat der Atlantik nun inzwischen erreicht – viel zu viel für diese Jahreszeit.
12:00 (UTC+3) 12°33´58 N/44°40´12 W, RNG: 1.012sm, TTG: 10D
Seetag 12, 10.01.2020
Endlich, endlich, endlich! Der 12. Seetag beginnt mit einem wunderschönen Sonnenaufgang – der erste auf dem Atlantik! Nur kleine Flöckchenwolken sprenkeln den stahlblauen Himmel. Unser Wunsch nach etwas weniger Wind hat sich zudem über Nacht erfüllt. Die Genua im 1. Reff ausgebaumt ging es zwar nicht ganz so schnell aber dafür recht entspannt (wenn man das bei 25 – 30 kn behaupten kann) durch die Nacht.
Dazu bekommen wir nach den anstrengenden letzten drei Tagen einen bilderbuchmäßigen Segeltag geschenkt, der die Strapazen absolut vergessen lässt. Wir genießen die Sonne auf dem „Sonnendeck“im Cockpit, Lesen, Dösen, hören Musik. Vor allem werden die Reise- und Revierführer für Grenada und die Grenadinen ausgiebig studiert. Es sind zwar noch immer knapp 900 sm!, aber der Landfall und die Vorfreude auf die Karibik steigen jetzt schon täglich, fast stündlich. In weniger als einer Woche könnte es schon geschafft sein – kaum zu glauben!
12:00 (UTC+3) 12°33´56 N/46°49´21 W, RNG: 885sm, TTG: 7D
Seetag 13, 11.01.2020
Nach dem schönen Tag gestern war die Nacht wieder sehr unruhig. Mehrfach ziehen dicke schwere Wolken über uns hinweg, die mit dem Regen Wind bis zu 35 kn bringen. Martin refft die Genua gleich 2x, am Ende steht nur ein kleines Fitzelchen Stoff. Lässt der Wind dann wieder nach, schaukelt und rollt Selene ganz fürchterlich in der See. Erholsamer Schlaf, den wir beide bitter nötig haben, ist auch heute nicht drin. Gegen 2:00 löse ich dann Martin ab und schaue mir die durchziehenden Wolken eine Weile an bevor ich ein Stück ausreffe. Die größten Wolken sind wohl durch für heute, nur ab und an briest es noch etwas auf. Da wir Vollmond haben sind die Wolkentürme schon von Ferne gut zu sehen. Um 7:00 ein herrlicher Sonnenaufgang und der Wind stellt sich bei 18 – 23 kn ein.
Wir reffen aus um schneller zu werden und mehr Segelfläche gegen das Rollen zu setzen. Leider nützt das wenig, denn zur Passatdünung stellt sich eine nervige zweite Welle aus Nord ein, die wahrscheinlich schon 100te Meilen über den Nordatlantik läuft. Von diesen Kreuzseen hatte ich schon gelesen und auch, dass sie einem den letzten Nerv rauben können – wie war! Unter Deck hat’s inzwischen 32°, der Atlantik bietet heute 28° Wassertemperatur. Das Duschen an Deck mit Wasser aus der Pütz stellt bis auf den ersten Schwapp aus dem Eimer auch keine Abkühlung mehr dar. Also scheint das Beste, sich so wenig wie möglich zu bewegen. Wir lungern mal wieder im Cockpit herum und zählen das Auf und Ab der Wellen.
Mich macht das Ganze aber müde, müde, müde. Ich muss mich irgendwie ablenken und auf andere Gedanken bringen – Kuchenbacken z.B. – ich habe was zu tun und Kuchen hebt ja allgemein die Stimmung. Das einfache Rezept entwickelt sich trotzdem zum Balanceakt in der schaukelnden Küche. Am Abend nimmt die Kreuzsee weiter zu. Von Ferne betrachtet sieht Selenes Mast wahrscheinlich wie ein Metronom aus, welches gleichmäßig ein beschwingtes Adagio im Viervierteltakt orchestriert.
Anders als in der ersten Woche nimmt der Wind zum Abend jetzt immer zuverlässig zu, meist eine Windstärke. Wir Reffen diesmal rechtzeitig, bevor die ersten Starkwindfelder durchziehen und sich viel, viel Regen über uns ergießt. Mit dem Vorsegel im 2. Reff rauschen wir bei unbeständigem Wind zwischen 20 -35 kn, durch die Nacht und schaffen durchschnittlich gute 6 kn. Gegen das Schaukeln haben wir jedoch zu wenig Segel gesetzt und so rollen wir beide nacheinander schlafsuchend in der Koje von Luv auf Lee.
12:00 (UTC+3) 12°27´07 N/49°00´21 W, RNG: 757sm, TTG: 4D
Seetag 14, 12.01.2020
Die Nacht bring erneut Wind zwischen 25 – 30 kn, mit jeder Schauerzelle geht es an die 40kn! Dazwischen kurze Leichtwindfelder um die 15 kn. Wirklich keine Bedingungen um zu entspannen, geschweige denn zu schlafen. So geht es den ganzen Tag, wobei nun auch noch die Kreuzsee aus Nord beständig zunimmt. Die Stimmung an Bord ist an einem neuen Tiefpunkt angelangt. Große Wellen von querab gehen regelmäßig über und fluten an die 100 L durchs Cockpit – wird wohl ein Tag ohne viel Frischluft werden und das bei ca. 35°C unter Deck. Keine Lust auf gar nichts. Die Notizen im Logbuch beschränken sich auf ein paar Positionsangaben mit Kurs und Wind, für anderes fehlt mir heute einfach die Lust.
12:00 (UTC+3) 12°21´87 N/51°20´31 W, RNG: 620sm, TTG: 4D
Seetag 15, 13.01.2020
O-Ton Martin: „… ich kann nicht bestätigen, dass die Passatwindroute stetigen Wind mit sich bringt…“, es folgen viele Schimpfworte. Nachts erreichen die Böen erneut 35 – 38 kn, danach fält die Windgeschwindigkeit für ein paar Minuten auf um die 20 kn, für richtig (ausgeschlafene) sportliches Segler die gerne im Minutentakt Reffen perfekte Bedingungen! Uns ko**t es gerade nur noch an!
Mit dem Sonnenaufgang steigt meine bis dahin wirklich sehr miese Stimmung und ich rede mir ein, dass sowohl die Windkapriolen als auch die Kreuzseen nachlassen … war wohl wieder mehr Wunsch als Wirklichkeit. Es bleibt böig, schaukelig und anstrengend wie die Tage davor. Aber die Meilen purzeln: am Morgen sind es weniger als 500 Meilen, TTG zur Zeit nur noch 3 Tage! Und es gibt den ersten Schiffskontakt seit mehr als 10 Tagen – wir sind also doch nicht ganz alleine hier draußen.
Zum Abend kommt mit Einsetzen der Dunkelheit wie gehabt eine Windstärke dazu. Wir nehmen das inzwischen regungslos zur Kenntnis. Um uns Abzulenken und an was Schönes zu denken blättern wir nach dem wiedermal sehr experimentellen Abendessen (richtig Kochen ist seit Tagen nicht möglich) zum X-ten Mal im Revierführer „Windward Islands“ von Chris Doyle. Dabei stellen wir und bildreich den ersehnten Landfall vor, träumen von Ruhe, vom Baden, von türkisblauem Wasser und palmengesäumten goldenen Sandstränden … ach und Ruhe, Ruhe, Ruhe – und Schlafen!
12:00 (UTC+4) 12°20´65 N/53°50´56 W, RNG: 473sm, TTG: 3D
Seetag 16, 14.01.2020
Ich hab´s so satt, bin so so müde! Das Geschaukel raubt mir den letzten Nerv. Wenn es wenigstens gleichmäßig von Luv auf Lee rollen würde, mit gleichmäßigem Ausschlag. Die Kreuzsee aus Nord und die Passatwelle aus Ost scheinen inzwischen einen Wettkampf auszutragen, wer das Schiff mehr in Bewegung bringen kann. Dazu immer wieder Regenzellen, die Starkwind von 35 – 40 kn bringen. Trotz 5 Stunden in der Koje bin ich danach müder als zuvor.
Seit 4 Tagen bzw. 4 Nächten geht das jetzt so – im schlimmsten Fall noch 3 weitere.
Der Tag selbst ist dann wieder sonnig und schwül heiß, unter Deck steht die Luft. Würden wir die Decksluken nur einen Spalt öffnen, hätten wir sicher nach wenigen Minuten mehrere Liter Wasser im Schiff. Die Wellen erreichen jetzt fast die Höhe von Tag 9 und 10 aber so wirklich beeindruckt uns das auch nicht mehr. Der Schlafmangel bringt wohl auch eine Art schicksalsergebene Lethargie mit sich.
12:00 (UTC+4) 12°13´41 N/56°03´13 W, RNG: 343sm, TTG: 2D
Seetag 17, 15.01.2020
Juhu, Land in Sicht! … naja, nicht wirklich. Aber als ich am Kartenplotter eine Stufe herauszoome sind Barbados, Trinidad und Grenada schon recht groß zu sehen, ein fettes Grinsen steht mir von da an im Gesicht. Als ich gegen 3:00 Uhr meine Wache antrete sind es noch knapp 250 Meilen – für uns fühlt sich das mittlerweile wie ein Kurzausflug an. Die Nacht war wie die Nächte vorher, böiger Wind mit bis zu 38 kn, Kreuzseen. Es nervt noch immer unbeschreiblich aber der bevorstehende Landfall lassen keine bzw. kaum mehr schlechte Stimmung aufkommen.
Ich bzw. wir hatten ein wenig darauf gehofft, zum Ende unserer Atlantikpassage vielleicht nochmal ein- oder zwei schöne sonnige und entspannte Tage auf See genießen zu können. Leider sieht es so gar nicht danach aus. Die Sonne bleibt fast den gesamten Tag hinter dichten Schleierwolken verborgen, trotzdem ist es wieder drückend heiß – die Tropen grüßen. Aber der Wind scheint sich auf angenehme 20 – 25 kn einzupendeln … wenigstens etwas.
Und wir empfangen bereits die ersten karibischen Radiosender, zwar noch reichlich unscharf aber das aufgeregte fröhliche Gequassel und die karibischen Klänge stimmen uns mit jeder Meile auf das Inselparadies ein. Grenada, wir kommen!
12:00 (UTC+4) 12°06´91 N/58°16´58 W, RNG: 212sm, TTG: 1 – 2D
Letzter Seetag, 16.01.2020 – fast geschafft:
Obwohl Martin erst seit reichlich 3 Stunden schläft wecke ich ihn trotzdem kurz vor Sonnenaufgang, vielleicht möchte er das letzte Mal auf der Atlantikpassage den Tag mit mir begrüßen. Und heute lohnt es sich tatsächlich noch einmal. Strahlend schön und gleißend hell schickt die Sonne ihre Strahlen über’s Wasser. Das Licht bricht sich für einen kurzen Moment in den spitzen Wellenkämmen, die dann in allen Farben leuchten.
Als hätte Neptun doch ein großes Herz und ein Einsehen mit uns, bekommen wir zum Ende der Reise einen traumhaften letzten Segeltag geschenkt. Der Wind bleibt ganz konstant bei 20 kn, die Genua könne wir wieder voll setzen ohne Angst zu haben, in den nächsten 2 Minuten auf Reff 2 gehen zu müssen. Ich habe das Gefühl, auch die Welle nimmt ab. Oder es ist mir auf Grund der Vorfreude inzwischen egal wie sehr es schaukelt. Wir genießen den sonnigen Tag endlich mal wieder in vollen Zügen im Cockpit und reden uns den Mund fusselig, wie wohl der Landfall sein wird. Dass wir wie erwartet mitten in der Nacht ankommen, ist uns inzwischen klar. Aber deswegen langsamer zu segeln um bei Tageslicht die Prickley Bay zu erreichen, ist auch keine Option, wir wollen endlich ankommen. Laut Revierführer ist die Prickley Bay auch Nachts gut anzusteuern, da ein betonnter Kanal durch das Ankerfeld bis zur Marina führt. Es sind zwei Riffe in der Bucht verzeichnet, doch ansonsten bietet die Bay genug Wassertiefe nach allen Seiten und sehr guten Ankergrund.
Gegen 21:00 Uhr sind die ersten Anzeichen der Insel am Nachthimmel zu erkennen, ein heller Bogen leuchtet im Westen über der schwarzen Landmassen. Kurz darauf sind die ersten einzelnen Lichter zu erkennen, größere Siedlungen, Städte und die wegweisenden Leuchtfeuer. Schwer zu beschreiben, wie viele Gefühle und Gedanken mir/uns in diesen Minuten durch den Kopf gehen – unbeschreiblich, wir haben es tatsächlich geschafft!
Entlang der zerklüfteten und von mehreren Buchten eingeschnittenen Südküste fällt die Orientierung dann doch erheblich schwerer. Die wenigen Leuchtfeuer und Fahrwassertonnen sind zum Teil so schwach und gegen die vielen Lichter an Land nur schwer auszumachen. Dazu scheinen nicht alle in den Seekarten verzeichneten Befeuerungen auch tatsächlich zu existieren oder zu funktionieren. Also wird die Anfahrt mehr oder weniger ein Blindflug mit absolutem Vertrauen auf das GPS. Zum Glück geht just in dem Moment als wir in die weitläufige Prickley Bay einbiegen der Mond auf und erhellt die Ankerbucht. Schock-Schwere-Not … hier liegen ja mehr als 100 Yachten vor Anker und nicht wenige ohne Ankerlicht. Dazu ist von der Fahrwasserbetonnung lediglich eine grüne Spiere zu erkennen, rote gibt es offensichtlich gar nicht. Die Yachten liegen kreuz und quer, auch da wo eigentlich die Einfahrt zur Marina markiert sein soll. Und so bahnen wir uns still und leise unseren Weg durch das geisterhaft stille Ankerfeld bis zu der Position, wo wir die Steganlage vermuten. Natürlich ist alles zum Festmachen vorbereitet: Leinen, Fender, Bootshaken. Jedoch müssen wir kurz darauf feststellen: Es gibt gar keine Marina im gewohnten Sinn, lediglich ein Bojenfeld.
Der einzige yachttaugliche Steg mit Wasser- und Stromanschluss ist „privat property“ und der zweite, kleinere ist ganz offensichtlich nur für Dinghys geeignet. Na gut, auch egal. Eine Mooringboje sehr dicht am Ufer ist noch frei, beherzt gewendet, nochmal angefahren, Leine durchfädeln, belegen und fertig. Maschine aus. Himmlische Ruhe, tausend Sterne über uns, keine Welle mehr – ich kann’s nicht glauben!
Ein Wermutstropfen bleibt: wie schön es hier ist können wir heute Nacht leider nicht sehen. Aber dafür werden wir am nächsten Morgen mit der ganzen Schönheit der Bucht belohnt. Den erste Kaffee in der Karibik genießen wir anfangs noch wortlos und lassen die Szenerie auf uns wirken. Erst langsam sickert bei uns beiden durch, dass wir tatsächlich angekommen sind. Wir lassen den Blick um uns schweifen und sind uns einig, dass sich jede der 2.240 Meilen und jede Minute der insgesamt 17 Tage und 15 Stunden der Überfahrt mehr als gelohnt haben um das hier zu sehen und vor allem zu wissen, dass wir es zu zweit gemeistert haben!
Ach ja, jetzt wissen wir auch, warum die Passage Barfußroute heißt: 3 Paar FlipFlops sind draufgegangen …
Und nun zum Video … über 2 Stunden ist es lang geworden! Viel Spaß beim schauen:
Super interessante Berichte!
Vielen Dank für diese tollen Einträge!
Ich plane selbst eine Atlantiküberquerung im Mai und so bin ich auf diesen Blog gestoßen. Bin schon richtig gespannt wie es uns so ergehen wird.
Liebe Grüße Martin!
http://www.skipper-martin.com
Moin Ihr Beide
Auch von uns einen herzlichen Glückwunsch zu Eurer erfolgreichen, aber mitunter anstrengenden, Überquerung des Atlantiks. Das war wirklich ein schneller Törn mit der kleinen Selene. Wir mögen Eure authentischen Berichte und tollen Videos. Viel Spass in der Karibik und eine gute Weiterfahrt,wünscht die Crew der Ückermünder „Nautilus“ Ricarda &Thorsten
Toll! Herzlichen Glückwunsch zur bewältigten Überfahrt, feiner Bericht. Heute Abend schau ich das Video, besten Dank!
Nochmal Hallo,
Was ich oben ganz vergessen habe: Also eine Ente, Rotkohl und selbstgemachte Knödel auf dem Schiff zu kochen – ganz grosse Hochachtung! Von dem selbstgebackenen Brot war ich ebenfalls schwer beeindruckt. Einfach genial
Gruss Gisela
Liebe Claudia. Glückwunsch!!
Ich begleite euch von Anfang an und bin immer wieder begeistert. Faszinierende Bilder und tolle, lebendige Berichte… gesehen und gelesen aus sicherer Couch-Perspektive, wo nix schaukelt ???? .
Weiterhin viele schöne Erlebnisse. Möge Neptun euch wohlgesonnen sein.
Elke (aus dem Dresdner Büro)
Liebe Elke!
Bitte entschuldige, dass unsere Antwort so lange hat auf sich warten lassen! Auch wenn wir im Dauet-Urlaubs-modus sind, sind die Tage doch voll mit Eindrücken, Erlebnissen und Tagesaufgaben, dass die Zeit wie im Flug vergeht.
Ich habe mich ehrlich riesig gefreut, von einer Kollegin aus DD nach so langer Zeit zu hören, noch dazu von dir, da wir beide nicht so viel Kontakt miteinander hatten! Danke dafür und herzlichen Dank für die Glückwünsche zur Überfahrt, es war tatsächlich ein hartes Stück Arbeit was sich aber voll und ganz ausgezahlt hat.
Es freut mich und Martin immer wieder, wenn wir das Gefühl haben, durch unsere Berichte ein wenig Fernweh und Reiselust zu wecken. In diesem Sinne wünsche ich dir noch viel Freude beim Stöbern in den kommenden Berichten.
Herzliche Grüße aus dem immer sonnigen Karibik-Traum, halt die Ohren steif, in DD scheint ja einiges in Bewegung zu sein ????
Viele Grüße von der SV Selene
Claudia & Martin
Hallo ihr Beiden,
wieder ein wunderschöner Bericht (Claudi, du solltest den Beruf wechseln!), es ist so schön mit euch reisen zu können. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, weil so lange keine Nachricht mehr gekommen war und habe mich dann bei Uta nach eurer Position erkundigt – alles in Ordnung! – und war beruhigt.
Leider kann ich eure Route nicht mehr auf dem VesselFinder (MMSI 211757050) verfolgen, das letzte Signal ist vom 19. November 19, 9.12h. Habt ihr eine Erklärung dafür?
Geniesst die Tage mit Uta, sie hat ja bei unseren stürmischen Bootsfahrten in Neuseeland schon bewiesen, dass sie seefest ist.
Liebe Grüsse Gisela
Ich bin schwer beeindruckt ????????????
Ein tolles Video einer aufregenden Überfahrt.
Genießt die Karibik und vielen Dank, dass ihr uns auf diese Reise mitnehmt.
Schöne Grüße Christian
PS: welches mein Lieblingsbild dieser Etappe ist, dürfte klar sein ????
Ja sicher das mit dem Fischie und den Messern von Dir 😉 Das war aber auch lecker!
Hallo Skipper und First Officer,
Was für ein Ritt. Gelesen habe ich im Netz schon viel über Atlantiksegeln, aber wenn man es dank eurem fleißigen Reporting detailgetreu miterleben darf, ist es noch etwas ganz anderes! Schön, dass ihr es trotz aller Strapazen, hohen Wellen, auch verständlicher Langeweile gut geschafft habt. Nun wünsche ich euch ganz tolle karibische Insel- und Segelabenteuer. Darauf einen Rumpunsch!
Danke für eure Mühe beim Filmen, fotografieren, schneiden und die lebendigen Kommentare, bei denen man sich mittendrin im Geschehen wähnt.
PS ich wundere mich etwas, dass nur so wenige User ein Feedback geben…???? Sinkt das Interesse an eurem Törn mit der Zeit? Haben auch andere Segler diese Erfahrung gemacht?
Ahoi Uta
Herzlichen Glückwunsch!
Habe den langen Eintrag voller Freude und pochendem Herzen gelesen. Weiterhin gute Reise!
Grüße von der OE414
Hallo Sebastian, das ist aber schön von der 414 mal was zu lesen 😉 Ist denn meine Karte letztes Jahr angekommen?
Ich hoffe Euch gehts gut und die „Bude“ läuft?
Hallo Claudia und Martin,
mit Freude und Begeisterung folge ich eurer Reise. Ihr habt genug mit euch und der Umwelt zu tun und trotzdem bringt ihr solch einen großartigen Bericht mit sehr, sehr viel Arbeit. Danke dafür!
Ich verfolge eure Reise mit besonderem Interesse. Vor rund fünfzig Jahren habe ich als Landratte ohne jegliche Erfahrung eine ähnliche Reise als Koch und Steuermann auf einem ehemaligen Rostocker Fischtrawler mit einem Freund, der war der Kapitän, gemacht. Unsere Mannschaft bestand aus fünf Laien und dem „Kapitän“.
Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Dunkelheit erlebt, ich habe zum ersten Mal Leben erlebt. Diese Reise hat mein weiteres Leben geprägt. Leben um zu leben. Seit dieser Zeit weiß ich auch, dass es haushohe Wellen gibt. Immer 273 Grad von Neapel bis Nassau. Ich habe erfahren, dass ein Ostseeschiff genau die verkehrte Länge für den Atlantik hat. Es fuhr oft als U-Boot.
Der Kapitän genau so einer, wie Du, Martin. Da wurde die Position noch mit einem Sextanten ermittelt. Und Wetterberichte gab es für uns damals nicht.
Meine Frau hat gestern Abend staunend zugeschaut, wie Du, Claudia, einen Brotteig geknetet hast und eure Esskultur bewundert.
Passt gut aufeinander auf!
Karl und Janny
Hallo Karl, ja in der Zeit vor GSP war sowas sicher noch mal ne ganz andere Hausnummer.
Wobei Selene in La Rochelle hergestellt wurde und die Hochseeversion des Bootstyps ist. Immerhin liegt das Ballastverhältnis bei gut 50%.
Aber nun ist alles gut, wier liegen gerade in Grenada vor Anker und es gibt gleich Abendessen 😉
Bin schon sehr auf die nächsten Inseln gespannt!
Gruß aus der Karibik
Hallo Claudi Hallo Martin
Chapeau. Chapeau Chapeau
Dies erstmals zu erst
Ich bin Ingolf , der Skipper von der HR „VIRGIN „ Nachbar aus Ueckermünde
Ihr habt mir auf Eurer Abschiedsfete im August ein Bier spendiert,
Ich habe viele Eurer Interessanten Berichte und Videos verfolgt und ich bin beeindruckt . Ich hätte mich gerne schon eher gemeldet‘ aber ich bin Ja so schreibfaul.
Nun muss ich Euch aber zu Eurem Erfolg gratulieren und wünsche Euch noch viele schöne Stunden in der Karibik.
Wenn Ihr Hilfe braucht, Biete ich mich an. Sagt nur was ich tun kann
Auf Jeden Fall lade ich Euch mal in Ue‘de mal ein
Also Mast und Schotbruch sowie eine Hanbreit Wasser unterm Kiel
Ingolf Otto
Hallo Ingolf, natürlich erinnern wir uns an dich, wie du mitten in der Nacht noch in UEM angelegt hast. Und natürlich, daß sich eine Blinddarmentzündung auch via Antibiotika heilen lässt.
War ein schöner Abend – wenn wir zurück sind gibts auch eine Wiedersehensfeier!
Großen Respekt, liebe Nachbarn! Großen, großen Respekt! Micha Schubert
Moin Micha,
danke danke 😉
Oh je, das war eine aufregende Zeit für euch. Der Bericht und das Video waren spannender als jeder Krimi. Die Rückfahrt kann nur besser werden. Euch kann nichts mehr erschrecken.
Ihr habt es GESCHAFFT!!!!!!! Herzlichen Glückwunsch.
Der Riesenfisch war super. Hoffentlich habt ihr inzwischen den fehlenden Schlaf nachholen können.
Jetzt wünsche ich euch eine wunderschöne Zeit mit Uta.
Liebe Grüße Evi