Von Horta/Faial nach Roscoff/Frankreich

Es geht nahtlos weiter mit Arbeiten am Schiff. Ich hatte zwar drei Ladungen Wäsche per Hand gewaschen, aber die großen Dinge, wie Decken und Bettbezüge waren dann doch zu anstrengend. Damit war es Zeit mal den Laundry-Service (Wäscheservice) auszuprobieren. Die nette Dame sagte mir, ich solle meine Wäsche abstellen und warten. Wie ich es aus Europa gewohnt bin, wird die Wäsche mit modernen Miele Maschinen gewaschen, die eine automatische Waschmitteldosierungen haben und sogar mit warmen Wasser betrieben werden. Das Füllen der Maschine muß man selbst machen, dann hat man etwa eine Stunde Zeit, bis alles fertig ist. Da ist es praktisch, daß es gleich neben dem Waschraum eine kleine Bar gibt. Kostenmäßig liegt man bei 10 € für alles, was ich jetzt nicht zu übertrieben finde. Dafür bekommt man endlich wieder mal saubere Wäsche, die auch wirklich sauber ist und auch so riecht.

Wieder auf dem Boot kommt mir die Idee, auch mal wieder die Bezüge meiner Polster im Boot zu waschen. Wir hatten das seinerzeit das letzte mal noch in Deutschland gemacht und, naja – ich sage mal so: Die Bezüge wurden in der Karibik ordentlich durchgeschwitzt. Es ist wirklich verblüffend, was für ein Berg Bezüge man bekommt, wenn man mal alle abzieht. Selene ist 35 Fuß lang und hat viele Polster. Im Bug 5, in der Achterkabine 2 sehr große und im Salon sage und schreibe 15 Stück. So bin ich die nächsten 2 Tage damit beschäftigt diesen Berg mit 2 Waschgängen abzuarbeiten. Der Lohn dafür ist, daß man sich gern wieder im Salon hinsetzt und das ganze Boot angenehm frisch duftet.

Leider war uns seinerzeit bei einem Kissen im Bug der Reißverschluss kaputt gegangen und wurde nie repariert. Wobei das Ding sowieso an der falschen Seite war. Der Schaumstoffkern ist trapezförmig, extrem wiederporstig und der Reißverschluss vom Überzug ist an der kurzen Seite. Ich entschließe mich kurzerhand „mal schnell“ einen neuen zu besorgen. Letztendlich muß ich dafür durch halb Horta laufen, um die 20 Leute fragen und brauche für das Unterfangen gut 2 Stunden. Da ich mittlerweile BFF (best friends forever) mit meiner Nähmaschine bin, ist der Bezug auch recht schnell geändert.

So vergeht der 30. Juni wie im Flug und ich springe gegen 16 Uhr ins Auto, um zum Flughafen zu fahren. 16:30 Uhr soll die Maschine landen, die meinen neuen Mitsegler vorbei bringt. Es ist schon interessant, wie der kleine Airbus A320 auf die Bremse drücken muß, um auf der kurzen Landebahn zum stehen zu kommen. Der Flughafen ist normalerweise völlig ruhig und man hört überall die Vögel zwitschern. Ist ein Flugzeug da, erweckt alles für eine gute Stunde zum Leben und etliche Fahrzeuge mit unterschiedlichen Funktionen wuseln um die Maschine herum, wie in einem Bienenstamm die Arbeiter um die Königin.

Aber dann ist er da – mein neuer Begleiter: Hendrik, aka „Henne“.

Als Willkommensgruß darf er gleich die letzte Aufgabe erledigen, nach der ich Selene als abfahrbereit einstufen würde. Das wäre die Kontrolle der Beschläge vom Rigg. Unten ist das recht einfach und schnell erledigt, aber für den Rest muß „jemand“ in den Mast klettern. Da Henne selbst klettert ist er natürlich an meinem Steigsystem interessiert und möchte es ausprobieren. Damit ich auch etwas sehe, macht er von allen Beschlägen Fotos. Resultat: Keine Risse, keine gebrochenen Kardele.

Henne hat auch ein neues Display für meinen Thinkpad dabei. Der Austausch ist bei Lenovo sehr einfach und schnell erledigt. Leider ist das Display defekt. Das werde ich wohl wieder mir nach Hause nehmen und dann reklamieren müssen :/

Am Rande möchte ich auch noch erwähnen, daß wir das Bild von Guido Dwersteg auf der Kaimauer gefunden haben. Ich musste dazu in seinen Videos etwas suchen, daber da ist es:

Leider kann man kaum noch etwas erkennen. Lustigerweise liegt das selbe Motorboot immer noch genau an dieser Stelle.

Quelle: Guido Dwersteg „Einhand um den Atlantik“
Quelle: Guido Dwersteg „Einhand um den Atlantik“

Da Henne manchmal seekrank wird, haben wir uns überlegt erst mal eine Kurzstrecke in Angriff zu nehmen. Das wäre Ponta Del Garda auf der Insel Sao Miguel. Mit 150 Meilen sollte das maximal ein 1,5 Tage Trip werden. Der Wind weht Raum (also von hinten) und recht schwach. Nach ein paar Meilen verlassen wir die Dustglocke, die über Faial und dem Pico hängt und die Sonne lässt sich wieder mal blicken.

So fährt Selene in die erste Nacht. Gegen Abend wird es recht frisch und nebelig, wodurch sich überall Wasser niederschlägt. So richtig Bordalltag stellt sich auf der Fahrt noch nicht ein. Dafür ist die Strecke einfach viel zu kurz. Da uns der Wind etwa 15 Meilen vor Sao Miguel einschläft, fahren wir die letzten Meilen langsam unter Maschine.

Den Landfall bei Tag schaffen wir sowieso nicht mehr. Nachdem das Boot noch auf See zum Anlegen klar gemacht wurde, fahren wir langsam in den riesigen Hafen. Die Einfahrt zum alten Yachthafen wird von uns beiden gekonnt übersehen und somit landen wir direkt im neuen und größeren Hafen. Da kein Wind weht und ich mir nicht sicher bin, wie die Corona Regeln hier genau funktionieren, halte ich etwas Ausschau, ob nicht irgendwo jemand winkt oder mit der Taschenlampe leuchtet. Und genau so ist es. Ein Wachmann steht mit seiner Handylampe fuchtelnd am Steg. Wir legen schnell an und er fragt uns in seinem sehr schlechten Englisch, wo wir herkommen. Ach so – Faial – dann könnt ihr im Hafen anlegen (frei übersetzt). Auf meine Frage, wo ich hin soll, zeigt er zu den anderen Booten und sagt irgendetwas von einer anderen Seite, gefolgt von „My english sucks“ – haha. Ich sage ihm, daß ich schon einen Platz finden werde, was dann auch recht schnell erledigt war. Das Anlegebier wird gegen 00:30 Uhr geöffnet.

Am nächsten Tag kommt natürlich erst mal wie Pflicht: Das Hafenamt. Laut meinen Unterlagen soll ab 13 Uhr geöffnet sein. Laut Internet 13:30. Das Gebäude ist wie ausgestorben, aber ich finde einen netten Beamten im Pausenraum. Der sagt mir 14 Uhr 😉 Gegen 14:10 kommt dann auch ein Herr, bei dem sich herausstellt, daß er der Hafenmeister ist. Man kennt mich schon, denn als ich sage „Selene“, sagt er: Mr. Martin Küttner und Mr. Hendrik R. Ich bin über den Datenaustausch erst mal verblüfft und ganz froh, daß ich nicht schon wieder seitenweise Formulare ausfüllen muß. Ich nehme den Liegeplatz für 3 Tage, was etwa 35 € kostet. Dann geht es noch zur Policia Maritima, wo der Beamte unsere Pässe und mein Schiffszertifikat mit seinen Unterlagen abgleicht. Danach noch zum Immigrationsbeamten, der aber nur einen kurzen Blick in unsere Pässe wirft. Über Corona und PCR Test verliert niemand ein Wort. Wenn man sich die Maske weg denkt, ist alles wieder so, wie vor Corona.

Danach geht es erst mal zu Fuß in die Stadt. Ponta Del Garda ist mit ca. 170000 Einwohnern die Hauptstadt der Azoren und damit dementsprechend wuselig. Wie auch in Portugal liebt man hier Fließen und verzierte Gehwege. Die Leute sind entspannt und die Cafés laden zum verweilen ein. Man merkt eigentlich nur, daß etwas anders ist, wenn man die massiv breiten Gehwege und Uferpromenaden betrachtet. Vermutlich wäre es hier genau so überlaufen, wie als wir seinerzeit in Porto waren. Jetzt laufen zwar einige Leute herum, aber bei weiten nicht so viele, wie man eigentlich denken würde. Vielleicht liegt es auch daran, daß die Azoren zu der Zeit noch als Ultra-hoch-Varianten-Corona-Gefahrengebiet deklariert waren.

Die Marina ist mit gut 640 Liegeplätzen recht groß und modern angelegt. Da es praktisch keine Charter gibt und die meisten Transatlantiksegler nur über Faial fahren, sind sehr viele Liegeplätze frei. Ähnlich wie in Europa hat sich auch hier eingebürgert, daß man sich einfach einen Liegeplatz sucht und dann zum Hafenmeister geht. Rote oder grüne Schilder gibt es nicht, also sucht man sich einfach irgend einen Platz, wo keine Leinen oder ähnliches liegen, was auf einen Dauerliegeplatz hinweisen könnte.

Mit einem Aufenthalt von nur drei Tagen ist es mit Sightseeing recht knapp und wir entscheiden uns ein Auto zu mieten. Das stellt sich als gar nicht so einfach heraus, denn die paar Touristen scheinen sich alle ein Auto mieten zu wollen. Das ist auch verständlich, denn würde man die Tour mit einem Guide/Taxi machen, müsste man die ganze Zeit eine Maske tragen.

Im Video gibt es ein paar Impressionen von Sao Miguel zu sehen. Die Insel ist, wie Faial, total grün und wunderschön. An den Aussichtspunkten trifft man regelmäßig andere Mietwagenfahrer – schon lustig. Die Straßen sind oft gesäumt von bunt blühenden Begonien, die ihre handgroßen Blüten an mannshohen Büschen tragen. Im Landesinneren besuchen wir zwei der drei großen Seen. Ich denke mal die Bilder sagen hier mehr als tausend Worte. Wir benötigen fast den ganzen Tag für die sehr kurvenreiche Südküste. Dafür ist die Nordküste um so schneller abgefahren, da die Straße fast schnurgerade liegt. Eigentlich ist Sao Miguel für eine Entdeckung per PKW eher etwas für zwei oder gar drei Tage.

Am 09. Juli 2021 ist es dann aber soweit. Ich habe grob 2 Wochen für die 1200 Meilen veranschlagt. Das wären knapp 86 Meilen pro Tag, was für Selene eigentlich kein Problem darstellen sollte. Nach einigem hin und her entscheiden wir uns gegen Irland. Gründe dafür sind die Windvorhersage und die Corona-Regeln. Ein paar Tage vorher hatte ich von der SY Nana eine SMS bekommen. „Eigentlich“ wollten sie recht weit in den Ärmelkanal nach Cherbourg (wenn ich mich recht entsinne), doch ein massiver Sturm mit Winden bis BFT 12 hat sie dann nach Irland ablaufen lassen. Man sieht also, daß es nicht nur bei mir nicht immer so klappt, wie geplant. In Irland wurden sie nett empfangen und durften kostenlos an einer Mooringtonne ausharren. An Land durften sie leider nicht. Dazu muß man mindestens 4 Tage vorher ein Anmeldeformular ausfüllen und einsenden. Die Frage ist nur, wie man das machen will, wenn man die Etmale nicht schafft und ein Sturm achtern aufkommt, der einem zum Ablaufen zwingt. Somit habe ich mich wie gesagt gegen Irland entschieden. Es ist bei der Wettervorhersage nahezu unmöglich ein genaues Ankunftsdatum zu nennen.

Kleine Nebengeschichte: Max hatte beim ersten Versuch über den Atlantik jede Menge Vitamin-C Tabletten dabei, um einer eventuellen Seekrankheit vorzubeugen. Da weder ich noch er seekrank wird, konnten wir leider nie diese These testen. Das gute ist: Ich habe Henne dabei! Und er wird seekrank, wie ich schon auf unseren etlichen Chartertörns feststellen durfte.

Er erklärt sich bereit, den Vitamin-C Tabletten eine Chance zu geben. Da bin ich ja mal gespannt…

Da der Wind über die nächsten Tage immer mehr aus Nord-Ost wehen soll, entscheiden wir uns westlich um Sao Miguel zu Motoren. Richtung Osten hätte man segeln können. Die Strecke wäre ein paar Meilen länger gewesen, aber wir hätten gut 30 Meilen Höhe für einen Am-Wind Kurs verloren. Nachdem wir von der Armee der Finsternis (= eine Charterboot Flotte aus 4 Booten) unter Vollgas überholt wurden, biegen wir also Richtung Nord-Ost ab und setzen die Segel im ersten Reff. Dann geht es so hoch es geht gegen den Wind Richtung Nord-Ost, was Anfangs ganz gut klappt. Leider weht der Wind zuweilen mit 25 kn, wodurch sie eine unangenehme Welle aufbaut und Selene kaum noch Fahrt macht. Da es im Boot nur noch kracht und scherbelt, wenn das Selene wieder mal in eine Welle einrastet, fallen wir etwas ab, um etwas Ruhe in die Sache zu bekommen.

Ich wurde mal gefragt, ob ich etwas zur Segeltheorie erzählen kann und warum ich mein Boot so segle, wie ich es tue. Kein Problem, die Bedingungen sind ideal für so etwas und ich greife zur Kamera. Einiges gilt generell, einiges eher nur für Boote mit dem Segelriß der 80iger Jahre. Moderne Yachten besitzen ein sehr großes Großsegel und ein eher kleines Vorsegel. Dort kommt der meiste Zug aus dem Großsegel. Bei Selene is es genau anders herum. Der Großbaum ist mit gerade mal gut 3 Meter recht kurz und das Großsegel mit gerade mal 40 m² recht klein. Dafür schlägt die Genua (Vorsegel) mit gut 60 m² zu buche. Eigentlich braucht man bei Selene nur das Vorsegel, außer man möchte Gegen/Am-Wind segeln. Grundsätzlich ist immer das Ziel, das Vorliek (also die vordere Kante vom Segel) parallel zum Wind einzustellen. Und das über die ganze Länge des Vorlieks. Das bewerkstelligt man über den Zug auf der Schot und den Holepunkt dieser. Ist das Segel zum Beispiel im unteren drittel zu wenig gespannt, muß der Holepunkt weiter nach achtern. Passt das alles, dann bildet das Segel über den Holepunkt und den Schnitt eine Art Tragfläche, bei welcher die Luft außen etwas schneller strömen muß als innen. Wer in Physik 7 Klasse aufgepasst hat wird wissen, daß der Druck mit der Strömungsgeschwindigkeit abnimmt. Damit bildet sich an der Außenseite des Segels ein leichter Unterdruck, der über die Fläche des Segels das Boot nach vorn zieht. Damit das Boot nicht umkippt, oder einfach zur Seite weg geschoben wird, ist der Kiel da. Bis jetzt haben wir nur vom Vorsegel geredet, was bei Vor-, Raum- bis Halbwindkursen völlig ausreicht. Geht man auf einen Am-Wind Kurs wird das Boot jedoch immer gen Lee weg gedrückt. Da man viel Ruder legen muß, damit man auf Kurs bleibt, bremst dieses stark. Man muß also den Druckpunkt der Segel irgendwie nach hinten bekommen. Genau da kommt bei Selene das Großsegel ins Spiel. Ist es gesetzt und genau so getrimmt, wie das Vorsegel, dann wird das Boot mehr und mehr Luv-gierig. Es hat also den Wunsch immer mit der Nase in den Wind zu schießen. Ich hatte mich ja mal in einem Beitrag über die „Schrägsegler“ lustig gemacht. Die haben im Prinzip zu viel Segel gesetzt, wodurch sich das Boot sehr legt und man enorm viel Ruder legen muß, um nicht durch den Wind zu schießen. Ich versuche Selene über das Verhältnis von Groß- und Vorsegel so einzutrimmen, daß ich vielleicht einen Hauch Ruder legen muß, damit das Boot geradeaus fährt. Das ist auch die beste Konfiguration für den Windpiloten. Anfangs war da noch viel Try-and-Error involviert. Nach gut 20000 Meilen mit dem Boot genügt ein kurzer Blick ins Rigg und ich weiß, was zu tun ist. So viel zum Trimm und segeln von Selene. Jedes Boot ist da sicher etwas anders. Da mein Boot Topgetaktelt ist, fange ich jetzt auch nicht mit 9/10 und 7/8 Rigg und Biegung vom Mast an – das würde hier viel zu weit gehen.

Nun ja, das Groß werden wir auf der Fahrt oft benötigen, denn es ist über Tage Wind aus Nord-Ost angesagt. Zum Teil mit bis zu 25 Knoten – na toll. Schuld ist ein massives Hochdruck Gebiet, was langsam über den Atlantik aus Westen gezogen kommt. Dadurch soll sich im Norden ein Windfeld aus Nod-West mit 25 bis 30 kn bilden und im Osten eins aus Nord-Ost mit 20 bis 25 kn. Eigentlich wäre es toll irgendwie ein paar hundert Meilen nach Norden zu kommen, um mit Halbwind nach Osten zu fahren. Leider wird der Wind vorher mit mindestens 20 kn aus Norden wehen. Keine Chance mit Selene in der kurzen Zeit dagegen aufzukreuzen. So versuchen wir so viel Höhe wie möglich nach Nord-Ost zu laufen. Besser mehr Nord als Ost. Neptun ist anderer Meinung und Selene läuft maximal 60°. Die weitere Vorhersage ist auch nicht besser, denn die nächsten 4 oder 5 Tage soll sich das Hoch über Nordeuropa einquartieren und uns einen steten Nord-Ost Wind bescheren. Bei um die 20 kn wird Selene kaum Höhe laufen. Ich freue mich jetzt schon.

Am 11. Juli ist es dann soweit und das Hoch ist da. Der Wind dreht langsam über Nord und lässt uns nach Osten fahren. Dort soll aber auch der Wind in den nächsten Tagen aus Norden wehen. Mir ist völlig klar, daß wir keinesfalls nur annähernd einen Wendewinkel von 90° schaffen werden, aber weiter nach Osten ist auch Mist. Also Wende und Kurs Nord-West. Da der Wind mittlerweile konstant über 25 kn an den Tag, besser gesagt die Nacht legt, setzen wir gegen 1 Uhr Nachts das zweite Reff. Alles in allem ist die Nacht recht ungemütlich und ruppig. Selene rastet regelmäßig in eine der großen Wellen ein, wodurch gut 2 kn Fahrt aus dem Boot gehen. Damit können wir auch die Vitamin-C Theorie abhaken, denn Henne füttert ein mal vor und ein mal nach der Wende die Fische. Auch gut, denn dadurch haben auch die Fische an Backbord eine Mahlzeit bekommen. Der Wind und vor allem die Welle soll am nächsten Tag hoffentlich etwas abnehmen – bis dahin muß er mit Reisetabletten weiter machen.

Und genau so kommt es auch. Der Morgen des 12. Juli ist deutlich freundlicher. Der Wind hat auf etwa 16 kn abgenommen, die Welle steht noch etwas, nimmt aber auch schnell ab. Dazu scheint die Sonne und gute Laune kommt auf. Katharina von der Nana hatte mir in Horta einen Topf mit Basilikum mitgegeben. Da Zeug scheint recht seefest zu sein und wächst wie Unkraut. So habe ich schon auf Faial damit begonnen das Ganze etwas auszudünnen. Als Pflanzkübel dienen unsere leeren Wasserflaschen. Einfach die Unterseite abschneiden und in die Mitte ein Loch bohren. Ich muß zugeben, daß das Umtopfen schon eine Art meditative Wirkung auf mich hat. Anscheinend habe ich doch einen ganz guten grünen Daumen. Wie oft habe ich in diversen Küchen eher traurig aussehenden Basilikum gesehen und meiner wächst wie irre. Und das auf See bei 25 kn am Wind und jede Menge Salz in der Luft.

Auf jeden Fall kündigt sich das Hoch an. Der Himmel ist komplett wolkenlos und die Sonne scheint vom stahlblauen Himmel. Dazu nimmt der Wind mehr und mehr ab. Gegen 17 Uhr entscheiden wir uns für eine Wende. Der Wind ist eh fast eingeschlafen. Dafür schaffen wir einen perfekten 90° Wendewinkel 😉

Am 13. Juli sind wir dann mittendrin, im Auge des Hochdruck Gebietes.

Noch bin ich der Meinung, daß wir es schaffen unter Maschine nördlich des Kerns zu kommen und dann mit Südwind nach Osten fahren können. Nachdem wir schon 12 Stunden unter Maschine durch die halbe Nacht gefahren sind und es noch mal 12 Stunden mehr werden sollten, was klar: Das ist nicht zu schaffen. Der Hochdruckkern zieht zu schnell nach Nord-Ost und wir werden auf der Rückseite dann auch einen wunderschönen Nord-Ost Wind bekommen, mit dem wir das aufkreuzen noch mal üben dürfen. Das Problem ist, daß Henne eigentlich nur bis zum 24. Juli Zeit hat und wenn ich mir so die Langzeitprognose anschaue, dann sehe ich diese Termin mehr und mehr schwinden. So sitze ich ab jetzt nach dem Download jeder neuen GRIB-Datei am Rechner und grüble darüber, was der beste Kurs sein könnte. Ebenso schaue ich nach Alternativen, wie La Coruna oder Camaret Sur Mer. Bei der Windvorhersage kommt jedoch immer das selbe heraus. Selbst wenn wir sofort nach La Coruna abdrehen würden, kämen wir vielleicht einen halben Tag eher an. Dazu müsste man aber auch gut 1,5 Tage bei 25 .. 30 kn im Mittel aufkreuzen.

Während die See immer mehr zum Spiegel wird, kümmere ich mich bereits um meinen nächsten Mitfahrer. Auch für Ihn wäre eine Info wichtig, wo ich denn hinfahre und vor allem, wann ich dort ankommen werde. Auf dem Satellitentelefon habe ich noch locker 800 Minuten Guthaben, so wird das Gespräch am Ende gute 40 Minuten dauern.

In der Nacht vom 13 zum 14 Juli hat uns das Hoch in seinem Kielwasser verdampfen lassen und wir versuchen hinterher zu segeln. Natürlich wieder mal so hoch es geht Am Wind. Noch weht dieser aus Ost oder gar Süd-Ost. Gegen Morgen flaut der Wind deutlich ab und zu den Segeln kommt die Maschine zum Einsatz.

Laut Wettervorhersage sollten eigentlich mindestens 10 kn Wind anstehen. Am Vormittag habe ich eine gute Stunde im Iridium gehangen, um das Wetter-Routing Plugin von OpenCPN zu laden. Die 600 Kilobyte haben mich hinten raus gute 85 € gekostet, nicht schlecht. Anfangs nutze ich das Wetterrouting recht oft, aber wenn auf der Strecke der Wetterbericht nur etwas abweicht, dann kann man die ganze Route vergessen. Obwohl ich den Polarplot von meinem Schiff recht gut angepasst habe und auch schaffe den Kurs zu fahren, hat das Plugin mit jedem Wetterdownload eine völlig andere Route ausgerechnet. Meiner Meinung kann man so etwas nehmen, wenn der Törn nicht länger als 12 Stunden dauert und der Wetterbericht auch so eintritt, wie es in den GRIB Dateien steht. Meiner Erfahrung nach ist das aber nur auf offener See der Fall, da in Landnähe zu viele lokale Topographie-Effekte ins Wetter spielen. Daher mein Fazit: Der Speicherplatz, den so etwas auf der Festplatte benötigt, ist verschwendet.

16. Juli 2021: Ich sitze gegen 6 Uhr morgens am Rechner, lade Wetterdaten und überlege, ob ich am 15. überhaupt irgend etwas gefilmt habe und ob überhaupt etwas passiert ist. Außer, daß ich die Angel aktiviert habe fällt mir nichts ein. Wir sind den ganzen Tag Hoch-Am-Wind gegen die Welle gesegelt – das wars. Mein Download ist bei etwa 42 %, als auf ein mal die Angel rattert. Es klang nicht unbedingt wie Seegras oder ähnliches, also schnell die Iridium-Verbindung kappen und ins Cockpit. In der Ferne sehe ich eine Menge Vögel und irgend etwas, was wild im Wasser springt. Mein erster Gedanke: „Ihr blöden Vögel! Das ist MEIN Fisch!“ und fange an zu kurbeln. Das springende „Etwas“ kommt näher und dann sehe das Malör. Da hängt ein Vogel an der Angel. Zu erst denke ich, daß er auf den Köder gegangen ist und jetzt am Haken hängt. Egal was ist – ich kurbel so schnell ich kann, hieve den Kollegen vorsichtig über den Achterkorb in den Fußraum hinter dem Ruder. Das Tier hängt nicht im Haken, aber die Angelsehne liegt in einer schönen Schlaufe um den Flügel. Der Vogel ist von dem Ritt recht fertig und ich rufe Henne aus dem Bett. Nach kurzer Begutachtung entscheide ich mich die Schlaufe einfach durchzuschneiden. Der Vogel faltet den Flügel ein und es schaut erst mal so aus, als wäre nichts gebrochen. Aber wirklich Aktivität ist auch nicht zu sehen. Ich bedecke Ihn mit einem Handtuch und setze Ihn auf die Bank im Cockpit. Er springt gleich wieder auf den Fußboden und findet einen Vogelkollegen im Spiegelbild des Fensters zur Achterkabine. Ich habe das Gefühl, daß er komplett orientierungslos ist, da er um sich nur Wände und über sich das Bimini sieht. Also noch mal das Handtuch drüber und gen Luv neben dem Sül abgesetzt. Es sieht etwas lustig aus, wie tolpatschig, der in der Luft eigentlich so elegante Vogel bis zum Bugkorb watschelt. Selene läuft hoch am Wind und somit scheint die vordere Klampe ein perfekter Startpunkt gen Luv zu sein. Leider bleibt der Kerl mit einem Flügel im Bugkorb hängen und muß einen zweiten Startversuch aus dem Wasser unternehmen. Aber er kann noch fliegen und alles sieht normal aus. Ich bin ganz froh darüber und entscheide das Angeln erst mal sein zu lassen.

17. Juli 2021: Seit gut 1,5 Tagen haben wir nun Nord-Ost. Neben dem „kaum vorankommen“ bringt dieser Wind auch kalte und feuchte Luft. Im Cockpit ist es einfach nur ungemütlich, wodurch wir die meiste Zeit unter Deck sitzen. Es nevt langsam etwas, denn je weiter wir nach Norden fahren, desto mehr wird der Wind in den nächsten Tag aus Osten wehen. Wenn es denn irgendwie möglich wäre nach Osten zu kommen, desto mehr wird der Wind aus Nord-Ost wehen. Es ist also egal, welchen Kurs wir einschlagen – wir werden immer Gegenwind bekommen. Also weiter Nach Norden und wenn der Wind irgendwann mal dreht geht es eben auf die Kreuz … schon wieder …

18. Juli 2021: Die Kreuz über die Nacht bestand aus genau 2 Wenden, bis der Wind am Morgen praktisch völlig abflaut. Der Wind und das nervige Gegenan-Gebolze ist weg – dafür steht noch eine gute 2 bis 3 Meter Welle, die Selene gute 40 ° von links nach rechts rollen lässt. Dazu klappern die Segel, daß man kein Auge zu bekommt.

Ich ziehe die Genua ein, lasse das Groß fallen und starte den Perkins. Dann schalte ich meinen elektrischen Autopiloten ein, stelle ihn auf 50°, drehe den Kühlschrank etwas kälter und gehe wieder ins Bett. Es ist weit und breit kein Schiff zu sehen, da reicht vollkommen aus, wenn man mal alle 1 .. 2 Stunden nach dem Rechten schaut. So wird Selene die nächsten 12 Stunden mit gut 4 Knoten geschoben werden. Der Kurs liegt genau gegen die Welle, wodurch das nervige Rollen fast weg ist.

Das geht auch am 19. Juli so weiter. Allerdings ist der Schwell weitestgehend abgeklungen und ein Hauch einer Briese liegt in der Luft, die Selene vorerst mit ausgebaumten Vorsegel auf gute 1,5 bis 2,5 kn beschleunigt. Unter Maschine wären wir nur wenig schneller, also lassen wir das Boot langsam dahinfahren. Ich bin sowieso überrascht, wie langsam unsere Dieselreserven schwinden. So überrascht, daß ich sogar den Tank aufschraube und mit dem Zollstock den Pegel messe. Ich habe eine Zeichnung vom Tank, kenne das Volumen und nach etwas Rechnen müssten immer noch 59 Liter drin sein. Dazu kommen noch die 20 Liter aus meinem letzten Reservekanister. Damit hat der Motor sich gerade mal 1,8 Liter die Stunde genehmigt – für 1,7 Liter Hubraum und 55 PS, nicht schlecht. Da der Wind sowieso schon wieder weg ist, darf der Perkins noch etwas laufen. So böse bin ich auch nicht darüber, selbst wenn ich auf dem Stück meinen ganzen Diesel verbrauche. Das Zeug war ewig im Tank und noch länger in den Kanistern und wird sicher über die Zeit nicht gerade besser. Eine gewisse Reserve von, sagen wir mal, 20 .. 30 Litern möchte ich mir jedoch bewahren. Von 2019 weiß ich: Wenn im Ärmelkanal der Wind einpennt – starte sofort die Maschine. Das „Sparen“ sollte sich später als gute Entscheidung herausstellen!

Während wir also so über den mittlerweile spiegelglatten Atlantik schippern kommt uns ein Tankschiff entgegen. Die Campo Square wird uns in gut 2,6 Meilen passieren. Ich entscheide mich das Schiff kurzerhand mal anzufunken und zu fragen, ob mein AIS funktioniert. Auf Faial habe ich mich auf Marinetraffic gefunden, jedoch habe ich auf See das Gefühl, daß mein AIS nicht besonders kräftig sendet. Der Kapitän der Campo Sqare sagt mir, er würde mich nicht sehen. Er hätte mich auch nicht gesehen, bis ich ihn angefunkt hätte. Nun würde er mich aber sogar auf dem Radar sehen, aber nicht auf dem AIS. Sehr komisch. Ich weiß, daß die Berufsschifffahrt ein AIS Klasse B, wie ich auf Selene habe, unterdrücken kann. Trotzdem kommt mir das sehr spanisch vor. Ich habe jedenfalls für mich entschlossen: Wenn ich irgendwo ein gutes aktives AIS finde, dann tausche ich meins aus. Der Kapitän des anderen Schiffes verabschiedet sich noch mit den Worten, daß ich ganz schön mutig sein muß, um mit so einem kleinen Boot den Atlantik zu überqueren und wir ziehen unserer Wege.

Der Seegang nimmt weiter ab und der Atlantik wird zu einem Spiegel. Abends gibt es einen grandiosen Sonnenuntergang, gefolgt von einer Nacht, bei der sich die Sterne auf dem Wasser spiegeln. Den Perkins lassen wir jedoch laufen, denn hinter uns soll demnächst ein Tiefdruck von Süd nach Nord durchziehen. Auf eine Nacht mit 25 kn Wind, in Böen 40 kn haben wir beide keine Lust. Also nutzen wir die Flaute um Strecke nach Osten zu machen.

Nach Tagen Am-Wind, gefolgt von 3 Tagen Dauerflaute dreht der Wind am 20.07 endlich und wir können direkt auf Kurs 60° gehen!

Während der Flaute hing mir immer der 24. Juli im Nacken, da Henne eigentlich am 25. Juli wieder arbeiten muß. Um die Etmale zu schaffen, hat der Perkins die Dieselvorräte von Selene ganz schön schrumpfen lassen. Nach meiner Schätzung müssten noch etwa 45 oder 50 Liter übrig sein, jedoch möchte ich mir das für den Ärmelkanal, die Anfahrt auf Roscoff, die Tide, Fischerboote und vor allem für das VTG (Verkehrstrennungsgebiet) aufheben. Wem das letzte nichts sagt: Ein VTG ist so eine Art Autobahn auf See und wird an Stellen eingereichtet, die stark befahren werden. Also zum Beispiel die Ecke um das Kap bei Le Four oder eigentlich der ganze Ärmelkanal. Als Segler fährt man eigentlich nur in ein VTG, wenn man es kreuzen möchte. Die zwei wichtigsten Regeln sind: Man muß das VTG mit der Kiellinie rechtwinklig kreuzen und alle Schiffe, die dem VTG folgen haben Vorrang. Die Geschwindigkeit ist meist auf 15 kn beschränkt, aber wenn ich als Segler mit flauem Wind und 1,5 .. 2 kn Fahrt da durch will, ist das etwa so, als wöllte man als Fußgänger eine 6 spurige Autobahn queren. Auch das mit dem „rechtwinklig“ ist so eine Sache, denn mein fahrbarer Kurs hängt nun mal stark vom Wind ab. Auch die Zeit, die ich für die Querung benötige ist lang. Zum Beispiel ist das VTG vor Le Four ist 16 Meilen breit. Damit würde ich bei Idealbedingungen immer noch 3 Stunden für die Querung benötigen.

Das Bild ist nur als Beispiel, wie es kurz nach der Ausfahrt eines VTG aussieht. Da kommen dann noch Fischer hinzu.

Aber bis dahin ist es ja noch eine Weile. Das schöne an so einer Flaute ist, daß der Seegang praktisch auf Null zurück geht. Damit fährt Selene bei gerade mal 6 kn Wind stattliche 3 kn ohne nennenswerte Schiffsbewegungen. Unter Deck hat man das Gefühl man würde im Hafen liegen. Natürlich nutzt Henne diese Bedingungen, um mir bei meiner Ansprache in die Kamera die Rettungsweste zu reichen. Ja – ich weiß: Beim filmen habe ich das Ding sogut wie nie an. Wenn wir aber auf dem Vordeck hantieren, gerade bei viel Seegang oder auch Nachts, tragen wir immer eine Weste und hängen uns irgendwo an. Leider sind dies genau die Momente, die kaum mal auf Film gebannt werden. Manchmal muß es einfach schnell gehen, oder es ist einfach zu dunkel, oder zu naß, oder alles gleichzeitig.

21. Juli 2021
Merke: Es ist völlig egal, wie oft man den Wetterbericht abruft, er wird nicht besser. Nicht besser im Sinne von zu viel Wind, wohl eher zu wenig. Vor uns liegt ein Flautenfeld, welches zwei bis drei Tage anhalten wird. Selbst wenn wir das noch unter Maschine machen könnten, würden wir in den Gegenwind fahren. Die Motorfahrt der vergangen Tage hatte da schon mehr Sinn, da hinter uns ein Tiefdruck durchgezogen ist. Die mittlere Windvorhersage war zwar mit 25 kn recht moderat, jedoch sollten die Böen 35 bis 40 kn erreichen. Je weiter wir also unter Maschine vom Kern wegfuhren, desto stabiler wurde die Vorhersage. Das ist jetzt anders…

So sah die Vorhersage in zwei Tagen aus. Man sieht jetzt schon, wie wir in der Flaute hin- und hergeeiert sind.

Aus diesem Grund habe ich bei Henne schon Tage vorher meine starken Zweifel angemeldet, den 24. Juli halten zu können. So versucht er nun schon zum 6. mal jemanden auf Arbeit zu erwischen. Anscheinend mag man da meine Iridium Nummer nicht, die mit +88 beginnt. Später erfahren wir, daß Google der Meinung ist, die Nummer käme aus Bangladesch. Es stimmt eben nicht alles, was im Internet steht. Vielleicht mache ich mir mal den Spaß und rufe mit dem Satphone mal auf Arbeit an 😉

Wie dem auch sei, der Trick mit der SMS vor dem Anruf klappt dann irgendwann und man hatte bereits einen Backup-Plan entwickelt. Das war auch gut so, denn in den nächsten zwei Tagen sollte unser Etmal bei unter 70 Meilen liegen. Also nicht 70 Meilen pro Tag, sondern insgesamt, also in 2 Tagen und gerade mal zur Hälfte Richtung Ziel.

Der Wind nimmt im Laufe des Tages mehr und mehr ab. Dazu wird die See langsam zum Ententeich. Henne fragt mich auf einmal, ob wir gerade in einem militärischen Sperrgebiet sind, weil er einen Knall gehört hat. Die internationalen Gewässer des atlantischen Ozeans waren vielleicht ein Spielplatz der Russen und Amis, die mit ihren Atom U-Booten Katz und Maus gespielt haben, aber heutzutage ist mir kein Sperrgebiet bekannt. Kurze Zeit später klärt sich der „Knall“ jedoch auf. Es ist ein Wal! Ein paar Bootslägen neben Selene schnauft das gewaltige Tier unglaubliche Mengen Luft durch das Eimergroße Nasenloch, um nach 5 ..6 Atemzügen wieder für eine gute halbe Stunde zu verschwinden. Ein beeindruckender Anblick.

Der Wind nimmt in der Nacht zum 22. Juli praktisch völlig ab. Gegen 6 Uhr morgens kann ich nicht mehr schlafen, da die Segel nur noch am klappern sind. Henne geht ins Bett und ich versuche noch etwa eine halbe Stunde irgend eine Fahrt ins Boot zu bekommen. Bei 1 kn Wind (in Böen 2 kn) gebe ich die Idee auf und berge die Segel. Im Gegensatz zum Vortag ist die See heute noch „Ententeichiger“ und es steht ein ewig langer, aber recht hoher Schwell von gut 1,5 Metern. Die Wellenlänge ist aber so lang, daß Selene immer nur leicht hoch und runter geht, ohne groß zu schaukeln. Ich überlege wie ich die Zeit herum bekommen kann und entscheide mich einen Kuchen zu backen.

Ist es schön, wenn man einfach alles irgendwohin stellen kann, ohne ständig Angst haben zu müssen. Es soll ein Ananas-Pfirsisch Kuchen werden. Die (Konserven) Pfirsische sind seit ca. 6 Monaten abgelaufen und das Alter der Ananasdose ist unbekannt, jedoch schon am Rosten. So sortiere ich alles zusammen, siebe das Mehl und bereite alles vor. Neptun erlaubt sich noch einen Spaß, denn in dem Moment wo ich den Zucker abmessen will schiebt er die Schüssel mit dem Mehl von der Waage Richtung Spühle. Ich konnte sie aber noch retten 😉

Fertig! Nur noch backen und dann gibts lecker Kuchen. Auch meine Crew war begeistert.

Danach sitze ich am Bug von Selene und denke mir so: „Und das jetzt noch zwei bis drei Tage… Ich werde wohl noch einige Kuchen backen müssen…“

Wobei ich zugeben muß – So eine Flaute hat schon etwas. Man ist hunderte Meilen von jedem Land entfernt, es ist Null-Komma-Null Wind, kein Rauschen der Wellen und kaum Geräusche vom Schiff. Nicht mal Flugzeuge sieht man am Himmel. So still ist es eigentlich nirgends mehr. Normalerweise hat man immer Geräusche von PKW/LKW, irgendwo Musik, Rasenmäher und sonstwas. Hier ist es wirklich beängstigend, ja fast erdrückend leise. So etwas ist man gar nicht mehr gewohnt.

Auch Henne scheint es lanweilig zu sein, denn er zaubert gegen Nachmittag einen Nudelauflauf. Als Basis dient eine Spargel Cremesuppe, die irgendwann Ende 2019 abgelaufen ist. Aber was soll schon an einem Pulver schlecht werden. Dazu noch etwas Sahne und Basilikum, den wir mittlerweile in rauhen Mengen an Bord haben.

Am nächsten Tag stelle ich fest, daß ich mich mit meiner Wetterprognose vom Vortag wohl geirrt habe. Ich war davon ausgegangen, daß am 22. ab 12 Uhr etwa 10 kn Wind aus Süd-Ost wehen soll. Das war jedoch die Aussage vom 23. Juli. Leider stellt sich gegen Nachmittag immer noch kein Wind ein :/

Dafür nimmt der Galgenhumour neue Ausmaße an. Ich erzähle zum Beispiel, daß wir so einen Sturm haben, wo wir gar keine Segel mehr benötigen und eine Böe von 2 kn gerade das Boot erfasst hat.

Am 24. Juli ist es dann aber endlich soweit. Ein kühler Nord-Westwind mit etwa 16 kn lässt Selene gute 7,5 kn gen Osten fahren. Auch wenn die Welle immer größer wird, ist es echt angenehm mal wieder Strecke zu machen. Die Nacht war für mich trotzdem alle andere als erholsam. Erst hatte ich aus irgend einem Grund Kopfschmerzen, dann war der Wind ganz weg und die Segel haben geschlagen. Dann kam wieder Wind…

Es sollte sich herausstellen, daß sich der Dieseleinsatz gelohnt hat, denn das Tief zieht mit genügend Abstand hinter uns durch. Damit „schnippt“ Selene  bei 16 bis 20 kn Halbwind Richtung Ärmelkanal.

So bin ich am Morgen gerade so am Segel trimmen, um das letzte aus Selene zu holen, als es neben dem Boot sehr laut schnauft. Es ist ein Wal, der mit unseren gut 7,5 kn mit Selene schwimmt! Anders als Delphine zischt dieser nicht unterm Boot hin und her, sondern begleitet uns nur. Die Größe des Tiers ist nur schwer zu sagen, aber ich würde es schon auf gute 6 Meter schätzen. Einfach irre, wie kraftvoll er mit unserer Fahrt mithält. Auf dem Video / Fotos kommt das nicht gut herüber, denn die Wellenhöhe liegt bei etwa 2 Meter.

Da ich meine Wal-Kontakte an einer Hand abzählen kann, würde ich (nach einigem Suchen) meinen, daß es ein Grindwal ist. Für einen Zwerg Pottwal, ist das Tier zu groß. Vielleicht werde ich ja auch in den Kommentaren korrigiert 😉

Gegen etwa 16 Uhr fängt es an im Boot zu Pfeifen. Eine recht große Gruppe Delphine hat sich versammelt und wird Selene begleiten … für die nächten 4 Stunden. Obwohl der Wind recht frisch ist, sitze ich Ewigkeiten am Bug und schaue dem Treiben zu. Einfach nur schön.

In der Nacht zum 25. Juli flaut der Wind mehr und mehr ab. Dazu kommt eine Drehung auf Süd-Ost hinzu. Erst reicht es nur mit Genua zu segeln, bis der Wind so schwach ist, daß es nur noch klappert. Irgendwann baume ich das Segel aus, damit wieder mehr Ruhe ins Boot kommt. Laut Wettervorhersage ist für den ganzen Tag keine Änderung vorhergesagt. Damit wird es Zeit für den Spinnaker.

Erwartungsgemäß holt das Segel gute 4,5 Knoten aus dem flauen Wind. Da jetzt nur noch 3 Knoten Wind an Bord sind, kann ich nur den elektrischen Autopiloten steuern lassen. Für den Windpilot ist das einfach zu wenig.

Auch meine Reparatur vom Unterliek schaut ganz passabel aus. Da war bei einer früheren Fahrt der Block oben im Mast gebrochen, wodurch das Segel gute 2 Meter abgesackt ist und sich unter dem Anker eingehakt hatte.

Und – haha – einmal darf man raten: DELPHINE! … schonwieder 😉 Irgendwie habe ich das Gefühl, wir bekommen zum Schluß noch mal die komplette Meeressäuger-Dröhnung.

Das war aber eine richtige Kaspertruppe. Überall ums Boot herum platscht und spritzt es, wenn sich die „Youngster“ gegenseitig ärgern und mit unglaublicher Geschwindigkeit durchs Wasser pflügen. Einige Male habe ich sogar darauf gewartet, daß es unter dem Schiff „plong“ macht und einer gegen den Kiel donnert. Aber bei dieser Gruppe konnte man mal richtig gut beobachten, was für eine Kraft dahinter steckt. Aus dem Stand auf gut 30 .. 40 km/h braucht ein Delphin geschätzte 5 Schläge mit der Fluke.

So geht es in die hoffentlich letzte Nacht zum 26. Juli. Nun kommen die Dinge, die wirklich nicht vermisst habe. VTG, Großschifffahrt und Fischer. Ich hatte versucht etwas zu schlafen, schicke dann aber doch Henne ins Bett, um mich selbst der Sache anzunehmen.

Das VTG ist eigentlich weiter nördlich. Im Bild sieht man davon noch oben so einen kleinen roten Zipfel. Damit sind die Pötte mir eigentlich ausweichpflichtig. Bei 4 kn Fahrt bringt es mir auch wenig die Maschine einzuschalten. Abstände von mindestens einer Meile, wie man es auf dem Atlantik gewohnt ist, gibt es hier nicht mehr. Der Frachter links neben Selene hat keine Anstalten gemacht seinen Kurs nur um ein halbes Grad zu ändern und uns mit 0,2 Meilen Abstand und 12 kn Fahrt zu passieren. Und das obwohl ich extra schon meinen großen Radarreflektor ausgepackt habe. Der nächste Frachter lässt es dann noch mehr darauf ankommen. Kurz zur Erklärung: Die Linien an den Schiffen zeigen, wo sich das Fahrzeug in 30 Minuten befinden wird. Meine, recht kurze Linie, sind 4 Knoten Fahrt. Die des Frachters, der mir da von Backbord aufkommt sind 18,1 Knoten. Mein AIS sagt mir, daß wir uns mit weniger als 50 Metern treffen werden, was bei einem Schiff, welches 300 Meter lang und 50 Meter breit wohl im Schiff liegen sollte. Da der Frachter keinerlei Anstalten macht seinen Kurs zu ändern, drehe ich 5 Minuten vorm Crash am Windpilot. Abfallen (also nach Steuerbord) ist keine Option, denn ich fahre mit ausgebaumten Vorsegel und Selene würde einfach stehenbleiben. Also Backbord auf Halbwind und dem Gegner mit etwas Höhe entgegenfahren. Wie ich später herausfinde, funktioniert mein AIS. Also hat er das Klasse B AIS unterdrückt, oder einfach nur gepennt. Jedenfalls schlägt der Frachter in dem Moment, in dem ich ihm meine grüne (Steuerbord-) Laterne zeige einen Haken nach steuerbord und fährt wieder genau auf mich zu. Ich gehe etwas entnervt wieder um Windpilot und stelle den alten Kurs wieder ein.

Das wars dann glücklicherweise mit den knappen Schiffskontakten und wir werden mit der Tide in den Ärmelkanal gezogen. Der Wind passt und wir setzen gegen Tagesanbruch wieder den Spinnaker.

Es ist neblich und trüb. So trüb, daß man denken könnte, man wäre auf dem offenen Ozean. Das Land ist nur ein paar Meilen entfernt, aber kaum auszumachen. Einzig der Tiefenmesser zeigt wieder etwas an, was auf Land hindeuten könnte.

Selene fährt unter Spi und mit der Tide gute 8,5 Knoten. Leider schläft uns gegen Nachmittag der Wind ein und ich starte sofort den Motor. Eigentlich müsste noch genug Diesel im Tank sein, um die letzten 25 Meilen nach Roscoff zu kommen – sicher bin ich mir aber nicht. Leider wird zu dem noch klar: Wir sind zu langsam und werden den vollen Gegenstrom ab bekommen. So ömmeln wir mit gerade mal 2,5 kn Fahrt dem Ziel entgegen. Es sind eigentlich nur noch 12 Meilen. Jedoch wird das bei der Geschwindigkeit noch mal locker 6 Stunden dauern – uff. So richtig Vertrauen habe ich in meine Tankanzeige nicht, weswegen ich mitten in der Nacht noch mal den Tank aufschraube und den Dieselpegel mit dem Zollstock messe. Nach etwas rechnen und extrapolieren komme ich aber zu dem Ergebnis: „Eigentlich“ müsste es reichen.

Am 27. Juli gegen 4 Uhr ist es dann geschafft und die Leinen sind fest. Es ist immer interessant in einen unbekannten Hafen bei Nacht zu fahren. Der Hafen ist rammelvoll, da gerade eine Regatta um Finistere stattfindet und damit zusätzliche 70 Boote im Hafen liegen. Dazu kommt das auflaufende Wasser, worauf in der Hafeneinfahrt hingewiesen wird. „Warning! Strom Currents!“ Ich denke mir so … „jaja – so schlimm kann ja nicht sein“ … Damit lag ich eindeutlich falsch, denn als wir in die Besuchergasse fahren wollten, musste ich gut 45° vorhalten und ordentlich Gas geben, um nicht in die Steganlage und Boote getrieben zu werden.

Wir sind beide recht aufgekratzt und genießen den Morgen bei einem Gin und einem Spaziergang durch den Hafen. Unser Nachbar wird irgendwann wach und fragt mich gleich nach einer Eisensäge. Dafür werden wir mit Croissant und frischem Baguette versorgt. Das Frühstück ist gegen 9 Uhr beendet und für mich wird ein sehr langer und erholsamer Schlaf beginnen 😉

 

So long,

Martin

Video:

 

9 Antworten auf „Von Horta/Faial nach Roscoff/Frankreich“

  1. Juju, ich sehe die Selene wieder auf dem Vessel Finder. Gleich geht es in den Kanal. Wenn ihr am Ostufer der Förde irgendwo festmacht, dann meldet euch doch. Wir würden euch gerne mal persönlich treffen (obwohl die Berichte und Videos natürlich auch sehr spannend sind). Grüsse Gisela

  2. Spannend! Wenn Du in Warnemünde/Rostock vorbei kommst, und es evtl. für ein Bier reicht, gib mal Bescheid!

    Grüße,
    Martin

    P.S. Nie im Leben hat das Großsegel der „Selene“ vierzig Quadratmeter. Ich würde es auf 25 qm schätzen.

  3. Haben wie immer, alles mit Spannung angeschaut und verfolgt. Zwischen den Berichterstattungen waren wir schon sehr unruhig und ich habe mehrmals bei deinen Eltern angefragt, was eigentlich los ist. Frieder hat mich aber immer sehr gut aufgeklärt und beraten. Für deinen hoffentlich letzten Abschnitt wünschen wir dir alles gute und vor allem eine gute Heimkehr.
    Hannes und Rosi !

  4. Hey Martin,
    vielen Dank für die spannende, lebendige Berichterstattung.
    Viel Spass für den Rest deines Wahnsinnstrips, wir sehen uns!

    Uwe

  5. Danke für den spannenden Bericht, lieber Martin.
    Nun hast du es ja bald geschafft. Für die letzte Etappe wünsche ich dir eine gesunde behütete Reise.
    Liebe Grüße
    Evi

  6. Grossartig !
    Vielen Dank dafür – und alles Gute für Deine Weiterreise.

    Beste Grüsse von Klaus –
    der den Atlantik nur auf einem Grossegler
    überquert (Bermuda-Azoren) und dafür umso
    mehr Respekt vor Deiner Leistung hat

  7. Hallo Martin, es freut uns, dass du nach Monaten wieder Europäisches Festland unter den Füßen hast. Die letzten Meter wirst du auch noch schaffen 😉

    Also bleib gesund und bringe Selene heile in ihren Heimathafen. Bis auf ein Bier am Gartenzaun…

    Gruß Julia & Torsten

  8. WIr haben alles mit der Mutter angeschaut. Glückwunsch zum Onkel. Es war sehr unterhaltsam. Gutes Erholen und vielen Dank.
    Gesundheit und erfolgreiche Weiterreise wünschen Euch E&F!

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