Dominica Teil 5 – auf zu neuen Ufern

Anfangs ist nur ein einzelnes klägliches Tuten in der Ankerbucht zu hören, ein weiteres Schiffshorn stimmt ein, gefolgt von den tiefen langgehaltenden Klängen, die man mit viel Mühe aus den großen trichterförmigen Conches zaubern kann. Schließlich stimmt der schweizer Bootsnachbar mit seinem Alphorn in das Konzert ein, über Funk werden Grüße zu den abreisenden Schiffen gesendet. Während ich hier sitze und schreibe nehmen wir erneut Abschied von gleich 4 Booten, die Dominica heute verlassen. Mehrtages- oder Wochentörns zwischen 400 und 2.400 sm zu den Azoren, nach Panama, Antigua oder Grenada. Bei Ankunft erwartet die Crews mittlerweile zwar meist ein sicherer Ankerplatz, jedoch kein Landzugang selbst nach absolvierter Quarantäne. Viele brechen dennoch auf, da der Versicherungsschutz mit der nun beginnenden Hurrican Saison erlischt. Auch wir müssen weiter, dringend – die Entscheidung darüber, wird uns glücklicherweise abgenommen, aber dazu später mehr. Ein weitere Monat ist an uns vorbeigezogen, ohne dass wir eine Meile gesegelt sind. Die Welt außerhalb Dominikas scheint wie erstarrt, minimale Veränderungen auf den Inseln und an den Küsten machen die Weiterreise auf dem Seeweg nach wie vor kaum möglich. Wenn überhaupt ist das kurzzeitige Rasten nach langen Törns gestattet, es wird um unverzügliche Weiterreise gebeten – nur wohin? Ganz gleich mit welchem Kurs wir weitersegeln würden, das Entdecken von Land und Leuten, Geschichten zu hören und zu erleben, bliebe uns verwehrt. Ganz anders auf unserem kleinen zauberhaften Zufluchts-Eiland Dominica ….

Mit jeder Crew, von der wir uns verabschieden, steht für uns das Thema „Heim-Segeln“ wie ein großer grauer Elefant in unserem recht kleinen Cockpit. Die Zeit für eine West-Ost-Passage über den Nordatlantik ist ideal jedoch sind die derzeitigen Bedingungen auf der 2.400 sm langen Strecke zu den Azoren noch unbeständig, wir können uns noch nicht zur Abreise durchringen. Zu groß scheint die Gefahr sowohl in ein Starkwindfeld zu geraten oder in einem ausgeprägten Flautengebiet festzustecken. Selenes Reserven um unter Maschine zu fahren reichen für ca. 400 sm. Klingt erstmal viel, kann im Falle der Fälle jedoch sehr eng werden. Wir beobachten das Wetter täglich, Mitte Mai zieht dann bereits der erste Tropische Sturm „Arthur“ über den Nordatlantik – ungewöhnlich für diese Zeit, die meisten Wetterdienste prognostizieren allerdings schon jetzt eine außergewöhnliche Hurrikain Saison

Der dicke Elefant mahnt mich somit täglich, so viel wie möglich von Dominica zu sehen, bevor wir aufbrechen. Die Nationalparks sind noch immer geschlossen, auch Touren werden Anfang Mai nur „unter der Hand“ für maximal 2 Personen organisiert, die Sammeltaxis dürfen höchstens eine Person pro Sitzreihe befördern. Unter den Seglern werden somit Informationen, wo man etwas entdecken kann, wie man dort hin kommt und mit wem, vor allem aber wie sehr verboten es ist, rege ausgetauscht. Schön daran ist, dass die Segler aber auch viele Lokals damit endlich ein Gesicht bekommen. Häufig ist mir nur die Stimme aus dem Funk bekannt oder ein anonymes Profilbild aus der Portsmouth Anchorage FB-Gruppe. Auch am PAYS-Pavilion geben die Leute gerne Auskunft, was ihre liebsten Plätze sind, welchen der unzähligen versteckten Kleinode man unbedingt besuchen sollte. Jetzt Ende Mai also etwa 4 Wochen später ist mein Tagebuch zum Bersten gefüllt mit Erinnerungen, Erlebnissen und Geschichten von Flüssen, Stränden, Wasserfällen und Wanderungen, von Kolibris, Leguanen, Lionfishs, Parrots oder von Kakaopflanzen, Cashew-Äpfeln, selbst geangeltem Fisch und dominikanischem Broth, von Roten Felsen, Kletterpartien, heißen Quellen … wo soll ich da nur anfangen?!?

Cabrits-Nationalpark

Bevor zum ersten Mai , der hier logischerweise Mayday heißt und ebenfalls ein Feiertag ist, für uns erneut 3 Tage Bootsquarantäne anstehen, muss ich mir nach den vielen Tagen an Bord mal wieder ausgiebig die Beine vertreten. Die Cabrits locken mich schon seit wir hier angekommen sind. Ich sehe sie als erstes beim aufstehen und als letztes bevor es in die Koje geht. Da das Nationalparkgelände leider noch immer offiziell geschlossen ist und der Parkranger am Eingang auch partout nicht mit sich reden lässt, soll ein winziger kaum erkennbarer Schleichweg durch die Büsche in den Park inzwischen zum gut ausgetretenen Trail geworden sein … Tatsächlich ist der Pfad kaum zu übersehen, er mündet direkt auf das weit verzweigte Wanderwegenetz im Nationalpark ohne dass man das Eingangsgebäude passieren muss. Ist nicht die feine englische Art – ich weiß – aber auf dem Rückweg werde ich wie die meisten illegalen Besucher schuldbewusst die Augen niederschlagen und beim Ranger nachträglich die 5 EC bezahlen. Der Park besteht im wesentlichen aus zwei erloschenen Vulkankegeln, die als Insel dem Festland vorgelagert waren. Die heutige Landverbindung bildete sich aus angeschwemmten Geröll aus der Duglas- und der Prince Rupert Bay. Auf reichlich 530 ha hat sich ein einzigartiges Biotop aus tropischen Wäldern und Korallenriffen erhalten, mit einer Vielzahl von Fischen, Vögeln, Krabben und Reptilien.

Mein Weg führt mich zuerst auf den kleineren, den Eastern Cabrit. Vorbei geht es an unzähligen Ruinen und Mauerresten des ehemals gut ausgebauten Britischem Fort, das sich über beide Hügel erstreckt. Vom Officers Quater, den Truppen Baracken, den Guard House, dem Commandants Quaters oder den Cisternen sind meist nur noch die Grundmauern erhalten. Dennoch lässt sich an Hand der Überreste ganz gut erahnen, dass es sich hier nicht nur um eine Verteidigungsanlage, sondern eine gut abgeriegelte Stadt der britischen Besatzer gehandelt hat. Einzig das Fort Shirley erstrahlt in vollem Glanz und wurde vollständig restauriert. Vom Boot aus wirken die Cabrits wie kleine Hügel, die man mal eben in einer Stunde erkunden kann. Tatsächlich ist es eine schweißtreibende Angelegenheit – gut, ich habe mir wiedereinmal die heißeste Zeit des Tages ausgewählt. Nach einer halben Stunde bin ich auf dem weitläufigen Plateu des Eastern Cabrits angelangt und werde wie immer mit einem wunderschönen Ausblick über die Prince Rupert Bay und Portsmouth belohnt. Gegenüber erhebt sich dunkel und satt grün das Massiv des Morne Diabolotin, der Blick geht weit nach Süden zur Secret Bay und über die Hocheben des Syndicate Estate – alles Orte, die ich gerne noch sehen würde. Für meinen vermeintlichen „Spaziergang“ hab ich nur eine kleine Flasche Wasser mitgenommen, die natürlich schon leer ist. Die Temperaturen am Nachmittag liegen bei gut 32°C, es ist drückend schwül und heiß. Den Aufstieg zum Western Cabrit spare ich mir daher für heute. Auch das Fort Shirly schaue ich mir nur aus der Ferne an. Ich will keine Schwierigkeiten, denn schließlich habe ich mich illegal in das Nationalpark-Gelände geschlichen. Also trete ich den Rückweg an, diesmal auf dem offiziellen Weg. Der Ranger am Eingang kommt mir schon entgegen und ich erwarte eine umfängliche Standpauke. Stattdessen fragt er mich wie mir Dominica gefällt, wie mein Tag war und ob ich den Ausflug genossen habe. Er selbst scheint es auch zu bedauern, hier Tag für Tag zu sitzen und den Besuchern den Zutritt zu verwehren. Ich zahle meine 5 $ und verspreche wiederzukommen, sobald die Parks geöffnet werden.

 

Waitukubuli-Trail 14

Zwei Tage darauf gehe ich noch einmal zurück zu den Cabrits. Dieses Mal will ich mich aber nicht illegal in den Park schleichen sondern das letzte Teilstück des Waitukubuli-Trails laufen. Am Fuß der Cabrits startet der Wanderweg, führt am Fuß des Eastern Cabrits durch ein Sumpfgebiet bis zur gegenüberliegenden Duglas Bay, weiter entlang der Küstenstraße über Tucari bis zum Cannor Heritage Park, dem nordwestlichsten Zipfel der Insel, insgesamt knapp 10 km ohne nennenswerte Auf- oder Abstiege. Ich sollte mir echt angewöhnen solche Touren, auch wenn sie als sehr leicht eingestuft werden, schon zum frühen Morgen in Angriff zu nehmen. 11:00 Uhr ist es schon wieder drückend heiß. Um so angenehmer empfinde ich die schattige Kühle, als ich auf den Pfad zum Sumpfgebiet einbiege. Die Bäume und Palmen bilden ein luftiges Blätterdach, unter dem es überall zwitschert, raschelt, wuselt und zirpt. Kolibris sausen zwischen den Bäumen hindurch, Eidechsen und kleine Leguane flüchten sich ins Gestrüpp und aus den unzähligen Löchern im Boden lugen die Scheren oder Augen von hunderten Krabben hervor. Die kleinen rosaroten Krabben haben wir ja schon in Grenada gesehen und dabei festgestellt, dass sie einfach unglaublich flink sind. Man muss schon eine ganze Weile ruhig an einer Stelle stehen und warten, bis sich die Tierchen vorsichtig aus ihren Höhlen heraus trauen. Wenn ich mir hier aber die Größe der Löcher so anschaue, möchte ich gar nicht wissen, wie groß die Krabben hier sind! Tellergroß mit einem enormen Haufen von ausgegrabener Erde…. Die Krabben müssen beeindruckend sein.

 

Nach 20 Minuten bin ich durch das Feuchtgebiet durch, wieder erwarten absolut Moskitofrei, und stehe am Südende der weiten türkisblauen Duglas Bay. Die Bucht ist für Yachten absolut tabu um die wenigen noch erhaltenen Corallenriffe zu schützen. Vom Strand aus oder per Dinghy kann man beim Schnorcheln hier die Zeit vergessen. Der Trail führt weiter am Strand entlang, eine leichte Brise weht vom Meer her, es ist alles so unglaublich ruhig und friedlich und ich denke mir, dass selbst an diesem für dominicanische Verhältnisse unspektakulärem Fleckchen der Name „Nature Island“ allen Erwartungen gerecht wird. Palmen wiegen sich sanft im Wind, die Wellen glitzern in allen denkbaren Nuancen von grün über türkies bis rosa, Kolibris vollführen Kunstflüge um an den knallroten Blüten in der Luft zu schweben.

Das Naturparadies endet jäh hinter der nächsten Biegung als ich plötzlich auf ein penibel gepflegtes Anwesen trete und mich in den Freianlagen des Cabrits Resort & Spa Kempinski befinde, einer 5-Sterne Anlage wie man sie in Hochglanzmagazinen finden kann. Natürlich, beste Lage, weit weg von den Menschen die hier leben, privater Anlegesteg, Infinity-Pools zwischen den Gästehäusern, offene Beachbars und Edelrestaurants mit Blick auf die Bucht … wer sich so richtig was gönnen will und ungestört unter Seinesgleichen die Dollars verbrennen möchte, ist hier genau richtig. Immerhin haben die finanzkräftigen Investoren doch ein kleines Zugeständnis bei der Wahl des Standortes machen müssen und so führt der Waitukubuli-Trail weiterhin direkt am Strand über das Hotelgelände. Die Anlage steht jedoch wie alle Gästehäuser aus Mangel von Touristen durch den Lockdown leer und so kann ich ungestört zwischen den durchgeplanten Freianlagen herum spazieren. Irgendwie surreal, der einzige Gast in einem Resort zu sein, in dem ich mir wahrscheinlich nicht mal einen Moijto leisten könnte … oder wöllte.

Die künstlich aufgehübschte Symphonie aus Designerstühlen, Moet-Champagnerkühlern und von Palmen verschattetet Separets endet plötzlich wie es kam und der Trail geht weiter über Stock und Stein unter Mandelbäumen entlang der Bucht. Irgendwann mündet der Pfad auf die Küstenstraße und die flirrende Hitze trifft mich wie ein Schlag. Ein kurzer Blick auf den weiteren Streckenverlauf zeigt, dass es von hier die nächsten 5 km auf der Straße weiter nach Norden geht. Ich könnte zwar für den Rückweg ein Sammeltaxi nehmen aber viele Strecken werden derzeit gar nicht mehr befahren, da die maximale Personenanzahl von 3 Fahrgästen für die Sammeltaxi-Betreiber einfach nicht mehr lohnt. Also lege ich mich für eine Stunde im Schatten großer Kokosnuss-Palmen an den Strand, schaue auf die Wellen und genieße einfach nur den Tag. Was für ein Glück, während dieser komplizierten Zeit ausgerechnet auf einer karibischen Insel gelandet zu sein, die uns trotzdem so viele Freiheiten gewährt!

Mein schönstes Ferienerlebnis – Endlich Schnorcheln

Das „May-Day“-Wochenende vergeht unspektakulär, was soll man auch groß machen wenn man für 4 Tage nicht vom Boot runter kann. Anders als an den vorherigen Curfew-Wochenenden fällt mir aber schon nach zwei Tagen so richtig die Decke auf den Kopf, zu entdecken bleibt jetzt nur die Unterwasserlandschaft. Dumm nur, dass ich mich beim Schnorcheln anstelle, als würde ich gerade mein „Seepferdchen“-Abzeichen machen. Meine bisherigen Versuche, mit Schnorchel im Mund und Taucherbrille im Gesicht, endeten in einem panikartigen Hyperventilieren, Schniefen und Schnaufen, Salzwasser in den Augen und der Nase. Ich ärgere mich über mich selbst und die Langeweile bringt mich letztendlich dazu, die Sache nochmal ganz in Ruhe anzugehen. Wo mein Problem lag, kann ich mir im Nachhinein tatsächlich nicht mehr erklären denn nach wenigen Minuten geht alles wie von alleine und mir erschließt sich nun auch endliche eine Welt, von der ich bisher nur staunend und ein wenig neidisch gehört habe. Da ist es wieder, das Entdecken! Stundenlang geht’s nun auf „Tauchfahrt“ auch wenn die Vielfalt unter dem Boot nur ein winziger Ausschnitt dessen ist, was wir in den folgenden Tagen am Rand der Bucht zwischen den Felsen oder später beim Schnorcheln in der Secret Bay finden.

Inseltour mit Spesh (Calibishi, Marigot, Cabrit Territory, Jacko Step, Massacre, Mero Beach, Coconut Beach)

Offiziell sind Touren noch so eine Sache aber man darf zu Zweit ein Taxi nehmen. Speshi bietet uns an, eine Tagestour mit ihm in den Nordosten der Insel, zum Cabrits Terriory im Osten und über die zentralen Berge zurück an die Westküste zu unternehmen. 600 EC$ sind schon ne Stange Geld, allerdings werden wir den ganzen Tag unterwegs sein und viel sehen, was per Sammeltaxi nie zu schaffen ist. Zudem haben wir in den letzten Wochen so gut wie keine Ausgaben für derartige Unternehmungen gehabt. Größtes Problem ist die Uhrzeit, 7:30 Uhr beginnt hier für die meisten Locals spätestens der Tag. Wir sind gar nicht böse darum, dass es die erste Stunde gemütlich im Auto über kurvenreiche, bergige Straßen nach Calibishi an der Nordküste geht. Die Türen sind kaum zu als Spesh in den Tourguide-Modus schaltet: „Welcome to Dominica, the Nature Island! On your right side you see ….“ Wir bekommen einen Crashkurs in Geschichte, Naturkunde und Kulturgeschichte, zu jedem Fluß weiß er etwas zu erzählen, zu jedem der einzelnen Estates, durch die unser Weg führt, kann er die Besitzverhältnisse erklären, ob die Farm noch wirtschaftet, was angebaut wird und wieviel. Dabei schweift er immer wieder ab und berichtet über die politischen Verhältnisse, nicht ohne seinen deutlichen Unmut darüber zum Ausdruck zu bringen. Welche Unternehmen, Konzerne oder fremde Regierungen auf Dominicas Geschicke Einfluss nehmen, wer davon profitiert, was dabei auf der Strecke bleibt. Die Spuren der Verwüstung durch Hurrikan Maria werden je näher man der Nord- bzw. Ostküste kommt immer deutlicher, vieles konnte mit internationaler Hilfe inzwischen wieder aufgebaut werden. Allerdings scheint die Hilfe nicht rein aus Großzügigkeit geflossen zu sein, die Präsenz asiatischer Firmen und Konzerne ist unübersehbar.


Den ersten Stopp legen wir in Calibishi ein, einem bunten karibischen Dörfchen im Nordosten. Der Atlantik schlägt hier viel wehementer an die Küste, schroffe Felsen, tief eingeschnittene Buchten mit wunderschönen Ausblicken, es riecht nach Meer, der Wind ist erfrischend und die Palmen wiegen sich im Takt. Speshi hält an der Straße neben einem offenen Pick-Up und beginnt gleich ein Gespräch mit den drei Herren, die hier ganz entspannt an der Ladeklappe lehnen. Überhaupt scheint er hier jeden zu kennen, schon während der Fahrt grüßt er ständig Passanten oder uns wird etwas unverständliches hinterher gerufen, was er mit einem kurzen Hupen quittiert. Zum Frühstück gibt’s für uns frische aufgeschlagenen Kokosnuss von der Ladefläche, ein kurzer Plausch mit den drei fröhlichen Herren und wir setzen unsere Fahrt entlang der Küste fort.

Viele der Buchten sind von oben nur bedingt zugänglich, zu steil und zu schroff fallen die Hänge zum Meer hin ab. In einigen Buchten münden jedoch Flüsse und so ist ein Zugang über sehr hoplrige Pfade doch irgendwie möglich. Speshi steuert zielsicher eine der Rumpelpisten an und nach wenigen Minuten sehen wir vor uns den breiten und gemächlichen Lauf des Hampstead Rivers. Der Fluß bringt viel Sediment zum Meer wodurch an der Bucht ein weiter Sandstrand, der Numbre One Beach, entstanden ist. Wir genießen für ein paar Momente die Ruhe, die Natur, schauen auf die Wellen und den Wind und treten dabei fast auf einen giftgrünen Leguan. Zwischen den sattgrünen Pflanzen am Boden kann sich das Reptil so unglaublich gut tarnen, dass nicht viel gefehlt hätte und Martin direkt darüber gestolpert wäre.

 
Über Marigot und Atkinson führt die Tour weiter süd-ostwärts und Speshi verkündet mit einem Mal ein wenig bedeutungsschwanger: „Now we are in Carib territory!“ Dazu muss man wissen, dass den Caribs, bzw Kalinago, wie die indigenen Ureinwohnern auch genannt werden, hier an der Ostküste 1903 ein eigenes Territorium durch die britischen Kolonialherren zugesprochen wurde. Wie man sich denken kann, geschah dies nicht aus reiner Humanität, natürlich waren dem auch hier jahrzehte-, jahrhundertelange Konflikte, Kriege und Auseinandersetzungen zwischen den Ureinwohnern und den Kolonialmächten voraus gegangen. Im Kalinago Territorium leben derzeit noch ca. 3000 Menschen, deren Wurzeln tatsächlich zu den Caribs zurück reichen. Zuziehen ist so gut wie unmöglich und so bleiben die Kalinagos relativ isoliert. Sie pflegen nicht nur ihre eigene Kultur und Bräuche sonder auch eine Art Eigenverwaltung, die ihnen von den Briten zugestanden wurde. Unter Verwaltung versteht man hier den Chief, weitere Verwaltungsstrukturen gibt es nicht. Interessant auch, dass im Gegensatz zum Rest Dominikas, wo jeder Hektar Land zu einem Estate, einer Familie oder einer Einzelperson gehört, hier im Cabrits Teritorium niemand Anspruch auf einen bestimmten Teil Land erhebt, die gesamten 15 km² gehören der gesamten Gemeinschaft. Leider bleibt es uns verwehrt, tiefer in die Kultur einzutauchen denn trotz Selbstverwaltung gelten auch hier die Covid-Restriktionen, wodurch das Museum und das Kulturzentrum schließen mussten. Immerhin gibt’s für uns am Straßenrand ein Calabash-Brot auf die Hand, eine Spezialität, die nur von ganz wenig Bäckerein noch hergestellt wird.


Den letzten Halt an der Ostküste hat Spesh in Castle Bruce geplant, der größten „Stadt“ auf dieser Inselseite. Zielstrebig durchfährt er die Siedlung und stoppt dann am südlich gelegen Sandstrand, wo der breite Castle Bruce River ins Meer mündet. Er zeigt uns am Rand der Bucht einen dichten Mangrovenwald und erklärt, dass ein internationales Consortium hier eine Marina bauen will – was für ein Irrsinn! Die Ostküste ist so rau, der Atlantik drückt auch heute bei moderatem Wind eine hohe Dünung in die Bucht. Um hier in Ruhe vor Anker oder an einem Steg zu liegen, müssten massive Wellenbrecher errichtet werden. Ganz zu schweigen davon, dass Stürme oder Hurrikans in der Regel immer als erstes auf die Ostküste treffen.

Von hier aus geht’s die gesamte Ostküste zurück nach Atkinson und wir folgen nun dem Pagua River landeinwärts. Der gut ausgebaute Dr.-Nicholas-Liverpool-Highway windet sich in unzähligen Kurven und Serpentinen hinauf ins Central Forest Reserve. Unser Tourguide hatte uns von 7 verschiedenen Vegetationsarten auf Dominika berichtet und tatsächlich erscheint die Natur, die Bäume, Farne, Pflanzen ganz anders als an der Ost oder der Westküste. Unter den dichten Blättern ist es kühl und dunkel, aus den Senken zwischen der zerklüfteten Berglandschaft steigt Nebel empor. Wir fahren durch dichte Wolken, die am zentral gelegenen Massiv hängen bleiben und durch ihren ausgiebigen Regen einen für mich scheinbar undurchdringlichen Wald formen. Irgendwann lichtet sich die dichte Vegetation wieder und läßt das Meer hin und wieder zwischen sattgrünen Bäumen hindurch blitzen. In langen Serpentinen führt uns der Highway der Westküste entgegen, von weitem sind Roseau, Canfield und Belfast zu erkennen.

Auf der Küstenstraße im Westen Dominikas angelangt, biegt Speshi eine kleine holprige Piste ab und führt uns zu einem ziemlich verwilderten Strand. Der Ort mit einem markanten Felsen vor der Küste wird Massacre genannt, da hier eine der entscheidenden Schlachten zwischen den Briten und den Franzosen ausgefochten wurde. Die Truppen des Commonwealth liefen hier in einen clever ausgeheckten Hinterhalt und wurden – wie der Name schon andeutet – massakriert. Oder war es umgedreht… ich weiß es nicht mehr. Die Geschichte zwischen Franzosen und Briten wechselte so häufig in der Karibik, dass man da schon mal den Überblick verlieren kann…


Der Küstenhighway würde uns recht schnell nach Portsmouth zurück bringen aber Speshi zieht es vor, die kleineren Seitenstraßen zu befahren, die uns durch eine Vielzahl von typisch karibik-bunten Dörfern und Städtchen bringt. Mahaut, Layou, St. Josphef, Mero, Baroui, Coulibistri. Kein Ort, in dem er nicht angesprochen wird, kein Ort in dem er nicht irgendjemanden anspricht. Gut, mehrheitlich sind es Frauen oder es ist ein kurzer Plausch durchs offenen Autofenster, bei dem es meistens um Canja geht. Wir halten zwischendurch noch das eine oder andere Mal, Mittagspause am Strand von Mero, Fotos machen am Layou River, in der Macoucherie Estate Distillery nach Rum fragen (leider erfolglos, es sei denn wir nehmen ein ganzes Fass), und zum Schluss Mandeln am Coconut Beach knacken, die gerade frisch vom Baum gefallen sind.

 

Obwohl die Zeit schon ein wenig drängt, hält Speshi dann doch noch einmal den Waagen auf staubtrockener Straße und es gibt hier eigentlich nichts zu sehen; links unter uns die Küstenlinie und rechterhand steiles, trockenes Gelände … und eine Leiter. Einige Meter über uns taucht ein Kopf auf, Speshi wird gerufen und heran gewunken. Der nette Herr mit freiem Oberkörper grüßt auch uns freundlich und zeigt an, dass wir die Leiter hochsteigen sollen. Auf dem kargen Acker angekommen, staune ich nicht schlecht. Hier hat tatsächlich jemand eine Art Feld angelegt. Marcus, den alle nur Jackpot nennen, hat hier zusammen mit einem Kumpel vor ein paar Wochen angefangen, das Gestrüpp zu roden, Terrassen angelegt und Bewässerungsrohre verlegt. Wir bekommen natürluch ganz stolz jedes kleine Pflänzchen gezeigt, eigentlich alles um sich selbst versorgen zu können. Auf dem steilen Hang steht eine für mich winzige Hütte, ein paar Bretter, eine Feuerstelle, ein paar Planen – fertig ist das Wochenendhaus einer ganzen Familie. Aus dem Verschlag lucken zwei Jungs mit großen Augen hervor, die Mama ist gerade am kochen. Selbstverständlich sollen wir zum Essen bleiben und so sitzen wir wenig später mit unseren Schüsselchen auf den Knien alle zusammen im Schatten vor der Hütte. Meine ganze Aufmerksamkeit genießt allerdings ein unglaublich niedlicher, junger Welpe, der sich zuerst über meine Flip-Flops, dann über meine Füße, Martins Kamera und dann meine Kamera her macht.  Jackpot erzählt, dass er ein Casino in St. Joseph betreibt bzw. betrieben hat. Während Ausgangssperre herrscht, zieht er sich mit seiner Familie hier auf dieses karge Stückchen Land zurück, genießt es draußen zu sein, pflanzt ein paar Nutz- und sehr viele Genusspflanzen an und freut sich, nicht in seinem Appartement sitzen zu müssen – ist ja auch ein schöner Ausblick hier oben, nur eben bissl trocken.

Der letzte Halt am Coconut Beach bietet einen ganz besonderen Ausblick auf den Cabrits National Park und unserer Anchorage. Allerdings bleibt hier doch ein hässlicher Wermutstropfen, den uns Spesh wahrscheinlich nicht ohne Grund zeigen wollte. Wenige Meter hinter dem breiten, weißen von Palmen gesäumten Strand erhebt sich eine Großbaustelle eines namhaften Hotelkonsortiums. Unserem Tourguide ist anzumerken, das er wie viele andere mit denen wir ins Gespräch kamen und später noch kommen werden, um den Ausverkauf ihrer schönen Insel fürchten. Er erzählt uns, dass es auch auf Dominika so etwas wie Bürgerbeteiligung „light“ gäbe, allerdings mit wenig Erfolg auch wenn das Votum eindeutig ist. Der Tourismus ist eine boomende Branche, die vor so einem einzigartigen Kleinod wie Dominika nicht Halt machen wird, zu groß sind die möglichen Gewinne. Andererseits sehen wir gerade in diesen Wochen, was mit einer Volkswirtschaft passiert, wenn das wichtigste Standbein von jetzt auf plötzlich weg fällt. Vielleicht hat ja diese Krise auch etwas gutes, und es werden Alternativen zum gewinnorientierten Tourismus auf Dominika gefunden…

 

Indian River Trail

Dem Indian River, Portsmouth’s wichtigstem Naturreservat und Besuchermagnet, könnte ich einen eigenen Blogbeitrag widmen und das nicht nur auf Grund der einmaligen Naturlandschaft sondern besonders wegen der eindrücklichen Geschichten und Begegnungen. Dominikas einziger Fluss, der per Ruderboot entdeckt und erkundet werden kann, hält eine unglaubliche Vielfalt an Pflanzen, Blumen, Fischen, Vögeln und allen voran Krabben vor. Die märchenhafte Kulisse war zudem der perfekte Ort für einige Filmszenen der „Pirats of the Caribbean“ Filmreihe. Calypsos Shak wurde zwar von Maria 2017 mit den Fluten des Indian Rivers davon geschwemmt, aber an gleicher Stelle nachträglich wieder aufgebaut und wird von den Locals gerne als ganz besonderer Ort für Hochzeitsschließungen genutzt – man muss schon Humor haben um das Haus einer vor Liebe verrückten Hexe als Standesamt zu nutzen … ich mag die Dominikaner!

Die Ruderboot-Touren sind wegen des Lockdowns nicht möglich und ich will keinen Ärger, daher lasse ich die Idee bleiben, selbst mit dem SUP in den Fluss zu fahren. Als Marcus vor einigen Wochen noch das Glück hatte, dass die Tourguides ein Auge gegen Cash zu gedrückt haben und ihn alleine losziehen ließen, ist eher unwahrscheinlich. Kontrollen werden mittlerweile verschärft durchgeführt und ich will niemanden in Schwierigkeiten/in Versuchung bringen. Es gibt ja zum Glück einen kurzen aber gut ausgebauten Wanderweg durch den Sumpf zur Bushbar an der auch die Paddelboot-Touren enden und den ich finden sollte. Am Rand des Ortsteils Glanvilla beginnt in der hintersten Ecke eines großen dreckigen und lauten Bauhofs der Pfad. Schon wenige Meter auf dem brandneuen Holzsteg, der zum Schutz über die verschlungenen Wurzeln der Mangroven gebaut wurde, reichen um den Lärm hinter sich zu lassen und in eine Art Märchenwelt einzutauchen. Leider weiß ich bis jetzt nicht, wie diese Bäume genau heißen, aber ich habe noch nie ein solches Wurzelwerk gesehen. Traumwandlerisch genieße ich die Ruhe, die Schönheit der Natur und kann immer nur wieder staunen. Nach den längsten 500m meines Lebens in denen ich immer wieder stehen bleibe, Fotos mache, auf die Geräusche lausche, das besondere Licht einzufangen versuche, lichtet sich der Wald und der Pfad führt weiter, vorbei an Palmen und Blumen, Kolibris begleiten meinen Weg. Schließlich blitzt zwischen den Sträuchern das erste Wasser des Flusses durch und über eine kleine Brücke führt der Pfad parallel zum Indian River zur Buschbar.

   

Die Anzahl und Vielfalt der Blumen nimmt zu, scheinbar hat hier jemand Hand angelegt aber ohne der Natur ins Handwerk zu pfuschen. Und dann taucht zwischen den Bäumen die Bush-Bar auf, ein Ort der kaum mehr Friedlichkeit und Naturverbundenheit ausdrücken könnte. Natürlich ist die Bar geschlossen aber ich bin nicht alleine hier. Tessa, eine der Angestellten, kommt mir entgegen und ich frage ob ich was trinken möchte. Naja, die Bar ist zu aber hier bekommt jeder was zu trinken. Sie bittet mich kurz Platz zu nehmen und verschwindet. Vom Anlegesteg kommt ein großer, durchtrainierter Typ auf mich zu, Machete in der einen und eine riesige Krabbe in der anderen Hand. Ich erkenne ihn gleich, das ist doch Bojo, den Marcus damals im Indian River getroffen hat. Also spreche ich ihn an, erkläre wer ich bin und er freut sich wie ein kleines Kind als ich den Namen „Marcus“ Namen erwähne. Er kann sich natürlich noch an den gemeinsamen Nachmittag mit ihm, die entspannten Gespräche und natürlich das Geld erinnern, welches er bekommen hat. Er bedankt sich wieder und wieder überschwänglich, sagt, dass er zum Arzt gehen konnte und seine Bauchschmerzen fast weg sind, da auch die Medizin noch drin war. Ich kann gar nicht so schnell folgen, wie er mich zum Indian River führt, wo er ein neues Netzt gerade repariert, welches er auch noch besorgen konnte. Tessa ist auch wieder da und drückt mir ein großes Glas „Dynamite“ in die Hand – bei dem Drink ist der Name Programm. Bojo will alles wissen, wie es Marcus geht, ob er mal wieder kommt, was er so macht, und so weiter und so weiter. Die Zeit rinnt dahin, die Dynamites in mich rein. Bevor es mich von diesem leckeren Teufelszeug ganz ausknockt, will ich mich lieber wieder auf den Heimweg machen. Aber das kommt gar nicht in Frage! Wenn ich schon mal da bin möchte mir Bojo gerne den ganzen Jungle zeigen, normalerweise ist für Besucher an der Buschbar Schluss. Also gehts mit leicht wackeligen Beinen immer weiter am Indian River entlang auf Pfaden, die ich nie im Leben selbst gefunden hätte. Wir wechseln mehrfach die Flussseite, waten durchs Wasser oder balancieren über Baumstämme. Immer wieder bleibt er stehen und zeigt mir schwarze, rote, blaue oder weiße Krabben. Ein besonders großes Exemplar fasziniert mich gerade als er mit blitzschnellem gezielten Handgriff die Krabbe aus dem seichten Wasser holt und mir ganz stolz vor die Nase hält. Bitte schön, kannste haben! Wie, was, was soll ich denn damit machen? Naja, ich breche ihm die Scheren ab, dass dich die Krabbe nicht verletzen kann und dann steckst du die in deinen Rucksack. Ich fang dir auch noch drei oder vier, das ergibt dann ein gutes Abendessen! …. Whaaat!? Ich bedanke mich artig und erkläre ihm, dass ich keine Ahnung von der Zubereitung habe. Zudem ist es bei uns verboten, lebende Tiere zu verstümmeln oder zu quälen und sie erst später zu essen. Bojo versteht das gar nicht aber lässt die Krabbe wieder laufen, für heute hätte er schon genug, die in einer Tüte rumkrabbeln.

Irgendwann stoppt Bojo auf einer relativ ebenen kahlgeschlagenen Fläche mitten im Urwald und zeigt mir stolz sein Gemüsebeet… ich bin sprachlos. Diesen Busch, diese dichte Vegetation zu beräumen scheint ein echter Kraftakt gewesen zu sein. Zu meinen Füßen wachsen Tomaten, Gurken, Salat, Dascheen, Yam, Zuckerrohr. Nach einem ausgeklügelten System, je nachdem wie hoch das Grundwasser durch den Fluss steigt oder fällt, hat Bojo hier Unmengen von Setzlingen vor gar nicht all zu langer Zeit gepflanzt. Auch jetzt hat er einen Sack mit, ich glaube es war Zuckerrohr. Er stellt ihn ab und meint, er würde später nochmal herkommen um diese einzupflanzen. Das könnten wir doch jetzt gleich machen, wende ich ein. Ein kurzer kritischer Blick von Bojo und dann geht’s auch schon los. Mit einer ollen aber riesigen Hacke haut Bojo auf die trockene Erde ein, drückt mir die Machete in die Hand und zeigt mir wie ich den tiefen Wurzeln im Erdreich zu Leibe rücke. Wenn ich so daran zurück denke, muss ich noch immer lachen. Eigentlich wollte ich nur ein wenig spazieren gehen und plötzlich stehe ich mit einer Machete bewaffnet mitten im Jungel, neben mir ein Hühne von Cariben mit einer Spitzhacke und wir pflanzen Zuckerrohr auf einer halblegalen Plantage…


Auf dem Rückweg lässt es sich Bojo nicht nehmen, mir noch seinen größten Schatz zu zeigen – richtig, seine Marihuana Pflanzen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass mir damit eine wirklich große Ehre zu Teil wird, auch wenn das in anderen Ländern nur mit Kopfschütteln quittiert werden würde. An der Buschbar läuft mir Tessa nochmal über den Weg, die ihrem Sohnemann gerade eine Standpauke hält. Der Teenie hat sein Telefon irgendwo ins Wasser fallen lassen und nun will es natürlich nicht mehr. Ich erkläre ihm kurz, dass wir da vielleicht auf dem Boot ne Möglichkeit haben, um dem Telefon wieder Leben einzuhauchen. Der Teenie strahlt und ich muss versprechen, so schnell es geht wieder zu kommen. Auch Bojo fragt mehrfach nach meinem „husband“ und möchte uns bald wieder sehen. Ich muss ihm versprechen, in zwei Tagen mit Martin zurück zu kommen. Er will unbedingt für uns kochen, Krabben mit Calalou, DAS Nationalgericht. Ich lasse ihm noch ein kleines Deposit da, was hier wohl üblich ist, auch wenn man eingeladen wird. Egal, ich freu mich drauf. Den Rückweg brauche ich, um die letzten Stunden erst mal zu verarbeiten. Als mich der Jungle wieder ausspuckt und ich auf dem staubigen Bauhof stehe, habe ich das Gefühl als wäre ich gerade durch eine Zaubertür aus einem Märchenwald gepurzelt….

Am Samstag Mittag machen wir uns dann zu Zweit auf den Weg zur Buschbar. Vorher aber muss mal schnell noch an Bord der „Piano“ der Außenborder in Gang gebracht werden. In der Bucht hat es sich recht schnell herumgesprochen, dass Martin ein gutes Händchen für derlei Probleme hat. Während Martin also an der Maschine werkelt und Malcom ihm dabei über die Schultern schaut, plaudert der 75jährige Brite in seinem unvergleichlichen englischen Slang von seinem Leben. Dabei merkt er ganz beiläufig an, dass er doch über ein wenig Seglerfahrung verfügt und vor wenigen Jahren im Rahmen einer Regatta einmal um die Welt gesegelt ist – gegen die Hauptwindrichtung, Respekt! Malcom und Sue werden in den folgenden Wochen öfter unser Gäste sein oder wir zum Sundowner auf die Piano eingeladen. Für uns als „Blauwasser-Neulinge“ sind die Geschichten der erfahrenen Langfahrtsegler einfach immer wieder spannend und faszinierend.

Auf dem kurzen Spazierweg durch den Jungle kommt uns Bojo auch schon freudestrahlend entgegen. Er begrüßt Martin wie einen jahrelangen alten Freund und quasselt munter drauf los: Welche Blumen hier stehen, welche Sträucher er gepflanzt hat, wo seiner Meinung nach noch ein paar Mangobäume stehen könnten, und so weiter. An der Bar gibts gleich erstmal zur Begrüßung einen Dynamite und Tessa Sohn schaut den großen weißen Mann mit den verstrubbelten Haaren fragend an. Richtig, sein Telefon hatte den Dienst versagt und ich hatte ihm angeboten, dass wir uns darum kümmern werden. Sollte es nicht funktionieren, habe ich ihm eines unserer sehr alten Ersatzhandys (Danke Mama!) mitgebracht. Die Augen fangen an zu leuchten und der Teenie stürzt gleich los um es irgendwo aufzuladen. Bojo verabschiedet sich ebenfalls für ein paar Minuten, er will losgehen um unser Mittagessen zu fangen … Martin und ich bleiben derweil im Schatten der Bäume sitzen, lassen den Ort und den Dynamite auf uns wirken, beobachten am Fluss die Krabben und versuchen Kolibris mit der Kamera einzufangen. Wenig später kommen Karen und Steve von der „Soulshine“ noch vorbei, ich habe inzwischen von Dynamite auf den weniger straffen Rum gewechselt. Zwei Esser mehr sind auch kein Problem, den Bojos Ausbeute an Krabben ist beachtlich. In einer großen Tüte zappeln an die 20 Stück, schwarze natürlich, denn diese sind angeblich die besten. Dann geht alles sehr schnell und trotz der präzisen Handgriffe nichts für Zartbesaitete: Zuerst wird die große kräftige Schere abgebrochen, die bei unsachgemäßer Handhabung auch schon mal einen Finger abtrennen kann. Danach werden die restlichen Beine aus dem Körper der Krabbe gedreht und es landet alles in einem großen Topf Wasser. Den Teil mit „zuerst wird die Krabbe betäubt bzw. getötet“ habe ich nicht vergessen, nein, es gibt ihn einfach nicht …. 20 Minuten später sind sie definitiv tot und werden von Tessa auf einem Bett von Calalou mit Reis und gesüßten Bananen serviert – sooooo gut!


Bojo läßt es sich im Anschluss nicht nehmen uns durch den Jungle zu führen. Dieses Mal ist es weniger unwegsam und wir verlassen das Sumpfgebiet recht schnell um auf einer großen verwilderten Bananenplanage seinen Ausführungen zu lauschen. Auch hier ist für mich kein Weg erkennbar aber wir erreichen tatsächlich eine Art Wirtschaftsweg, den Bojo mit uns bergauf nimmt. Hier oben sei einer der besten Plätze um Parrots, Dominikas Nationaltier, zu beobachten. Wer sich Dominicas Flagge schon einmal genauer betrachtet hat, dem sollte der Papageienvogel in der Mitte aufgefallen sein. Tatsächlich sehen wir hoch über uns einige der putzigen Vögel ihre Runden kreisen. Bojo erklärt uns, dass sie nur noch selten tiefer fliegen, da einige Farmer trotz harten Strafen die Papageien abschießen. Die intelligenten Parrots lieben Passionsfrüchte, deswegen lieben Bauern keine Parrots. Kurz vor Sonnenuntergang werden wir dann noch mit einem herrlichen Ausblick über die Prince Rupert Bay belohnt und der niedrige Sonnenstand zeigt uns an, dass wir schleunigst zurück zum Boot müssen, ab 18:00 Uhr herrscht Ausgangssperre.

Indian River – Boattour

Ein paar Tage später holt uns Speshi vormittags am Boot ab. Nachdem wir den Indian River schon ein wenig per Fuß erleben konnten, wollen wir das Biotop nun von der Wasserseite aus sehen. Bevor Covid hier alles zum Erliegen brachte, waren die Bootstouren Spesh’s wichtigste Einnahme und so wundert es uns nicht, dass er direkt, nachdem wir die Brücke mit seinem Ruderboot passiert haben, in den Tourguid-Modus wechselt: „Welcome to Dominica! We are now on the Indian River. Dominica has 356 rivers …“ Wir merken, wie er plötzlich in seinem Job aufgeht und gar nicht mehr aufhört zu reden, zu erklären, uns auf Pflanzen und Tiere hinzuweisen. Wie gesagt, für Naturliebhaber ist der Indian River ein echtes Juwel. Natürlich bringt er uns auch zu Calypsos Shak und erzählt, dass er Jonny Depp und Keira Knightly persönlich hier getroffen hat – es sei ihm gegönnt! Per Ruderboot gleiten wir fast lautlos über den Fluß, keine Krabbe, kein Eidechse, kein Vogel werden gestört oder aufgeschreckt. Was mich dabei wundert: Das Holzboot ist für reichlich 10 Personen ausgelegt und wird schon ohne Gäste gute 500 kg auf die Waage bringen. Die Tourguides sitzen dabei hinten am Heck und rudern vorwärts, also Bug voraus. Wer das schon mal probiert hat, wird wissen, dass das echt schweißtreibend ist.

Natürlich darf der Stopp an der Buschbar nicht fehlen. Für uns die Gelegenheit, das von Martin reparierte Handy zu übergeben. Leider sind sowohl Tessa als auch ihr Sohn nicht da, aber Bojo macht große Augen und staunt nicht schlecht über Martins Geschick. Ich meine hier hat er dann auch den Spitznamen Dr. Martin bekommen, den Spesh jetzt regelmäßig verwendet. Seitdem wird er immer wieder gefragt, ob er vielleicht mal das eine oder andere Smartphone unter die Lupe nehmen kann, oder den Außenborder, oder den Generator, oder die Schlagbohrmaschine, …. Reichlich zweieinhalb Stunden dauert die Tour im Indina River per Boot und wir haben noch so viel mehr gesehen, als auf unserem Spaziergang. Der Spaß ist natürlich nicht ganz günstig und ich bin mir auch nicht sicher, ob wir einen Corona-Aufschlag bezahlt haben, aber der Ausflug hat sich absolut gelohnt und ist mehr als empfehlenswert.

   

Secret Bay

Da der Tag noch jung ist und wir nach den vielen Stunden Bootsquarantäne hungrig auf neue Eindrücke sind, geht’s mit Spesh und Jerome gleich im Anschluss weiter ans Südende der Bucht zu Secret Bay. Diese ist nur per Boot zu erreichen und somit ist man meist alleine. Ein herrlicher Sandstrand, türkisblaues klares Wasser und perfekte Schnorchelbedingungen. Mit Speshis 40 PS Maschine dauert die Überfahrt keine 10 Minuten, der Wind weht uns um die Ohren, die Küste fliegt an uns vorbei, es macht einfach Spaß, so über die Wellen zu reiten. Ein wenig mahnt uns dann doch wieder die (Jahres-) Zeit bzw. die Hurrikan Saison da am Strand mehrere Schiffswracks die gewaltige Wucht der Wirbelstürme deutlich machen.

Zur Secret Bay kann oder brauche ich gar nicht so viel schreiben, mir würden wahrscheinlich gar nicht die richtigen Wörter einfallen. Ich denke, die Bilder sprechen für sich: ein perfekter Tag an einem perfekten Strand – Karibik vom Feinsten!

Mit diesen vielen Zeilen, Gedanken, Geschichten sind gerade einmal die ersten beiden Maiwochen erzählt. Die folgenden Wochen sind mindestens so erlebnisreich. Ich entdecke den Picard River, wir verbringen ein Wochenende in den Bergen bei Spesh, Clement kocht für uns „Broth“, wir machen eine Angeltour, einen Dinghy-Drift mit den anderen Yachties, mit Bongo gehts zur Schokoladenfabrik und zu den Red Rocks, und natürlich Wasserfälle, Wasserfälle, Wasserfälle …. das alles gibt es dann im nächsten Beitrag.

Zum guten Schluss aber noch etwas in eigener Sache: Viele fragten uns schon an, wo wir denn sind und wann es für uns Ernst wird mit der Heimfahrt. Tatatataaaaah – ERST NÄCHSTES JAHR!  Ja, richtig gelesen, wir bleiben ein Jahr länger in der Karibik. Zu verdanken haben wir das in erster Linie Martin’s Arbeitgeber und sind nun mehr als erleichtert und dankbar, für dessen Verständnis und Entgegenkommen – in diesen Zeiten nicht selbstverständlich! Auch wenn die Zeichen ganz langsam auf Entspannung deuten, wäre die Rücktour nach wie vor mit einem für uns nicht kalkulierbarem Risiko behaftet, ganz zu schweigen davon, dass nach bisherigem Stand an keiner Küste ein Landgang möglich wäre und somit die knapp 4.500 sm bis Deutschland zu absolvieren wären, ohne das Schiff verlassen zu können. Doch Dank dem großen Entgegenkommen können wir uns nun voll und ganz auf die nahende Hurrikain Saison konzentrieren. Wir haben uns entschieden, für die kritische Zeit nach Grenada oder Carriacou zu segeln, denn diese Inseln liegen außerhalb des offiziellen Hurrikain Gürtels und wir wären wieder vollumfänglich versichert. Ganz einfach wird dieses Unterfangen trotzdem nicht auch wenn man sich erstmal über ein geschenktes Jahr in der Karibik freuen würde, irgendwie muss die Extrazeit ja finanziert werden … aber das soll jetzt hier nicht Thema sein. Wir freuen uns jedenfalls von Herzen und sind gespannt, was da noch auf uns zu kommt.

 

 

14 Antworten auf „Dominica Teil 5 – auf zu neuen Ufern“

  1. Liebe Claudia, euer letzter Beitrag ist vom 17. Juni!!. Ich hoffe es geht euch gut. Heute ist der 28.06.2020, ein besonderer Tag für Dich. Ich wünsche Dir alles alles Liebe und Gute zum Geburtstag und das Du dir deine Träume erfüllst und das es Dir gut geht und das Du und Martin, wo auch immer ihr gerade seit, gesund beliebt und heil wieder nach Hause könnt, irgendwann einmal.
    Ganz liebe Grüße Andrea Sparig

  2. Hallo Claudia und Martin, wir wünschen dir, liebe Claudia zum Geburtstag und dir lieber Martin nachträglich alles Liebe und Gute, Gottes Segen und Gesundheit und noch viele schöne Erlebnisse und Begegnungen auf eurer Reise !
    Herzlichst Birgit und Mathias

  3. Hallo liebe Claudia,
    zu deinem Geburtstag denken wir besonders an dich und gratulieren dir aus der Ferne. Wir wünschen dir für das kommende Lebensjahr Gottes reichen Segen und Bewahrung, Gesundheit, interessante Erlebnisse, spannende Begegnungen sowie immer eine handbreit Wasser unterm Kiel.
    Viele Grüße
    Frank und Katrin
    PS: Mit Begeisterung lesen wir eure spannenden Beiträge und danken euch, dass ihr uns an eurer Tour teilhaben lasst.
    Bleibt behütet

  4. Hallo liebe Claudia, zu deinem Geburtstag von mir alles Liebe und Gute, mögest du eine schöne Zeit in deinem neuen Lebensjahr haben und viele positive Erlebnisse auf eurer Reise. Im nächsten Jahr gibt es in der Heimat viel nachzuholen, bleib gesund und herzlich umarmt von mir – Maria

  5. Hallo ihr Beiden,
    seit ich von eurem großen Törn erfahren habe, verfolge ich eure Berichte ständig. Sie sind spannender als jedes Buch. Ich freue mich schon immer auf die Fortsetzung. Ihr habt ein gutes Talent, eure Erlebnisse in die richtigen Worte zu fassen und die Bilder dazu zu liefern, ebenso die Videos. Bewegte Bilder lassen den Betrachter eben noch besser am Geschehen teilhaben.
    Liebe Claudia, heute gilt aber ganz besonders DIR dieser Gruß: ganz viele gute Wünsche und Gottes Segen zu deinem Geburtstag. Bleibt behütet auf eurer weiteren Fahrt, übersteht die Hurrikanzeit unbeschadet und findet-eben nun ein Jahr später-gut nach Hause.
    Liebe Grüße
    Steffi

  6. Liebe Claudia, ich wünsche dir zum Geburtstag alles Liebe und Gute, Gesundheit und Gottes Segen. Möge dein neues Lebensjahr voller schöner Erlebnisse sein und ihr eine behütete und glückliche Heimkehr haben. Der nächsten Geburtstag wird wieder in der Heimat gefeiert!!!!!!
    Liebe Grüße
    Evi

  7. Sehr schön wieder einen Bericht von Euch zu lesen. 1 Jahr ran hängen wenn das geht ist natürlich super und für alle Leser interessant. Bleibt halt euer Liegeplatz im Hafen ein Jahr länger frei LG und weiter so Berichten Jens

  8. Hallo Claudi und Martin,

    Vielen Dank auch wieder für diesen interessanten Beitrag, besser als jeder Fernsehabend????. Danke, dass Ihr uns so nah und authentisch an euren Erlebnissen teilhaben lasst und dass Ihr für die „Produktion“ soviel persönliche Zeit opfert. So nach und nach ist Euch wahrscheinlich nichts aus anderen Kulturen mehr fremd. Ich habe mich bei Euch an Bord ja auch überwinden müssen, manches auszuprobieren, was ich bis dato nicht kannte, aber Krabben zubereiten und dann essen? Ich weiß nicht????.? Schön, dass Ihr so offen sein könnt für Neues und Unbekanntes! Ihr bekommt dadurch eine Weltsicht, die man sich nicht anlesen oder anderweitig theoretisch erwerben kann.
    Auch wenn Ihr Euch am Indian River schon mal ein hurricane-hole ausgeguckt habt, hoffe ich inständig, dass Ihr, bis es wirklich ernst wird, gut in Grenada oder Carriacou ankommt
    Bin in Gedanken weiter mit Euch und wünsche Euch noch viele interessante Begegnungen mit den Menschen dort.
    Bleibt behütet
    Uta
    P.S. Vielleicht will Martin doch noch ein Business als „Montage-Allrounder“ zur Finanzierung des zweiten Jahres eröffnen????

  9. Hallo liebe Claudi und Martin, danke für den tollen Bericht und die faszinierenden Aufnahmen. Für mich ein Erlebnis, man fühlt sich manchmal mitten drin und doch weit weg.
    Ich wünsche euch eine gute Segeltour nach Grenada oder Curriacou, um den Hurrikan-Gürtel zu entkommen.
    Und dann mit voller Kraft zu neuen Abenteuern, da habt ihr dann ja zusätzlich noch ein Jahr, ich freu mich für euch….liebe Grüße von mir

  10. Hallo ihr Lieben, besten Dank für den tollen Bericht und die schönen Bilder, hat uns sehr gefreut.Kommt gesund und munter wieder und laßt es Euch gut gehen. lg Mutti und Vati

  11. Liebe Claudia, lieber Martin,
    dass ist doch eine gute Nachricht, das Paradies noch ein Jahr länger erkunden zu können. Und ich wünsche mir, dass ihr uns alle, die hier mitlesen und sehen können, weiterhin mit so lustigen und interessanten Reportagen versorgt. Auf diese Art erleben wir die Karibik mit anderen Augen als in den Reiseprospekten angepriesen. Vielen Dank dafür.
    Jetzt werde ich in nächster Zukunft besorgt auf die Wetternachrichten schauen. Aber ihr habt euch da sicher ausgiebig kundig gemacht, wo man sich “ verstecken“ könnte.
    Ganz herzliche Grüße sendet
    Katrin

  12. Ihr Lieben, ich habe schon sehnsüchtig auf eine Nachricht von euch gewartet. Jetzt bin ich froh, dass es euch gut geht. Der Bericht ist wieder sehr interessant und toll geschrieben.
    Ich denke, eure Entscheidung ist richtig. Das Risiko, jetzt zurück zu segeln, wäre zu groß.
    Macht das Beste draus und bleibt gesund und behütet.
    eure Evi
    Aber irgendwann kommt ihr doch hoffentlich wieder nach Hause!!!!!

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