Dominika Teil 4 – Ausgangssperre, Langeweile, Beschäftigungstherapie

Dominika im April 2020:

Nachdem die 2 letzten Fähren mit dominikanischen Einwohnern, welche in die Heimat zurückgeholt wurden, aus Martinique und Guadeloupe angelegt hatten, war Corona auch hier definitiv angekommen.
Wir sind keinen Moment zu spät in Portsmouth eingelaufen, denn die Regierung hatte mit einer Vorlaufzeit von 2 Stunden erst mal eine 3 tägige Ausgangssperre verhängt. Es gab viele Gerüchte über das warum und weshalb, aber im Endeffekt diente diese Aktion dazu möglichst viele Leute zu isolieren, welche mit den Infizierten in Kontakt gekommen sind.
Da man nicht sicher war, ob man alle „erwischt“ hat wurden vorerst folgende Regeln eingeführt:

  • Ausgangssperre, täglich von 18 bis 6 Uhr
  • Ausgangssperre Freitag 18 bis Montag 6 Uhr
  • nahezu alle Läden, Restaurants, etc. geschlossen
  • kein Alkoholverkauf, kein Sport, keine Gottesdienste
  • Flughafen und Fährterminal geschlossen
  • „social distancing“ und Maske tragen!
  • Segler dürfen nur mit einem Permit (Erlaubnis) an Land und das auch nur für Dinge, die man nur selbst erledigen kann (z.B. Geld holen)
  • von Gründonnerstag Abend bis Dienstag morgen herrscht Ausgangssperre

Man könnte es für einen schlechten Aprilscherz halten, aber nachdem es während der Ausgangssperre wohl einige Partys an Land gab, die auch noch Live via Facebook übertragen wurden, hat die Polizei mal die Richtung vorgegeben und Bußgelder verhängt. Für europäische Verhältnisse mögen die 500 EC (~200 €) jetzt nicht viel erscheinen, aber hier ist das doch schon recht viel Geld. In der Pressemitteilung war noch dazu von bis zu 10.000 EC und 6 Monaten Haft die Rede. Zumindest ist es wohl auch bei den letzten Rebellen sowohl an Land, als auch auf den Booten angekommen, daß diese Reglungen auch durchgesetzt werden.

doch ein ganz schönes „Gefängnis“

Somit beginnt dieser Beitrag am 09.04. zu Ostern. Am Gründonnerstag Morgen haben wir uns von unsere liebgewonnenen „Seepocke“ Marcus mit einem Tränchen im Auge verabschiedet, ihn an Land abgesetzt und den gesamten Tag seine Rückreise nach Deutschland verfolgt. So ganz sicher waren wir uns damals nicht, ob der Flug von Dominica nach Barbados und weiter nach Frankfurt auch wirklich stattfindet. Nachdem Marcus im Laufe des Tages doch nicht wie ein bisschen erhofft, plötzlich wieder am Steg auftaucht, kehrt so etwas wie Ruhe ein. 7 Wochen haben wir zusammen auf Selene gelebt, gelacht, geschnarcht, gebaut, gekocht, geschnorchelt und viel viel Unordnung gemacht.

Erster Task sollte also Aufräumen sein, aber das schiebe ich doch wieder auf, da die „Spurenbeseitigung“ für mich so einen Hauch von „endgültig“ hat. Noch dazu bleibt bei den anstehenden 4 Tagen Boots-Quarantäne genügend Zeit, denke ich mir. Dass ich die Tage ganz andere Probleme haben werde, konnte ja keiner wissen…  Wir haben uns vorab gut von den „Boat Boys“ versorgen lassen und sollten damit weder Durst noch Hunger leiden müssen. Als besonderen Leckerbissen liegen 4 dicke Stücken Schweinekottlett auf dem Grill. Für uns ist es das erste Steak seit Monaten und der erste Eindruck ist gar nicht mal so schlecht. Eigentlich gibt es die eiserne Regel, dass man in den tropischen Ländern keine tiefgefrorenen tierischen Lebensmittel kaufen sollte, da es öfter Stromausfälle gibt, oder die Kühlaggregate gar über Nacht abgeschaltet werden, um Strom zu sparen. Aus diesem Grund war unsere Frage, ob das Fleisch denn frisch vom Schlachter kommt durchaus gerechtfertigt und sie wurde anfangs auch bejaht. Leider kam Bonto, einer der „Boat-Boys“ dann doch mit tiefgefrorenem Fleisch an. Wenn man von der Verarbeitung mal absieht, es handelte sich um eine in Scheiben gesägte Haxe, war das Fleisch durchaus lecker. Diese Ersteinschätzung sollte sich in den nächsten Tagen jedoch als falsch herausstellen. Martin ging es noch einigermaßen gut, aber mich hätte man mit meinem Fieber wahrscheinlich direkt in die Quarantänestation befördert.

10.04.2020 – Tag 1 der Ausgangssperre

Nachdem wir den vorherigen Tag noch ganz entspannt an uns vorbei ziehen haben lassen und ich mich in die neue oder alte Bootsordung, sprich nur zu zweit, wieder einfühle, sickert auch der Gedanke mehr und mehr durch, dass wir die lange Rückreise ohne Marcus machen werden. Eigentlich kein Problem, denn so war es ja ursprünglich auch geplant, nur standen uns damals alle Inseln bzw. Häfen offen. Jetzt sieht die (Segel-)Welt ganz anders aus! Bei zu viel trüben Gedanken bzw. beim Wälzen von Problemen, an denen ich aktiv selbst nichts ändern kann helfen oft ganz banale Tätigkeiten – Aufräumen und Putzen zum Beispiel. So wusel ich durchs Schiff und durchs Cockpit, wo mir erneut ein kleiner Spalt an der Befestigung des Achterstags (das ist das Stahlseil, was den Mast davon abhält nach vorn umzufallen) auffällt. Beim Benutzen der Badeleiter hatte ich das schon vor einiger Zeit gesehen und fand die Stelle irgendwie ein wenig beunruhigend. Martin meinte nur: „Da muß ich mal schauen“ – sozusagen: „Wenns bis jetzt nicht umgefallen ist, wird’s das auch heute nicht mehr machen“.

Um so mehr war ich überrascht, als ich ihn wenig später nicht an Bord finden konnte. Selene ist nicht besonders groß, also gibt es nicht viele Verstecke. Nach kurzer Suche fand ich ihn im Ruderkasten, wo er die Befestigung von innen bzw. unten in Augenschein genommen hat und Entwarnung gibt. Das Achterstag ist wohl durchgehend mit dem Spiegel verschraubt und die Platte, bei der man den Spalt sieht sei nur Zierde. Na mal sehen, wir werden das auf jeden Fall im Auge behalten.

Während wir gerade so mit dem Boot beschäftigt sind, pfeift und schreit es vom Strand zu uns herüber. Aus reichlich 100 m Entfernung und im Ankerfeld für alle hörbar. Martin versucht das so gut es geht zu ignorieren, aber der Lärm an dem sonst völlig verwaisten (und leisem) Strand ist uns gewidmet. Es ist Clement, der wohl irgendwas will. Wir kennen das Spiel, dass auf anderen Inseln die Regularien für alle Segler aufgrund einzelner Querschläger drastisch verschärft wurden und werden deshalb keineswegs zum Strand fahren, um ihn zu fragen was denn los ist. Irgendwann ist dann Ruhe und wir denken gerade nicht schlimmes, als er auf ein mal mit einem alten Surfbrett angepaddelt kommt. Mir fällt in dem Moment der Spruch mit dem Elefant und dem Porzellanladen ein. Anstatt leise und unauffällig zu sein, schreit und pfeift er durch die Bucht. Wir versuchen ihn dazu zu bringen, leise zu sein, was einigermaßen klappt. Er meint er sei Dominicaner und für ihn gilt die Ausgangssperre nicht … aha!? Er habe aber ein „Problem“. Mittlerweile kennen wir Clement so gut, dass, wenn er sagt er habe ein „Problem“, er Geld braucht. Er habe gestern recht erfolgreich geangelt und somit viel Fisch, den er über die 4 Tage Ausgangssperre haltbar machen wolle. Über Elektrizität und damit eine Kühlmöglichkeit verfügt seine Behausung nicht. Er möchte ihn räuchern, habe aber kein Gas. Ich überlege noch kurz wo er heute zum Feiertag, noch dazu mit Ausgangssperre, eine Gasflasche kaufen kann … aber gut, er ist ja Dominicaner daher geht das bestimmt 😉 Wir geben ihm 40 EC für eine Gasflasche und er verspricht uns am nächsten Tag geräucherten Fisch vorbei zu bringen. Wir raten ihm eindringlich davon ab und bis Dienstag damit zu warten, schließlich kann das nicht nur für ihn große Probleme verursachen sondern auch uns. Alleine die Strafzahlung von 500 EC kann der arme Kerl unmöglich aufbringen.

ungewohntes Bild, ein menschenleerer Strand

So plätschert der Tag dahin, bis es kurz vor Sonnenuntergang wieder: „HEY, MARTIN, SELENE!“ durch die Bucht hallt und kurze Zeit später sein blaues Surfbrett in der Bucht auftaucht. Natürlich ist es Clement, der uns geräucherten Fisch bringen muss, weil ihm das seine Frau so gesagt hat. Uns ist das etwas unangenehm, denn wir fühlen uns von den anderen Ankerliegern beobachtet. Unter anderem haben wir gesehen, dass einer unserer Nachbarn „verdächtige“ Bewegungen im Ankerfeld fleißig per Videokamera dokumentiert …
Aber alles geht gut, Clement ist wieder weg und vor uns liegt ein Berg von frisch geräuchertem Tosch, Maria und Lionfisch. Leider hab ich nur gar keinen großen Appetit heute, mein Magen macht noch dazu komische Geräusche … keine Ahnung, was das ist, wird schon wieder besser werden.

Die Langweile auf den anderen Booten und an Land scheint wohl auch überhand zu nehmen. So ist eins der Highlight eine Disco! Start: Abends um 8 auf Kanal 8. Tatsächlich hört man nur kurze Sequenzen völlig übersteuerter Musik, welche im Laufe des Abends von einer Art Karaoke auf Spanisch abgelöst wird. Anfangs ist es schon lustig aber irgendwann wird’s mir doch zu blöd. Vielleicht bin ich da etwas empfindlich, von mir aus auch konservativ oder einfach ne Spaßbremse aber ich frage mich, warum das ausgerechnet heute zum Karfreitag sein muss. Die Übertragung kommt von einer Radiostation an Land und auch hier ist Ostern einer der wichtigsten Feiertage, noch dazu ist das Christentum tief in der Bevölkerung verankert. Aber gut, so ist das eben, andere Länder – andrere Sitten! Ich denke mir: Leben und Leben lassen, setze mich für ne ganze Weile auf unser Vordeck und schaue dem Taschenlampen-Disko-Geblitze auf den wenigen Booten zu, die heute Nacht feiern wollen, genieße die Stille und schaue dann doch lieber das tausendfache Gefunkel am wolkenlosen Nachthimmel an.

11.04.2020 – Tag 2 der Ausgangssperre

Gestern haben wir schon recht viel geschafft, um Selene wieder einigermaßen auf Vordermann zu bringen. Aber es bleibt dann doch die eine oder andere Dreckecke übrig, über die man sonst ganz locker hinweg sieht. Und so knöpfe ich mir endlich mal den Herd vor. Äußerlich schaut dieser echt gut aus, aber wenn man mal einen Blick in die ganzen Ritzen und Falze wirft, an die man sonst sehr schlecht ran kommt, sieht’s schon anders aus. Nicht ungewöhnlich nach täglicher Nutzung seit Monaten. Martin hilft mir das schwere Ungetüm aus der Halterung zu heben und den Gasschlauch zu demontierten. Wenige Schrauben später ist das Teil zerlegt und es kommt etliches an Keim und Schmodder zu Tage – igitt… Das Bodenblech, die Seitenverkleidungen, selbst die Tür mit ihrer Doppelverglasung werden in alle Einzelteile zerlegt. Nach ein paar Stunden Putzen, Rost beseitigen und Lackieren blitzt und blinkt das Teil wieder wie neu!

Natürlich muss nach Anschluss der Gasleitung getestet werden, ob alles wie gewohnt funktioniert – am Besten und zur Belohnung mit Kuchen. Martin lässt sich die Testphase nicht nehmen und sitzt wie ein Hund vor dem Herd um den Backvorgang genau zu beobachten. Naja – wenigstens verbrennt das Teil dann nicht. Ich leg mich derweil mal wieder hin, irgendwas stimmt nicht. Ich hab Kopfschmerzen, bin ziemlich müde, hab keinen Appetit …. wenn noch Fieber dazu kommt und Husten, Atemnot …. nee, kann nicht sein!

12.04. 2020 – Tag 3 Ausgangssperre/Ostersonntag

Für mich persönlich ist Ostern ein enorm wichtiger Feiertag und ich hatte mich während unserer Reise besonders darauf gefreut, zu erleben, wie verschiedene Feste in der Karibik gefeiert werden. Durch die Pandemie und die darauf verhängten Ausgangssperren weltweit, wird hier natürlich auch nichts zelebriert. Am Morgen geht’s mir aber so bescheiden, dass ich mich nicht mal darüber ärgern kann. Wie jede klassische Lebensmittelvergiftung fing es recht harmlos mit ein wenig Bauchgrummeln an den vorherigen Tagen an, Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen und Übelkeit folgten. Nach zwei  weiteren Tagen, in denen ich fast nur geschlafen habe, steigt die Temperatur bis über 39°C, nicht gut. Mir wird die Sache doch etwas mulmig und natürlich überprüft man sofort seine Atmung, tief ein, tief ausatmen, ist da irgendwo ein kleiner Hustenreiz … nee, ich denke nicht … hust, räusper … oder doch?  Was sagt denn Doctor www.? Von Übelkeit und Verstopfung im Zusammenhang mit Corona find ich nichts, Fieber, Kopfschmerzen, Müdigkeit kann ja auch so alles möglich sein. Und so „leide“ ich mich über die nächsten Tage dahin, Nachfragen in der Heimat verkneife ich mir erstmal,  denn womöglich löse ich dort zusätzlich Sorgen aus. Ich bin kein Freund von übermäßigem oder vorschnellem Medikamenteneinsatz aber nach drei Tagen nervt es einfach nur noch und will partout nicht besser werden. Der Gang hier zum Arzt kommt für mich auch nicht in Frage. Nicht etwa weil ich den Medizinern hier nicht vertraue, nein, ich denke bei den so schon knappen Resourcen im hiesigen Gesundheitssystem und der Menge an Medikamenten, die wir an Bord haben, kann ich das auch so auskuriern. So hole ich mir telefonisch doch ein paar Infos bei unserem Artz bzw. unsrer Apothekerin des Vertrauens ein – vielen lieben Dank an Miri und Thoralf! Die beiden beruhigen mich recht schnell, dass es wohl nur wie schon vermutet eine Lebensmittelvergiftung ist und bald besser werden sollte. Zudem gibt’s noch den Tipp, bei Lebensmitteln, die möglicherweise nicht ganz „rein“ sind, besser ein zwei Bier oder einen guten Schluck Rum zum Desinfizieren sich dazu zu genehmigen und immer, immer richtig durchbraten/erhitzen. Das Fieber kommt noch in kleinen Schüben, ich verzichte daher in der kommenden Woche darauf, an Land zu gehen und überlasse Martin alle Besorgungen. Nach Ostern steigt die Zahl der Infizierten trotz der Ausgangssperre erneut auf nunmehr 16 Fälle und bei jedem der vom Boot an Land möchte, wird die Temperatur gemessen. Hätte man mich „erwischt“ wären die Restriktionen für die Yachties insgesamt möglicherweise verschärft worden, die Panik einiger wenigen Lokals vor den Nicht-Dominicanern hätte vielleicht neue Nahrung bekommen. Hätte, Wäre, wenn … wir wissen es nicht genau, sprechen auch mit niemandem in der Bucht darüber und nach 6 Tagen geht’s mir wieder blendend, Fleisch werde ich trotzdem hier keines mehr essen!

15.04.2020

Die Ausgangssperre ist vorbei und die Insel erweckt wieder zu Leben. So ist es eine willkommene Abwechslung mal die Locals beim Fischen zu beobachten. Eine Horde von gut 20 Leuten legt am Morgen ein gewaltig langes Netz quer durch die Bucht, um es anschließend von Land aus wieder einzuholen. Die ganze Aktion wird von viel Geschrei und Gefuchtel begleitet. Zum Schluss landen doch ein paar Fische im Netz. Für die Menge an Leuten und die Größe des Netzes finde ich die Ausbeute jedoch recht mau. Am Abend sehen wir auch wieder Clement mit seinem Kumpel, die wieder mal den ganzen Tag fischen waren. Für mich ist es bewundernswert, wie man jeden Tag für Stunden und Stunden in so einem Boot rausfährt, um ein paar Pfund Fisch zu angeln. Der Preis liegt bei ca. 8 EC pro Pfund. Davon muss er seine behinderte Frau und einen alten Mann, der um die 75 Jahre alt ist, ernähren. Auf diesem Weg irgend eine Menge Geld anzusparen ist wohl völlig utopisch.

Natürlich kommt er auch bei uns vorbei, um uns ein paar Fische aus Dankbarkeit für die kostenlose Leihgabe des Motors zu schenken. Und natürlich hat er die Fische lebend, auf Eis, in seiner Box. Wir sollten uns echt angewöhnen die Fische gleich zu töten und nicht erst in einen Eimer Salzwasser zu legen, bis das Geschäftliche erledigt ist. Denn die paar Minuten sind ausreichend, dass die Lebensgeister der kleinen Mazeln wieder ganz schön in Fahrt kommen. Ist zwar immer schade um die Fische, aber wer Fisch essen will … Dazu kommt, dass sie die Chance hatten nicht auf den Köder zu beißen. Manchmal sollte man eben nicht so verfressen sein.

Durch unseren mittlerweile langen Aufenthalt bekommen wir immer mehr über die Gepflogenheiten und Sitten unter den Leuten mit. Die Spendenaktion für Clement war zumindest ein voller Erfolg. Eigentlich könnten wir ihm den Motor für Lau geben, jedoch wurde uns davon abgeraten. Die Leute würden den Wert nicht wirklich schätzen (können), wenn sie nichts für etwas bezahlen müssten. So lassen wir Clement erst mal in dem Glauben, dass er Geld auftreiben muss und entscheiden dann, wie wir damit umgehen. Mittlerweile kennen wir auch noch andere Leute, die Geld für verschiedenes Zeug brauchen, somit ist es vielleicht auch keine schlechte Idee punktuell verschiedenen Leuten mit einer kleinen Geldspritze unter die Arme zu greifen.

18.04.2020

Wirklich viel passiert in nächsten Tagen nicht, außer das ein Fischer wohl 3 fette Tunfische aus der See gezogen hat. Jedes Exemplar so um die 80 Pfund. In der Bucht fahren mehrere „Boat Boys“ herum. Einer davon ist Spesh, der eigentlich Tourguide am Indian River ist und eine kleine Bungalow-Anlage in den Bergen betreibt. Da keine Touristen mehr kommen fallen für ihn beide Einkommensmöglichkeiten aus. Spech ist aber ein echt cleverer Typ, und – das muss man fairerweise auch sagen, obwohl es ein wenig hart klingt – der erste bzw. einzige Inselbewohner, der nach einer alternativen Geldquelle aktiv sucht. Wie oft haben wir mit Boat-Guys auch auf anderen Insel gesprochen, die sich beklagten, dass ihr Einkommen zu gering sei, da die Konkurrenz einfach zu hoch ist. Sammelt einer den Müll von den Yachten, machen das alle anderen auch. Hilft dir einer beim Mooring aufnehmen, machen das 20 weitere Jungs und erfahrungsgemäß macht der den Job, der den stärksten Außenborder hat, weil er die ankommenden Yachten als erster abfangen kann. Verkauft einer Mangos, verkaufen alle anderen in der Bucht Mangos … Oft haben wir ihnen gesagt: Dann mach doch was anderes, etwas, das noch keiner anbietet. Hier in Portsmouth kam von den vielen nun beschäftigungslosen PAYS-Mitarbeitern nicht einer unaufgefordert vorbei, der z.B. unsere Wäsche erledigen wollte, der Eis liefert, oder Wasser, oder Diesel … Nicht, dass wir das hier nicht organisiert bekommen, die Infrastruktur für die Segler funktioniert uneingeschränkt gut. Wenn wir etwas benötigen, kann man über Funk jederzeit das PAYS-Office anrufen und einer der Mitarbeiter wird sich um das Anliegen kümmern. Aber es ist aus meiner Sicht eben nur ein ganz kleiner Schritt, aus seiner Lethargie heraus zu kommen, auf die Yachties direkt zuzugehen (zu fahren), irgendeine Dienstleistung anzubieten (weil auf den meisten Yachten sowieso immer etwas fehlt) und eben nicht zu warten, bis man um einen Auftrag gebeten wird. Warum das häufig so ist, dass alle das gleiche machen? Nun, ganz einfache Antwort der Lokals: Da es alle machen (immer das gleiche anbieten), funktioniert es ja offensichtlich und man kann ein paar EC verdienen! Und etwas Neues, was Anderes anbieten, was sonst keiner macht? Neee, das kann ja nicht funktionieren, sonst würde es ja schon jemand machen! Um es kurz zu halten: Die Inselbewohner hier und auf den anderen Inseln sind allesamt herzlich, freundlich, meist entspannt und unheimlich hilfsbereit, aber kaum einer ist so richtig geschäftstüchtig oder hat ein Gespür für Business.

Eine große Ausnahme ist dabei Spech. Er leiht sich zwei bis dreimal pro Woche ein größeres Holzboot und fährt von Yacht zu Yacht. Anfangs hatte er ebenfalls Obst und Gemüse aus seinem Garten dabei, dann kamen ein paar speziellere Sachen dazu. Er war der erste, der Kaffeebohnen im Angebot hatte und die Segler haben ihm den ungerösteten Kaffee pfundweise förmlich aus den Händen gerissen. Später kamen Zuckerrohr und Kakao dazu. Er lieferte uns special-flavoured Rum, eine Machete um die wir gebeten hatte, immer wieder Kokosnüsse und Dinge, die sonst weder an Land noch zu Wasser sonst angeboten werden. Wir hatten Spech einmal nach fangfrischem Fisch gefragt, denn uns ist der Zugang bzw. das Anlegen am Fischereisteg nach wie vor untersagt. Frischen Fisch direkt vom Fischer zu beziehen ist momentan also recht schwierig für uns Yachties. Am Tage darauf kam Spech vorbei und hatte … genau, frische Mahi-Mahi-Steaks dabei. So wechselte sein Angebot mehrmals die Woche zwischen Kingfisch, MahiMahi und Tuna  je nachdem, was er dem Fischer draußen noch bevor es an Land geht direkt abkaufen kann.
Heute hat er aber was ganz besonderes dabei, nämlich ein paar „Scheibchen“ Tunfisch. Scheibchen ist etwas untertrieben – ein pizzagroßes Stück von reichlich 1 kg, also mehr als genug für 2 Personen. Wie groß muss bitte der Tuna gewesen sein, um so ein riesiges Steak daraus zu schneiden. Wahnsinn, in welchen Farben das Fleisch schimmert und die Fasern – fast wie die Ringe in einem Baumstamm – das Stück durchziehen. Selbst ungegart möchte man ein Stück abbeißen. Schade, dass wir gerade erst gefrühstückt haben, am liebsten würden wir das gleich jetzt in die Pfanne hauen. Das beste daran ist, ich habe so einen Appetit bekommen, was auch heißt, dass ich wohl wider gesund bin – juhu, doch kein Corona!

Thunfisch-Steak mit Chili-Mango-Salsa und frischem Salat …. mmmmh!

So plätschern die Tage dahin, jeder macht seinen „Kram“, eine Runde ums Boot schorcheln, hier und da mal ein Besuch am Nachbarboot und so weiter. Kurz gesagt: Den anderen Seglern wird auch langweilig und vor allem diejenigen, die Kinder an Bord haben, brauchen nach dem langen Curfew-Wochenende dringend Abwechslung für die lieben Kleinen. Der „Scavenger hunt“ (Schnipseljagt) vor einer Woche, bei denen die Kiddies diverse Dinge in der Bucht finden sollten, war schon mal ein voller Erfolg. Das Ganze hat offensichtlich so einen Spaß gemacht, daß es nach Ostern (=Ausgangssperre) gleich noch eine „Easteregg hunt“ organisiert wurde. Jede Crew die mitmachen wollte, sollte eine Anzahl x Ostereier aus was auch immer basteln und diese auf dem Boot ein weinig versteckt aber doch erkennbar befestigen. Auf Paddelbrettern und Dinghys wuselten die Kids durch die Bucht und um jedes Boot, um auch ja alle versteckten Eier zu finden. Manche eher ein bisschen verträumt, manche wollten auch nur Dinghy fahren und die Eltern suchten die Eier, manche Kids waren investigativ und wie Sherlock Holmes unterwegs.

Das Ganze hat dann zu der Idee geführt auch für die Erwachsenen eine Art „Beschäftigungterapie“ zu erfinden. Ein Name war schnell gewählt:  es sollten „The Olympic Games of Dominica“ abgehalen werden.
Im ersten Teil der Spiele, bei dem die Teilnehmer schon vor Beginn wegen eines heftigen Sommergewitter klatschnass waren gab es die Aufgabe, ein Tauziehen mit dem SUP (Paddelboard) auf dem offenen Wasser zu bestreiten. War schon lustig anzusehen, wie sich die Kontrahenten da abgemüht haben 🙂 Wir haben das Spektakel nur aus der Ferne beobachtet (was im Nachhinein Blödsinn war), da in allen Radiosendern, Zeitungsartikeln und im Fernsehn zu „social distancing“ aufgerufen wurde. Es fuhren selbst PKW mit Lautsprechern durch die Straßen, wo auf die 6 ft (2 m) Abstandsregel hingewiesen wurde. Dazu kam die Coastguard, die hin und wieder leise wie ein Luchs auf ein mal im Ankerfeld auftaucht. Deren Boot ist mit 3 Außenbordern ausgestattet, von denen jeder gut 300 oder 350 PS ins Wasser bringt, aber im Standgas laufen die Kätzchen flüsterleise. Ja und dann liegt da ein Pulk aus gut 20 bis 30 Dinghys mitten in der Bucht und schreit und grölt munter vor sich hin. Wir waren uns nicht sicher, ob die Coastguard auf einmal auftaucht und die Party auflöst, wie ein Löwe, der in der afrikanischen Steppe in eine Herde Antilopen fährt. Lange Rede, kurzer Sinn: Es ist nichts dergleichen passiert.

So entstand die Idee im zweiten Teil der „olympischen Spiele“ ein Segelbootrennen zu veranstalten. Die Regeln waren einfach: Segelboot, angetrieben nur durch Wind und maximal 40 cm lang. Dazu kam ein Wochenende mit Ausgangssperre. Das hat natürlich unseren Ehrgeiz geweckt. In einem Kick-Off Meeting wurde der Bau eines hochseetauglichen Segelbootes beschlossen. Im darauf folgenden Brainstorming Meeting wurde die Konstruktion konkretisiert, unter der Beschränkung, dass nur die an  Bord zu Verfügung stehenden Materialien zu verwenden sind. Es stellte sich heraus, dass 3 Carib Bierdosen 39,5 cm lang sind, wenn man die übereinanderstellt. Leider waren alle leeren Dosen zu Müllreduktion zusammengedrückt wurden. 8..10 Bier später stand das nötige Baumaterial jedoch zur Verfügung – was tut man nicht alles um neue Konstruktionsmethoden zu fördern ….

Fußbad und Testbecken im Cockpit

Somit konnten die Bauarbeiten beginnen, indem erst mal 2 Reihen mit je 3 Dosen mit SikaFlex zusammengeklebt wurden. Das sollten die Schwimmkörper werden. Der Kiel und vor allem die Mastaufnahme waren schon schwieriger. Das Cockpit von Selene war zu dieser Zeit schon zu einem Testbecken umfunktioniert wurden, in dem erste Schwimmversuche durchgeführt werden konnten. 2 Dosen mit Sand oder ähnlichem gefüllt müssten ausreichen, um den Kenterwinkel ausreichend groß zu bekommen. Um den Mast fest in einer der Dosen zu verankern wurde auf ein Gemisch aus Sand und ca. 80 ml Epoxydharz zurückgegriffen. Die zwei Schwimmkörper wurden aus einer gelaschten Konstruktion aus Schaschlikspießen ebenfalls über Laschings verbunden, welche das Deck bildeten. Da sich wie bei jedem größeren Bauprojekt unerwartete Verzögerungen (Fehlplanung, Materialien nicht verfügbar, Fehlkonstruktion) einstellten, wurde der Kiel nur mit SikaFlex mit dem Schwimmkörper verbunden, was erstaunlich gut funktioniert hat. Das Rennen sollte „Downwind“, also vor dem Wind stattfinden. Deshalb bekam das Boot einen Spi verpasst, der aus einer alten Plastiktüte bestand. Diese Idee hat den Vorteil, dass man das Boot mit einer Selbststeueranlage ausrüsten kann. In den Tagen vor WindPilot, Aries und Co. wurden die zwei Schothörner des Segels einfach über eine Umlenkung auf die Pinne geführt. Läuft das Boot aus dem Ruder und das Segel dreht sich, wurde dadurch die Pinne bewegt und das Boot hat sich wieder vor den Wind gedreht. Wie man aus dieser (sehr einfachen) Beschreibung sicher entnehmen wird: Diese Art von Selbststeuerung funktioniert nur, wenn der Wind möglichst genau von hinten kommt. Somit bekam das Boot noch ein Ruder mit einem Schaschlinkspieß-Ruderschaft und einer Pinne, die mit dem Segel verbunden wurde. Funktionierte ganz passabel.

erster Testlauf vor dem Rennen

20.04.2020 – Olympic-Games Regatta

Das Rennen war ein Heidenspaß. Natürlich war nichts von „social distancing“ und schon gar nichts von der 6 ft Regel zu sehen. Zur Verteidigung muss ich dazu aber sagen, dass alle Segler zu diesem Zeitpunkt schon weit über 4 Wochen auf Dominica waren und die Wahrscheinlichkeit, dass einer von ihnen Corona hat, mehr als gering war.
Leider erlitt unsere Carib-Dosen-Katamaran nach dem ersten Rennen durch unsachgemäßes Kranen einen Bruch des Ruderschaftes. Vielleicht lag es aber auch an dem etwas zu unterdimensionierten Schaschlickspieß-Ruderschaft. Leider ließ sich das im Nachhinein nicht mehr genau feststellen. Zudem waren 3 Aufgaben zu erledigen. Segelbootrennen, Fotos machen und Drohne fliegen. Aus diesem Grund haben wir das dritten Rennen dann ausgelassen und uns voll und ganz auf die Dokumentation des Ereignisses konzentriert. Gegen die „Mega-Yacht“ von Mr.Fizz, deren Segel ca. 10x größer war als bei allen anderen Booten, einem ausgeklügelten Rumpf-Masse-Kiel-Verhältnis und extra Treibanker, hatte keine andere Yacht eine Chance. Aber jedes einzelne Boot hätte eine Auszeichnung wegen Design, Kreativität oder Müllentsorgung verdient.

  

Die Stimmung an diesem Nachmittag war ausgelassen und fröhlich, wie schon lange nicht mehr. Leider waren diese für uns alle sehr ausgelassenen Stunden, die vorerst letzten. Die „Olympic-Games“-Serie wurde direkt am nächsten Morgen im Seglernetztwerk für beendet erklärt, obwohl es schon reichlich Ideen für die Fortsetzung gab. Ob dies auf Nachdruck durch die Coastguard, einzelne Inselbewohner oder einige wenige Spielverderber im Ankerfeld veranlasst wurde, wollte niemand so deutlich kommentieren – trotzdem schade! Dem Spirit in der Bucht hat das aber zum Glück keinen großen Abbruch beschert und zur Erinnerung gibt’s daher am Ende des Videos einen recht langen Teil mit Luftaufnahmen von der Regatta.

So, das soll es erst man an dieser Stelle gewesen sein. Ab der vierten Maiwoche wurden die Restriktionen mehr und mehr aufgehoben, was für uns bedeutet, endlich wieder wenn auch eingeschränkt auf Entdeckung gehen zu können. Den Süden haben wir ja schon ganz gut „abgerissen“, aber im Norden herrschte keine 2 Tage nach unserer Ankunft: Ausgangssperre 🙁
Deshalb wird es im nächsten Teil wieder mehr über Land und Leute geben. Aus flüchtigen Begegnungen entstehen Freundschaften, über die Zeit wird unser Kontakt zu einigen Einheimischen persönlicher, wir erfahrt wieder vieles Neues und Unbekannte über die Natur, Land, Leute, Geschichte, das Leben vor und nach Maria (Hurrican), private Einblicke in das Inselleben. Mein Tagebuch ist jedenfalls proppenvoll und es wird wie immer schwierig werden, die Sahnestücken heraus zu picken….

8 Antworten auf „Dominika Teil 4 – Ausgangssperre, Langeweile, Beschäftigungstherapie“

  1. Ihr Lieben ,auch D4 ist wieder sehr gut gelungen. zu Euren Nachbarn; Nach Marine Traffic liegen bei und mit Euch Nl3, Norw1, Schweiz2, Frankr4, Gibraltar1, Kanada2, USA7, GB4, BRD1 und Belgien1 Segler Im „Hafen“. Können die alle nicht weiter? Ganz herzliche Grüße von der ganzen Familie , Den Nachbarn und Erika und Friedrich! Julius wird morgen 19.

  2. Hey, Ihr beiden,

    danke für den neuen spannenden Bericht und den unterhaltsamen Abend, den mir Euer Blogbeitrag und das Video beschert haben. Man könnte meinen, 7 Wochen lock down in Dominica, das kann doch nur noch langweilig sein. Nicht so bei Euch. Trotz curfew „olympic games“ und „Segelregatta“. Wie schön, dass Ihr und die anderen „Internierten“ sich so ein kindliches Gemüt bewahrt haben und mit kreativen Ideen die Zeit vertreiben. Natürlich verstehe ich auch andere Gedanken, denn eigentlich wolltet Ihr ja schon längst viel weiter sein. …
    Tut mir so leid, dass Eure Pläne von der Pandemie zunichte gemacht worden sind.
    Jedoch hätten Eure Follower auch nicht das Glück, so spannende Berichte, wie Claudi schreibt, über Land und Leute zu lesen. Reiseliteratur vom Feinsten! Bin schon auf den nächsten Bericht gespannt. Bleibt gesund und behütet!
    Uta

  3. Salut Ihr zwei,
    Super Eure Olympic games, sehr kreativ und sicher auch gut für die ambiance im Ankerfeld. Ihr habt Glück, eine so coole Lockdownzeit zu verbringen. Wir haben sie in Galizien erlebt, und es ist noch nicht vorbei. Erst phase 2 Der Wiederœffnung. Wir hoffen nur, dass wir ab Juli wieder einigermassen normal segeln kœnnen. Wir lesen immer wieder genre Eure Abenteuer. Danke, dass Ihr sie mit uns teilt.
    Bisous Susanne et Louis

  4. Endlich wieder ein Lebenszeichen von euch !!!!
    Herzlichen Dank für den tollen Bericht und die super Luftaufnahmen.
    Die Ausgangssperre war bestimmt sehr schlimm, aber ihr habt ja immer wieder etwas gefunden, was euch die Langeweile vertreibt.
    Ich freue mich schon auf den nächsten Bericht.
    Bleibt gesund!
    eure Evi

  5. Hallo ihr zwei, ich freue mich immer wieder über jeden Bericht von Euch aus der Ferne und und finde es gut wie ihr das meistert. Zu Hause ist es auch etwas leichter geworden wir sind alle eingekrant und können auch wieder aufs Wasser. LG aus dem Heimathafen sendet euch Jens

  6. Schöner Bericht über Euer Aushalten. Haltet durch – was bleibt Euch auch anderes übrig – außer eine Rückreise nach D anzutreten.
    Nun haben wir den 25. Mai und auch in der Karibik wird sich die Situation hoffentlich zum Positiven verändert haben.

    Viele Grüße
    Uwe
    SY Liberta
    P. S. Hinter unserem Bloc verbirgt sich nun eine Bavaria 320 S, die Vindö ist verkauft.

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