Backstube Selene

Es ist kurz vor Neujahr, der 30.12.2020. Nun sollte das Jahr 2020 endlich geschafft sein. Was macht man also so als Jahresabschluß in der Karibik? Das ist doch völlig klar! Man repariert sein Dinghy 😉

Meinem kleinen Ancheer 230 gehts wohl wie den zukünftigen Rentenempfängern in Deutschland … Der Ruhestand wird immer weiter herausgeschoben und nun muß das Beiboot noch ein Jahr länger halten, als geplant. So fordert es regelmäßig etwas Zuwendung ein – meist in Form von sich auflösenden Klebungen.

Wo ist denn die Luft hin?

Die Stelle ist echt blöd zu kleben, da sich der Konus, welcher von innen eingelegt ist vom PVC löst. Aufschneiden möchte ich das nicht und so versuche ich mit Spatel und Kleber die Sache zu beheben. Mit mäßigem Erfolg, denn ich werde an der Stelle noch zwei weitere mal kleben müssen. Meine Technik verbessert sich jedoch jedes mal! Zum Schluß versuche ich gar nicht mehr den blöden Kleber da irgendwie hinein zu streichen, sondern nehme einen peripheren Venenkatheter (auch Flexüle genannt).

Kurz vor unserer Abreise hatte Thoralf uns an einem Trinkhalm gezeigt, wie man das Ding eigentlich benutzt. Ich hab die Spitze etwas rundgefeilt und in den Werkzeugkoffer gepackt. Typisch Ossi: „Nicht wegwerfen! Man könnte es ja noch mal brauchen.“ Und genau so war es auch. Ich weiß gar nicht mehr, wohin ich damit überall Holzleim, Benzin, Öl und Fett geschmiert habe – und natürlich jetzt auch den Kontaktkleber fürs Dinghy.

Der 31.12.2020 wird ein stiller Jahresübergang, wie auch in Deutschland. So sehe ich 0:00 Uhr nur 2 einsame Signalraketen steigen, welche den Nachthimmel für gut 30s mit ihrem roten Licht erhellen. Diesen Seglern ist es egal – alle anderen halten sich an das Feuerwerksverbot. Ich sitze an dem Tag lange vor dem Rechner und studiere die Regularien. Jedes mal, wenn ich lese, was nun wieder ausgewürfelt wurde, bekomme ich mehr und mehr schlechte Laune. Was bitte hat denn ein Feuerwerksverbot mit Corona zu tun? Wie kommt man denn darauf, daß Menschenansamlungen ab 10 Leuten gefährlich sind. Und warum ist ab 20 Uhr Ausgangssperre? Hat Corona ab dann Nachtschicht?

Dazu kommen die völlig abstrusen Reglen, bei denen das Ziel klar ist: Den Seglern die Kohle aus den Taschen zu ziehen. Bevor ich mich zu sehr aufrege nur ein Beispiel: Auf Dominika muß man neben dem ganzen PCR- und Quarantäne-Gedöns nun auch einen Agenten einkaufen, der alles an Land regelt. Und wenn man dann „frei“ ist, darf man immer noch nicht einfach so in die Nationalparks. Nein! Man muß einen zertifizierten Corona-Guide buchen, der einen dann über die Insel karrt. Natürlich alles gegen Bares.

Auf den anderen Inseln sieht es ähnlich aus und somit wächst mein Wunsch mehr und mehr so schnell wie möglich hier zu verschwinden. Ich habe einige Anfragen von potentiellen Mitseglern aus Europa. Die meisten winken direkt ab, wenn ich ihnen über die Formalitäten und Kosten erzähle. Den restlichen rate ich ab in die Karibik zu kommen. Es wäre verschwendete Zeit und Geld, da ich mich mittlerweile selbst nicht mehr beim „Inselhopping“ sehe. Seit dem die Carricom-Bubble den Bach runter gegangen ist sieht keiner mehr wirklich durch…

Die nächsten Tage plätschern so mit Nichtstun dahin, bis mir Selene einen Auftrag gibt. Eine LED Leiste hat sich entschieden zum Techno-Licht zu werden und blitzt unregelmäßig in allen möglichen Farben und Helligkeiten vor sich hin. Zum Musikhören ganz gut, aber wenn man einen Film schauen möchte, dann nervt es doch schon etwas.

Für die Nerds unter den Lesern: Es handelt sich um die WS2812B LED, welche über I2C programmierbar sind. Das System ist recht simpel – man schiebt einfach die 3 Byte RGB Werte nacheinander in den Streifen, bis alle LED ihren nächsten Farbwert haben und dann sendet man einen „Update“-Befehl und die LED leuchten. Das ist sehr praktisch. Zum Beispiel könnte man den ganzen Streifen weiß leuchten und eine LED irgendwo zwischendrinn blau blinken lassen … also wenn man das braucht 😉

Leider hat das auch einen großen Nachteil. Geht mittendrinn eine LED kaputt, dann machen alle LED dahinter irgend etwas.

Die Reparatur ist einfach: Den Übeltäter finden, heraustrennen und eine neue LED einlöten – fertig!

Toll, wenn man alles selbst gebaut hat, weiß wie es funktioniert und selbst mit ein paar Handgriffen reparieren kann!

Weiter geht’s mit einem Thema, was ich schon länger vor mir herschiebe. Die Crewliste. Es wäre nicht gut mit zwei Personen darauf hier abzureisen und noch schlechter auf der nächsten Insel „so“ anzukommen. Das würde bei den Beamten sicher den Eindruck machen, daß ich zu zweit abgelegt haben und ich eine Person „verloren“ habe – wobei das eigentlich der Wahrheit schon sehr nahe kommt.

Also geht’s mit dem Bus nach St. Georges in die Port Louis Marina zum Customs Office. Neben der Crewliste möchte ich dort auch mein Cruising Permit erneuern. Damals konnte man das Gebäude betreten, saß am Tisch des Officers und konnte zivilisiert reden. Nun steht man wie ein Bettler an einem Fenster und der Officer steht wie ein Richter gut 1m höher hinter einer Plexiglasscheibe. Um die Formulare übergeben zu können gibt es einen ca. 2cm hohen Schlitz. Dieser Schlitz muß auch zur Kommunikation genutzt werden und man muß schon sehr laut reden, damit einem die Gegenseite versteht.

Es ist als hätte ich bei FaceBook eine Einladung geschrieben, denn in dem Moment, wo ich die Crewliste anspreche, tauchen die Crews der Matriarch und Bliss auf (sie haben mit uns die Monate des Lockdowns auf Dominika verbracht). Natürlich will der Officer ganz genau wissen, warum Claudi von Bord ist, wo Sie ist, mit wem Sie zusammen ist, wie sein Name ist, wo Sie jetzt wohnt und und und. Ich überlege kurz, aber dann ist es mir egal. Ich beantworte seine Frage so laut das er und sicher auch der halbe Hafen es gehört hat. Die Leute der Matriarch und Bliss kennen meine Geschichte schon etwas – nun wissen sie eben alles – mir auch egal. Ich entschuldige mich kurz bei Ihnen, aber mir wird gesagt, daß ich das klären muß und es schon in Ordnung sei.

Nachdem der Beamte eine gute halbe Stunde mit Carriacou telefoniert hat drückt er mir ein neues Klarierungsformular in die Hand.

Damit wäre das erledigt.

Ich hole mir auf den Erfolg erst mal ein Bier.

Da mein alter Eastpack Rucksack langsam zerfällt kaufe ich mir noch schnell gleich 2 neue Rucksäcke und mache mich wieder auf den Weg zurück zu Selene.

Etwas angespornt von der der „Aktion“ gehe ich die nächsten Tage eine wichtige Sache an. Ich muß mir einen Überblick verschaffen, was alles an Lebensmitteln an Bord ist. Eigentlich hatte ich dafür vor Beginn der Reise ein „Futtersystem“ programmiert, welches wir jedoch nie benutzt haben. Das soll sich nun ändern.

So sitze ich Stunde um Stunde, drehe Dosen und Tüten, versuche herauszufinden, was der Inhalt ist und wie ich es erfassen kann, damit ich es später wieder finde.

Ich würde sagen ich habe bis Dato etwa 75% der Lebensmittelreserven auf Selene erfasst. Obwohl ich das MHD nicht mit eingetragen habe, weiß ich nun von einigen Dingen, die schon etwas sehr „drüber“ sind und entweder verbraucht oder entsorgt werden sollten. Sicherlich würde ich keine Majonese mehr essen, die 6 Monate überlagert ist. Aber sowas wie Tütensuppen und Brotbackmischungen oder Mehl würde ich schon eine Chance geben. Das meiste ist sowieso konserviert der vakuumverpackt. Dazu gibt es in der Küche noch jede Menge bereits geöffnete Packungen. Vor allem Mehl, wovon ich gleich 4 Stück finde. Dazu noch angebrochene Trockenhefe und so weiter.

Da ich eine Person bin, die Lebensmittel nur ungern wegwirft, nur weil es schon etwas länger geöffnet ist oder ein Datum mir so etwas sagen will, fasse ich den Plan diese möglichst schnell zu verbrauchen. Da aber pures Mehr doch schon etwas sehr trocken ist, muß ich wohl anfangen daraus etwas zu backen.

Es geht los! Mein erstes mal Hefeteig 😉 Um nicht gleich zu kompliziert zu starten sollen es einfache weiße Brötchen werden.

Als Rezeptbuch soll Claudis selbst gemachtes Kochbuch dienen. Wie ich später merke hat sich wohl ein Fehler in der Menge des Salzes eingeschlichen. Wobei das jetzt auch nicht mehr stimmt – ich war in der Zeile verrutscht *sigh*. Es mag sentimental klingen, aber wenn ich in dem Buch lese muß ich ständig an die Wochen/Monate vor unserer Abreise denken, als Sie das Werk Seite für Seite mühevoll zusammengetragen hat.

Schon blöd das Ganze …

Aber weiter im Text:

Resultat: Die Brötchen sind essbar, ich habe viel gelernt, würde gewisse Dinge das nächste mal anders machen und werde dran bleiben. Der Sachse labert nicht – er machts einfach.

So gehen die Tage mit verschiedenen abgelaufenen Backmischungen, Vollkornbrötchen und Kartoffelsalaten dahin.

Selbst eine Backmischung, die seit gut 9 Monaten überlagert ist, geht mit einer halben Packung Hefe richtig gut auf.

Da diese Zeilen zu lesen sind, habe ich den Verzehr auch überlebt 😉

Vielleicht sollte ich noch dazu schreiben, daß die ganzen Back- und Kochaktionen dazu dienen vor allem die angebrochenen Lebensmittel zu verwerten, bevor sich irgendwelche Würmer, Maden oder Fäule einnistet. Kakerlaken habe ich auch schon lange keine mehr gesehen, obwohl ich oft lange Nachts wach bin und nur sehr wenig Licht eingeschaltet habe. Da scheint meine Vermutung zu stimmen, daß in der Thyrell Bay Marina wohl eine Kakerlaken-Schleuder (=verlassenes Schiff) stand, von dem die Viecher auf alle möglichen anderen Boote geflogen sind. Ein Grund mehr da nicht noch mal hin zu fahren…

Auf der anderen Seite bin ich in mein altes Schema zurück gerutscht. Wenn Du willst, daß etwas gemacht wird, dann mach es selbst. Das beinhaltet auch die lange Rückfahrt über den Nordatlantik. Neben der Navigation, der Wetterkunde, dem Papierkram und dem Segeln gehört auch die Verpflegung dazu. Es steht nach wie vor in den Sternen, ob ich das alleine oder zu zweit machen werde. Also bereite ich mich auch dahingehend auf eine Überfahrt Einhand vor. Demnächst muß ich mich mal an die ganzen Hülsenfrüchte wagen – da wird sicher der geschenkte Schnellkochtopf von Uta sehr hilfreich werden.

Ach ja – eine Sache noch: Ich hatte Claudi ein paar Monate vor der Abfahrt so einen Langzeittimer geschenkt, der den Abfahrtstermin zeigte. Dieser läuft wieder! Nun zeigt er aber an, wann ich wieder zu Hause sein möchte.

Das Bild ist zu meinem .. unseren .. Jahrestag in der Karibik entstanden. Hier hatten wir am 17.01.2020 um 2 Uhr Landfall – keine Meile östlich von hier in der Prickley Bay. Vielleicht war es gut, daß ich damals noch nicht wusste, wie sich die Dinge entwickeln würden. Ein komisches Gefühl.

Sobald mein Paket aus Deutschland da ist, setze ich die Segel Richtung Norden. Vermutlich Martinique, aber wer weiß schon ob sich das in dieser verückten Zeit noch mal ändern wird. Wenn alle Stricke reißen, könnte ich auch von Grenada aus nach Europa starten – auf die 200 Meilen mehr oder weniger kommts auch nicht an. So wie ich das sehe hätte ich schon jetzt genug Lebensmittel an Bord, um Non-Stop nach Europa zu fahren.

So Long,

Martin

7 Antworten auf „Backstube Selene“

  1. Ein tolles Video. Ich Danke dir dafür Martin.

    Weißt du mittlerweile, was das Gelbe/Orangene im Glas ist?
    Vielleicht Kürbissuppe oder – Kompott?

    Ich freue mich auf den nächsten Beitrag.

    Schöne Grüße aus Solingen
    Christian

  2. Hallo Martin, danke für deinen tollen Bericht. Du überraschst mich immer wieder. Ich bewundere deinen Mut, auch die schwierigen Dinge einfach anzugehen. Und du siehst ja, was man wirklich will, schafft man auch. Gehe weiter diesen Weg und bleib behütet.
    Ich wünsche dir alles Liebe und Gute. Es möge ein erfolgreiches und glückliches Jahr für dich werden.
    Liebe Grüße Evi

  3. Hallo Martin
    Einen Erlebnisbericht,wie Katrin es schon beschrieb,in Ueckermünde wäre wirklich cool.Wir die (ehemals Crew NAUTILUS)sind von Anfang bei Euch(Dir) und freuen uns immer wieder auf eine neue Geschichte von Dir.Carla und ich sind jetzt Besitzer eines Alu-Bootes und erwarten Dich auf der TONGA nach Deiner Rückkehr.Bleib voller Optimismus und Tatendrang.Wir freuen uns jetzt auf Dein Video und in diesem Jahr auf Deine Ankunft in Uede. LG Carla &Thorsten

  4. Hallo Martin,
    Du sagtest einige Berichte zurück, dass Du lieber wieder mit einer Frau fahren würdest, weil es für Dich spannend war, zu erleben, wie Frau so auf die Dinge schaut und Aufgaben löst. Das ist umgedreht genauso, Ich finde das unglaublich spannend Dir zuzusehen. Ich staune , was es alles für Technik gibt und wie Du sie nutzt. Auch das mit dem Backen ist lange nicht so einfach, wie es bei Dir aussieht. Oder Du kaufst einfach eine Nähmaschine und nähst mit dem derben Stoff eine komplizierte Dingihülle und es gelingt. Wirklich erstaunlich.
    Bei der Gelegenheit will ich Dich auch gleich erinnern, dass wir in Ueckermünde aber sicher auch in Deiner Heimat auf einen ca. 2 stündigen Erlebnisbericht hoffen, wenn Du wieder zurück bist. Die Auswahl des vielfältigen Materials wird bestimmt nicht einfach. Also, wenn Du jetzt schon mal Zeit hast…… 🙂
    Liebe Grüße und weiterhin eine gute Zeit wünscht Dir
    Katrin

  5. Moin Martin,

    cooles Video, Du hast mir den langweiligen Alltag versüßt, vielen Dank dafür.
    Deine Planung scheint konkreter zu werden, ich warte voller Spannung auf neue Berichte.
    So lange wünsche ich Dir alles Gute, wie sagt man so schön – take care and hold your head up high.

    Uwe

  6. hey Martin
    erst einmal vorne weck ich schreibe alles klein.
    wenn es dich also nicht stört?
    warum ich dir schreibe ganz einfach schaue dir schon lange zu.
    habe mir 2018 einen kieinkreuzer gekauft da war ich 62 und habe damit eine kleine ostseerunde gedreht eben totaler anfänger
    habe noch 1988 in ostberlin ein küstenfahrtpatend für segel und motorboote gemacht dachte mann weiss ja nie.dabei blieb es auch bis 2018.so martin wenn du also bock hast ein wenig zu plaudern nur zu.

    thomas

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