Dominika Teil 6 – Unvergesslich!

Vorwort: Hier schreibt Martin. Ich mache normalerweise die Videos und Claudi die Textbeiträge. Wie auch diesen…

Ich muß trotzdem etwas vorabschieben: Die lange Zeit auf Dominika war völlig Wahnsinn! Wenn alle Welt über Corona schimpft, bin ich mittlerweile fast dankbar, dass uns das genau auf Dominika getroffen hat. Warum? Das steht unten in Claudis Text …

Wie dem auch sei: Corona hat unsere Reisepläne und Termine für die Rückkehr nach Europa völlig zerstört. Von daher: Vielen vielen Dank an meinen Chef Jörg und meine Gruppenleiterin Nathalia, die uns den Weg geebnet haben, sowie an unseren Leiter Dr. Wunderlich, der das genehmigt hat. Ohne das wäre meine termingerechte Rückreise ein richtiges Problem geworden.

Aber nun zum Beitrag. Claudi – bitteschön:

Mea Culpa! Unseren letzten Blogbeitrag haben wir am 17.06. also vor fast zwei Monaten veröffentlicht und er reicht gerade einmal bis Mitte Mai zurück. Seither sind unglaubliche 12 Wochen vergangen! Der folgende Bericht wird wahrscheinlich Romanlänge erreichen, da wir in dieser Zeit so viele Dinge erlebt, gesehen, gefühlt und bestaunt haben. Inzwischen sind wir zurück in Bequia. Dominika haben wir vor 10 Tagen mit einem lachenden und einem weinenden Auge verlassen. Lachend, weil wir ein weiteres Jahr in der Karibik geschenkt bekommen haben und wir für die nahende Hurrikan Saison einen sicheren Platz in Carriacou anlaufen können. Weinend, weil wir diese wunderschöne Insel Dominika so unerwartet tief ins Herz geschlossen haben, wir hier einen sicheren Hafen in ungewissen Zeiten der weltweiten Pandemie hatten und wir Freundschaften aufbauen konnten, die weit über das übliche Segler-Inselbewohner-Verhältniss hinaus gehen. Rückblickend kann ich aber sagen, dass die letzten Wochen auf Dominika für uns die mit Abstand spannendsten, erlebnis- und lehrreichsten unseres gesamten Aufenthaltes werden sollten…

Aber der Reihe nach. Mitte Juni hatte sich die Corona-Situation schon wieder einigermaßen entspannt. Bereits am 18.05. und damit nur knapp zwei Monate nachdem die ersten Covid-Fälle registriert wurden, galt Dominika als Covid-Free, alle 16 Infizierten hatten sich erholt. In kleinen, wohldosierten Schritten wurden zuerst die Regelungen zur Ausgangssperre zurückgefahren. Statt bis spätestens 16:00 Uhr durfte man nun bis 18:00, dann bis 19:00 und schließlich bis 20:00 Uhr unter der Woche unterwegs sein, die Ausgangssperre galt nur noch für Samstage und Sonntage. Es war zum Beispiel möglich, statt auf dem Boot von Samstag Abend bis Montag morgen zu hocken, diese Curfew-Zeit an Land in einer Pension, Hotel oder bei Freunden zu verbringen. Spesh, der eine kleine aber feine Bungalowanlage samt Bar in den Bergen hoch über Portsmouth betrieb, bevor diese größtenteils von Maria zerstört wurde, hatte uns schon vor ein paar Tagen angeboten, ein zwei Nächte bei ihm in Barbwire zu verbringen. Die Aussicht mal wieder in einem richtigen Bett zu schlafen ohne dass es rollt und schaukelt, ließ uns nicht lange überlegen.

Barbwire Bar & Bungalows

Am Samstag holte er uns am Boot ab, mit dem Taxi ging’s weiter hinauf zu seinem Anwesen. Er hatte uns ein wenig vorgewarnt, dass er leider noch nicht so viel hat wieder aufbauen können und wir nicht zu viel Komfort erwarten sollen… Nun ja, um ehrlich zu sein, die Lage ist traumhaft, aber mir hat schon ein wenig das Herz geblutet. Von seinem derzeitigen Wohnhaus, welches früher die Bar gewesen ist, steht noch das steinerne Untergeschoss und etwa die Hälfte des in traditioneller Holzbauweise errichteten Obergeschosses. Von der riesigen Terrasse sind noch Teilstücke vorhanden. Spesh erzählt, dass das zweite Obergeschoss samt Dach davon geflogen sei und er Teile davon in seinem Garten gefunden habe. Viele Einrichtungsgegenstände, Stühle, Tische, Bücher, Bilder und Erinnerungsstücke hat der Hurrikan damals unwiederbringlich mit sich gerissen. Das zweite Haus etwas weiter unterhalb in seinem Garten sieht noch schlechter aus. Steinernes Untergeschoss, ein paar Deckenbalken und die Außenwände des hölzernen Obergeschosses stehen noch, aber kein Dach, keine Fenster, keine Elektrizität oder Sanitäranschlüsse. Trotzdem lassen die Überreste erahnen, dass hier ein wirkliches Kleinod traditioneller dominikanischer Bauart gestanden hat. Aufwändig und liebevoll gestalteter Steinfußboden, Holzschindeln an den Außenwänden und Malereien an den Fensterläden, dicke geschliffenen Harthölzer als Fußböden.

Bei einem späteren Besuch zeigt mir Spesh die einzig erhaltene Photographie der Bar mit einem unglaublich schönen Ausblick von der aufwändig gestalteten und weit ausladenden Terrasse über die Prince-Rupert-Bay, er nennt es gerne sein „One-million-Property“. Es sei damals ein beliebter Treffpunkt für Familie und Freunde gewesen, heutige Regierungsvertreter wie der Premierminister Skerrit seien hier ein- und aus gegangen… Ich musste ein wenig schmunzeln, denn wir hatten schon häufiger mitbekommen, dass die Locals doch gerne etwas übertreiben, wenn sie einer Sache besonders viel Nachdruck verleihen wollen. An dem Punkt musste ich mich allerdings wenige Tage später korrigieren als wir uns in der Purple Turtle Bar verabredet hatten. Samstag Nachmittag, buntes Treiben am Strand, der endlich wieder uneingeschränkt besucht werden kann, viele Familien, Musik, es wird getanzt, die Bars dürfen wieder ausschenken. Spesh meint, er wolle mir schnell zwei Freunde vorstellen, ok, warum nicht… Wir gehen zu zwei Herren, die ganz entspannt am Geländer lümmeln und mir fällt nur kurz auf, dass sie eine klitzekleine Spur gepflegter aussehen als z.B. einige der Rastafaries. Das sind Lennox, ein guter Freund, wir kennen uns schon ewig und Vincent, mein Cousin. Übrigens, er ist der Head Advisor von Premierminister Skerrit und Vince ist Chef der „Employment and Small Business Support Agency”. Ich bin baff und während ich mich noch kurz sammeln muss, legt der Herr Head Advisor gleich im Anschluss mit mir ein flottes Tänzchen auf’s Parkett.

Aber zurück nach Barbwire. Spesh’s Garten hatte sich innerhalb einer Saison bereits erholt, es sprießt und grünt und wächst in einer scheinbar unendlichen Fülle: Bananenstauden, Mangobäume, Stern- und Passionsfrüchte, dazwischen Tomaten, Gurken, Yam, Dasheen, Zuckerrohr, Auberginen, und Paprika. Umrahmt wird dieses kleine Paradies von wilden Orchideen, Heliconia und vielen, vielen anderen Blumen, Stauden und Sträuchern, deren Name uns der stolze Gartenbesitzer nennt ich aber nicht behalten habe. Wir suchen uns ein schattiges Plätzchen im Garten, genießen die Ruhe, die Geräusche, das Licht. Spesh macht erst mal Feuer hinterm Haus, welches das ganze Wochenendebrennen wird, denn das Geld für den Gasherd will oder muss er sparen. Hühner gackern um uns herum, sein kleiner Stubentiger jagt ihnen hinterher und ständig schwirren Kolibris um uns und von Blüte zu Blüte – Idylle pur. An den einzigen intakten und sehr gemütlichen Raum am Hauptgebäude schließt sich ein kleines Badezimmer mit WC an, trotzdem holt unser Gastgeber frisches Trinkwasser aus einer nahen Quelle, abgewaschen wird mit Regenwasser. Auf ein kühles und entspanntes Bad muss man hier aber nicht verzichten. Dazu führt uns Spesh auf einem kaum erkennbaren Pfad durch den Bush an eine Quelle unter einem gigantischen Ficus Benjamini, Stammdurchmesser 2 Meter! Der Eigner des Grundstücks hat einen kleinen steinernen Pool gebaut, dessen Abfluss man nur mit einem Handtuch verstopfen muss und nach ca. 20 Minuten steht einem das Wasser bis zum Hals. Auch hier wachsen wieder allerlei Pflanzen, die man für irgendetwas verwenden kann, z.B. um Shampoo daraus zu machen. Ganz Tourguide geht Spesh voll in seiner Rolle auf und lässt es sich nicht nehmen, Martin mal so richtig den Kopf zu waschen.

So langsam wird es Abend und uns hängt der Magen schon etwas in den Knien. Gut, der Garten gibt eine unendliche Fülle an Früchten her aber so wirklich kann eine Papaya eben doch kein Steak ersetzen. Und hier offenbart sich der einzige Haken, den dieses Wochenende mit sich bringen wird. Spesh hat irgendwie verpennt einzukaufen. Als er uns am Boot abgeholt hat, schien er auch so ein wenig verbimmelt zu sein und rammte mal eben eines der Fischerboote. Entschuldigend fragte er noch, was wir so an Bord haben und ob ich vielleicht etwas davon einpacken könnte. Klar, kein Problem, ne Tüte Reis, ein paar Bohnen und Obst wanderten in meine Tasche. Hätte ich nur gewusst, dass er so gar nix, also wirklich gar nix auf Vorrat hat, hätte ich eine Riesenkiste für uns zusammen gepackt und bei den Fischern z.B. noch etwas besorgt… Naja, es wurde dann ein sehr asketisches Wochenende mit kiloweise frischem Obst, Hanftee, Bushtee, selbstgemachten Kakao. Kein Kaffee, keine Nudeln, kein Fleisch, Fisch, Käse, Kartoffeln … Mir macht das ja weniger aus, da ich diese Art der flüssigen Ernährung vom jährlichen 14tägigen Fasten kenne (vom Weed-Tee abgesehen), aber Martin hat, um ehrlich zu sein, ganz schön gelitten. Um sich abzulenken gab’s zum Glück was zu reparieren und so hatte Martin am Sonntag mit der nicht funktionierenden Wasserpumpe zu tun. An den beiden Abenden haben wir am Lagerfeuer gesessen, riesige Glühwürmchen bestaunt und uns über Gott und die Welt unterhalten. Ein bewegtes Leben liegt hinter dem 50jährigen, Studium in Kuba, Heirat in den Niederlanden, Rückkehr in die Karibik, schnelles Geld als Immobilienmakler auf St. Martin, Investition in Landkauf, Hotelbetrieb in Calibishi, Bungalows in Portsmouth, Scheidung, neue Beziehung und Familie gegründet, Hurrikan, alles Weg, Trennung, Wiederaufbau – beeindruckend, beängstigend und hier üblicher Lebenswandel. Wenn die Schlafenszeit herankam durften Martin und ich uns auf die große weiche Matratze im Wohnraum betten während Speshi im Untergeschoss zwischen Werkzeugen, Baumaterial und allerlei Gerümpel genächtigt hat. Wenn er keine Gäste hat, und das ist wohl seit drei Jahren der Fall, bewohnt er mit seiner kleinen Tochter Bella (die bei ihrer Tante untergebracht wurde) den einen Raum, der sowohl Schlafzimmer Wohnzimmer und Küche in einem ist. Wie kann man auf Dauer so wohnen, denkt da einer vielleicht sofort und warum dauert der Wiederaufbau so lange? Leicht erklärt: Auch wenn ihm die traditionelle Bauweise sehr am Herzen liegt baut Spesh seit zwei Jahren am obersten Ende seines Grundstücks ein neues, Hurrikan-sicheres Haus in Beton. Auch dieses hat er uns mit Stolz gezeigt und gleichzeitig schon fast resignierend hinzu gefügt, dass er nicht weiß, wie er das alles gleichzeitig schaffen und vor allem bezahlen soll: Das neue Haus, das alte Anwesen, eine 7 jährige Tochter, der Garten, die nahende Hurrikan Saison und seit Wochen keine Einnahmen wegen der Corona-Krise. Da soll noch mal einer in Deutschland behaupten, es hätte ihn hart getroffen.

Am Montag morgen sind wir dann wieder zurück auf dem Boot, im Gepäck kiloweise Passions- und Sternfrüchte, Mangos, Papayas, Teekräuter, selbstgeröstete Kakaobohnen und ziemlich großen Appetit auf Kaffee. Bevor uns Speshi bei Selene abliefert telefoniert er noch schnell mit einem der Fischer, der gerade von seiner Morgentour zurück kommt. Den Fisch, den er und Jerome bisher zweimal wöchentlich oder auf Bestellung geliefert haben, bezieht er immer aus dieser einen Quelle. Meist sind es Mahi-Mahi oder Tunfisch-Steaks, bei denen der Fisch einfach mittendurch in Scheiben gehackt wird. Wir haben für heute Abend eine Einladung zum Essen bei Clement bekommen, nur läuft das hier so, dass wir den Fisch mitbringen und er dann etwas typisch Creolisches für uns kochen wird – bin mal gespannt. Wir bestellen bei den Jungs einen ganzen Fisch da ich die ausgelösten Filets eigentlich lieber mag. Etwa 2 Stunden später überreicht uns Jerome einen schönen fangfrischen blaugelb-leuchtenden Mahi-Mahi, reichlich 8.5 lb (Pfund) für 80 EC.

Typisch creolisch – Broth bei Clement

Clement ist furchtbar aufgeregt und freut sich deutlich, dass wir seiner Einladung folgen, besonders seine Frau möchte mich endlich kennenlernen. Wir sitzen gerade gemütlich im Cockpit und verdrücken genüsslich die ersehnte Riesenportion Rührei mit Bacon, als er mit seinem Fischerbötchen vorbei kommt. Der Tag ist ja noch lang, er muss heute mal wieder angeln gehen und erklärt uns im Anschluss sehr ausgiebig, was es für uns kochen wird. Wir erklären ihm, dass der Fisch bereits geordert ist und er nur die restlichen Zutaten für den „Broth“, eine Art Fischeintopf, besorgen muss. Alles gar kein Problem, meint er, das wäre schnell besorgt … er bräuchte nur etwas Geld. Nun gut, das kennen wir bereits, wir müssen nur langsam aufpassen, dass wir und vor allem er nicht den Überblick verliert, wie viel er uns inzwischen schuldet. Das Geld für den Außenbordmotor, mit dem er nun seit zwei Monaten kostenlos rumtuckert, versucht er noch immer zusammen zu bekommen. Die frohe Kunde von der Spendenaktion haben wir bewußt noch nicht angesprochen, aber dazu später mehr…

Wir sehen ihm hinterher als er in die Bucht raus fährt und wundern uns, dass er keine Stunde später wieder kehrt macht. Kurzer Halt an der Selene und lange Erklärung, dass er gar keine Zeit zum Fischen hat (vielleicht auch keine Lust). Er muss ja noch einkaufen und sein Zuhause auf Vordermann bringen. Martin grinst nur vor sich hin und meint zu mir, da sei er jetzt aber sehr gespannt. Mit dem auf Eis liegenden Mahi-Mahi im Gepäck fahren wir am späten Nachmittag rüber an den Strand, Clements Behausung liegt keine 20 m von der Wasserlinie entfernt. Diese Trutzburg aus Brettern und Wellblech war mir schon öfter aufgefallen nur habe ich bisher keinen Blick dahinter werfen können … und es ist genau so, wie mir Martin schon prophezeit hat: Ein wirklich einfacher, staubiger, ärmlicher und für meine Begriffe sehr vermüllter Hof umrahmt von hohen Mandelbäumen und Kokuspalmen. Bis auf einen kleinen mickrigen Zitronenbaum wächst hier nichts, wovon man sich ernähren könnte. Sperrmüll und kaputte Geräte in jeder Ecke zu denen mir Martin aber erklärt, dass der Hausherr hier wohl tatsächlich versucht hat, thematisch etwas aufzuräumen. Zwei baufällige Schuppen bergen Clements größte Schätze, ein Sammelsurium aus nicht funktionierenden Außenbordmotoren in unterschiedlich ruinösem Zustand inklusive Ersatzteile und kaum gängige, verrostete Werkzeuge. Seine Frau Marylin kommt mir freudestrahlend entgegen und obwohl ihr auf Grund ihrer Behinderung das Sprechen wirklich schwerfällt, merkte ich gleich, dass sie sich aufrichtig freut. Dann schleicht, da noch Marvin rum, ein sehr schüchterner und kleiner Mann, dessen Alter man nicht schätzen kann. Clement erzählt, Marvin habe keine Familie und so lässt er ihn bei sich übernachten. Eine einfache Holzpritsche mit einer dünnen ausgelegenen Matratze im überdachten Eingangsbereich von Clements Hütte ist sein Zuhause. So wie wir es verstanden haben gehört weder das Grundstück noch die Holzhütte Clement, beides seien unterschiedliche Eigentümer. Noch dazu reicht das aufgeständerte Holzhaus über zwei Höfe und so bewohnt Clement mit seiner Frau etwa 20 m² davon, bestehend aus einer kleinen Küche, Schlafzimmer und Abstellkammer für Werkzeug und Gerümpel. Aber er führt uns trotzdem mit großem Stolz durch sein Reich. Besonders wichtig ist ihm dabei, dass er Martin den neu installierten Elektroanschluss vorführen kann. Etwa zwei Wochen zuvor, die Spendenaktion war da schon ein voller Erfolg, hatte Martin überlegt, wie man Clement langfristig das Leben etwas erleichtern könnt. Danach gefragt, wieviel ihn ein Elektroanschluss kosten würde, meinte Co (wie Clement in der Nachbarschaft genannt wird), 300 EC. Wir haben ihm darauf hin die notwendige Summe gegeben, nicht geliehen. Er musste Martin aber versprechen, dass dieses Geld auch tatsächlich für genau diesen Bestimmungszweck verwendet wird… es sollte anders kommen, denn bis auf den Hausanschluss war kein weiteres Kabel oder Steckdose verlegt und Strom war auch keiner da.

Zurück zum Broth bzw. Fischeintopf. Während der kleine Marvin eine große umgekippte Kühl-Gefrierkombi über den staubigen Boden im Hof schiebt, die Clement als Arbeitsfläche zum Kochen braucht, erklärt er mir was alles in den Eintopf kommt: Yam, Plantain (Kochbanane), seasoning Pepper, Zwieben, Knoblauch und diverse Gewürze, unter anderem „Maschie“. Ich frage was Maschie ist und verstehe es einfach nicht. Die Auflösung kommt erst als er einen Maggi-Brühwürfel aus der Küche holt. Auf dem Kühlschrank wird zuerst dem Fisch zu Leibe gerückt und so wie wir es hier kennen, mit der Machete in Scheiben gehauen. Abspühlen, mit Limettensaft und Salz würzen, etwas Knoblauch, Öl, seasoning Pepper in Ringen dazu und marinieren lassen. Während der Fisch durchzieht kümmern Marylin und ich uns um das Gemüse. Plantains hatte ich selbst schon ein paar mal zubereitet, aber die grünen und sehr festen Kochbananen lassen sich echt schwer schälen. Marylin zeigt mir, wie’s einfacher geht: Den Stielansatz abschneiden, die Schale längs einritzen und die Banane für ein paar Minuten ins Wasser legen, danach gehts fast so leicht wie bei den gelben Früchten. Zusammen mit der ebenfalls in mundgerechte Stücke geschnittenen Jam, Zwiebeln, Sweet Pepper (Paprika), Bayleaf (eine Art Lorbeer), Salz, Pfeffer und „Maschie“ wird das Ganze etwa 30 Minuten aufgekocht. Zum Schluss kommt der marinierte Fisch obendrauf und wird für weitere 15 Minuten gedünstet. Auch wenn die Arbeitsbedingungen der Zubereitung nicht ganz unseren Vorstellungen von Hygiene in der Küche entsprechen, war der Broth wirklich ganz ganz ausgezeichnet. Unsere Gastgeber überreichen uns, ganz wie es hier üblich ist, als erstes unsere überlaufenden Teller und nehmen sich erst danach selbst etwas. Sogar Marvin, der den ganzen Abend kaum ein Wort gesprochen hat, taut während des Essens so langsam auf und genießt den Eintopf. Uns scheint, die drei haben sehr sehr selten solch ein üppiges Mahl oder Besuch oder einfach einen geselligen Abend. Leider wird sich nach unserem gemeinsamen Essen und dem unerwarteten schönen Erlebnis, das Verhältnis zu Clement zunehmend wandeln. Für uns sehr enttäuschend, sehr lehrreich aber vielleicht auch sehr naiv gehandelt. Auch Helfen will gelernt sein. Um der Geschichte gerecht werden zu können, will ich diese gerne in einem eigenem Blogbeitrag ausführlich erzählen.

Angeltour

Am 22.05. ist die Freude auf Dominika groß denn alle 16 Infizierten gelten als „Recovered“. Damit gilt die Insel als Corona-frei, Juhu! Ironischerweise lässt ausgerechnet an diesem Tag ein Kreuzfahrtschiff in Portsmouth den Anker fallen, selbstverständlich mit offizieller Genehmigung. Der Dampfer bringt jedoch keine Touristen sondern 20 Dominikaner nach Hause, die bisher nicht zurück kommen konnten. Es bleiben natürlich keine Witze über die „Viren-Schleuder“ aus und es bewahrheitet sich 5 Tage später, was viele befürchtet haben: Unter den Heimkehrern tragen 2 Personen das Virus. Auf Dominika wird aber nicht lange gefackelt, Kontaktnachverfolgung und Quarantäne angeordnet und damit sollten diese beiden Fälle die letzten gewesen sein (Zumindest bis jetzt, Anfang August).

Für uns steht heute auch eine besondere Bootstour an, Mr. Eye-Candy und Mr. Charming (so wird das dynamische Duo Jerome und Speshy von einigen Seglerinnen inzwischen genannt), wollen mit uns zum Angeln raus fahren. Seit ein paar Wochen legen sich die beiden Jungs ganz schön in’s Zeug um uns bei Laune zu halten, natürlich nicht ohne etwas daran zu verdienen – eine Hand wäscht die andere. Zudem ist vor allem Jerome ein absolutes Organisationstallent. Egal was gebraucht wird, er kann es auftreiben. Sei es Macouchrie-Rum (wir bekommen gleich ne ganz Gallone), Edelstahl um ein neues Rost für den Herd schweißen zu lassen und allerlei anderes, wo wir uns die Hacken wund laufen würden. Am Indian River-Dinghy-Dock ist immer einer der beiden zu finden, springt meist sofort auf um beim Anlegen zu helfen, kurzer Plausch und meist die Frage, ob man irgendwie helfen kann. Manches stellt sich im Nachhinein auch ein wenig als Lehrgeld heraus, aber in diesen Zeiten ist das auch irgendwie verständlich. Heute also angeln und dazu fahren wir aus der Prince-Rupert-Bay ein ganzes Stück nach Norden, vor Toucari soll es ganz gute Aussichten auf die etwas kleineren Rifffische wie Maria und Tosh geben. Die Fahrt dauert etwa zwanzig Minuten, Anker raus und dann geht es auch schon los. Während wir die ersten Minuten mit unserem ganzen „semi-professionell“-Angelgedöns beschäftigt sind (Rute zusammenbauen, Stahlvorfach suchen, Köder auswählen, Köder dranfummeln, ab ins Wasser, Mist … zu leicht, Köder wieder ab, anderen dran, Bleigewicht suchen, reicht noch nicht, Mist … wieder umbauen, u.s.w.) können sich die Jungs ihr Grinsen kaum verkneifen. Mit einer einfachen aufgewickelten Angelschnur und ein paar Steinen als Gewicht, hat Spesh nach wenigen Minuten bereits den ersten Fisch am Haken, im 10 Minuten Takt geht’s bei ihm weiter. Und während ich noch mit der Strömung bzw. der Ankerkette zu kämpfen habe, beißt nun langsam auch bei Jerome immer wieder einer an. Martin schaut anfangs etwas betröppelt und dann endlich, der erste Biss. Die Freude über seinen Erfolg ist wohl auch ein wenig Lohn für unsere beiden „Angel-Profis“. Nach einer Stunde wechseln wir den Ankerplatz, nach zwei Stunden liegen bereits 15 Fische im Boot. Das Rennen macht wohl noch immer Spesh, inzwischen dicht gefolgt von Martin, bei Jerome hapert es noch ein wenig … Bummelletzter mit genau 0 Fischen bin ich. Mr. Charming ist Profi genug um zu wissen, dass Kundenzufriedenheit großen Einfluss auf die nächsten Geschäfte hat. Also wechseln wir ein letztes Mal den Ankerplatz und lassen uns dierekt an den Cabrits vorbei treiben. Speshy sollte Recht behalten, endlich zuppelt es auch spürbar an meiner Rute und dann hörts gar nicht mehr auf. Jerome macht den „Catch of the day“ mit drei Fischen auf einmal, was ihn zum heutigen Champion macht. Während wir zurück fahren nimmt uns Mr. Candy alle Fische aus und wir dürfen so viele wir möchten behalten: Ein paar schöne rosarote Maria und Tosch, einen Fisch der eher wie ein Aal aussieht und noch einer, dessen Name ich auch nicht mehr weiß. Spielt auch keine Rolle, denn neben einem heftigen Sonnenbrand trotz BaseCap und langem Hemd gibts heute Abend seit langem mal wieder selbst geangelten Fisch.

Dinghy-Drift

Obwohl die Gefahr sich mit Covid19 zu infizieren gegen Null geht, gelten nach wie vor die Abstands- und Hygieneregeln, nächtliche Ausgangssperre ab 20 Uhr. Große Menschenansammlungen sind ebenfalls noch nicht erlaubt. Aber es gibt eben doch Mittel und Wege diese einzuhalten und sich trotzdem zu treffen: Man verabredet sich zur Sonnenuntergangs-Dinghy-Drift. Wichtig dabei ein Dinghy zu haben, möglichst viel Treibstoff im Tank und gekühlte Getränke nach Gusto. Gegen 16:00 versammeln sich in paar Schlauchboote in der Mitte der Anchorage, meist wird gestaunt, was da so alles an Cocktails zusammengepanscht wurde und vor allem wie man das für die nächste Zeit kühlen will. Der Platz den wir uns ausgesucht haben, ist aber nicht so richtig sinnvoll. Denn anstatt aus der Bucht, treibt es die Dinghys Richtung Strand. Damit wäre das Treffen schnell zu Ende. Wir motoren also alle ein gutes Stück raus und befestigen die Boote anschließend irgendwie aneinander, ein wildes Geflecht aus Leinen und Schnüren hält das „Treibgut“ zusammen. Kommt ein weiters Boot dazu, wird Platz gemacht, dazwischen gestopft, dann wieder los gebunden um mal auf die andere Seite des zusammengeknüpperten Riesen-Flosses zu fahren. Die Dinghy-Drift wird so irgendwie auch zum Sinnbild, wie uns die Corona-Krise hier als Gemeinschaft zusammen geschweißt hat. Wir erzählen uns (abenteuerliche) Geschichten, diskutieren die Optionen zur Weiterfahrt, prosten der untergehenden Sonne zu, prosten diesem einen einzigen Segelboot zu, welches weit draußen vorbei fährt. Später am Abend wird klar, dass es die „O“ von Jan und Jane aus Ontario war, die wir im Dezember auf Mindelo kennen gelernt haben. Sie sind auf dem Weg von Guadeloupe nach Grenada, welches am nächsten Tag die ersten Yachten wieder einfahren lässt. Bedingung dafür ist jedoch eine vorherige Registrierung, ein festgelegtes Anreisedatum und eine 14-tägige Bootsquarantäne. Auch aus unserer täglich kleiner werdenden Seglergemeinschaft verlassen in der kommenden Woche gleich fünf Yachten Portsmouth um nach Grenada zum Schutz vor der Hurrikan Saison zu segeln. Andere werden Nonstop in die USA fahren, nach Panama oder Antigua. Wie es mit uns weiter gehen wird, war zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Wie auf heißen Kohlen warten wir auf eine Antwort von Martins Arbeitgeber, ob unter den gegebenen Umständen eventuell eine Verlängerung der befristeten Freistellung vom Arbeitsverhältnis möglich wäre.

Calibishi-Tour, Anse de Mai, Red Rocks, Jean-Baptiste-Point

Am nächsten Morgen geht’s mal wieder früh raus, Howard von der Safara hat eine Tour mit Bongo, unserem Gemüselieferanten, organisiert. Ziel ist die Gegend um Calibishi die wir schon von unserer ersten Tour mit Spesh kennen. Damals war jedoch noch vollständiger LockDown und viele „Sehenswürdigkeiten“ waren geschlossen. Der erste Halt auf unserm Weg durch die Berge ist ein von außen sehr unscheinbares Tal. Nach ein zwei steilen Serpentinen öffnet sich ein traumhaft schönes Gelände auf dem seit einiger Zeit ein botanischer Garten entsteht, den Namen habe ich leider vergessen. Erst auf den zweiten Blick ist erkennbar, dass die Anlage nicht willkürlich gewachsen ist sondern jemand mit großem Talent „Gartenbaukunst“ betreibt. Heimische und exotische Stauden, Blumen, Bäume und Palmen sind so perfekt arrangiert, dass man sich wiedereinmal wie im Garten Eden wähnt. Zwischen dieser Explosion aus Farben und Formen findet man kleine versteckte Pavillons oder schattige Terrassen, Kolibris schwirren herum, Heliconias schwingen sachte im Wind. Unter einem gigantischen Brotfruchtbaum entdecken wir eine Baustelle wo uns der zuständige Zimmermann ganz stolz seine Arbeit der letzten Monate zeigt: Ein ganz zauberhaftes Holzhaus, welches in traditioneller Weise und unglaublich viel Liebe zum Detail als kleines Museum bzw. Ferienhaus errichtet wird.

Weiter geht’s zur Anse de Mai, einer der vielen wilden und rauen Buchten die sich entlang der Nordküste reihen. Wir lassen uns den frischen Wind um die Nase wehen, genießen die Ruhe am weiten Sandstrand und Frühstücken in der winzigen Bar. Bongo kennt die Besitzer natürlich und diese sind froh, die ersten Gäste seit einer gefühlten Ewigkeit zu bewirten.

Der nächste Stopp führt uns zu den Red Rock’s, einer für Dominika einzigartigen Landschaft. Das Felsplateau, dass sich weit ins Meer schiebt strahlt in sattroter Farbe in der Sonne, ein herrlicher Kontrast zum tiefblauen Meer. Zwischen den aus Lava gegossenen Steinformationen sind viele enge Schluchten und Spalten entstanden, die das gesamte Massiv durchziehen und bis ins Meer reichen. Mit ein wenig Kraxelei kann man bis zum Fuß einer dieser Spalten hinuntersteigen. Die Farben und Formen, das Licht und das Meeresrauschen sind beeindruckend und ich staune einmal mehr, wie vielseitig diese Insel ist.

Vom Felsplateau der Red Rock’s ist nach Osten hin unser nächstes Ziel zu erkennen, der Point Baptiste und die gleichnamige Schokoladen-Manufaktur. Dort angekommen stellen wir mit Bedauern fest, dass der Betreiber Alan Napier heute leider nicht da ist. Somit werden wir weder eine Führung durch die „Produktion“ bekommen und vor allem keine Schokolade kaufen können – Naaaaaaiiiin! Wir dürfen uns aber trotzdem auf dem ca. 10 ha großen Gelände umschauen. Rasta, der hier arbeitet, führt uns über das weitläufige Gelände und erzählt in Kurzform die erstaunliche Geschichte von Elma Napier, die zusammen mit ihrem Mann in den 1930er Jahren diesen wunderschönen Garten angelegt hat. Von Howard bekomme ich später den Tip mir das Buch „Black and White Sands“ zu besorgen, in dem Elma ihr erstaunliches Leben und den Weg von einer schottischen Aristokraten-Ehefrau hin zu einem Aussteigerleben in der Karibik beschreibt. Ich weiß nicht, ob dieses Buch auch auf Deutsch zu finden ist. Von mir gibt’s dennoch eine absolute Leseempfehlung, denn man erfährt so viel über die Geschichte der Insel, die Besatzungszeit und die Emanzipation Dominikas, wie man es aus Geschichtsbüchern sonst nicht erfahren würde.

Tour mit Dr. Love und Happy End

Ende Mai läuft das Geschäft für die Tourguides schon wieder richtig an, in Gruppen von maximal 10 Personen können Ausflüge unternommen werden. So schließen wir uns der NeverForever (CA), der Saline (NL) und der Tanta Tula (USA) zu einer gemeinsamen Ganztages-Tour an. Die Fahrt nach Süden bis Scotts Head dauert über eine Stunde. Da die Aussicht entlang der Ostküste immer wieder schön und abwechslungsreich ist und man sich unterwegs viel zu erzählen hat, vergeht die Zeit wie im Flug. Unser erster Stopp am „Cold Souffrier“ in der gleichnamigen Bucht haut uns jetzt nicht so um. Zum einen war ich schon hier während wir in Roseau geankert haben. Zum anderen ist die Tatasche, dass hier am Strand warmes Wasser aus dem Boden blubbert für Dominikanische Verhältnisse eher unspektakulär. Den anderen gefällt‘s trotzdem, Fotos machen, im Wasser rumwaten, von den Americanern hört man ganz oft „Awesom! Fantastic! Amazing! Incredibble!…“ Ich will mir gar nicht vorstellen wie die ausrasten würden, wenn sie am Krater des Boiling Lake stehen würden.

Wir diskutieren das nächste Ziel aus, bis auf ein Pärchen waren schon alle am Titou Gorge. Deswegen wird der Besuch der Felsschlucht kurzerhand durch einen Besuch in den Matschbädern von Wotten Waven ersetzt. Den kleinen Ort haben wir bisher nur aus der Ferne auf unserem Weg nach Trafalgar oder zum kochenden See gesehen aber leider noch keinen Besuch abgestattet. Empfohlen werden die vielen heißen Quellen, die sich alle auf privaten Grundstücken befinden, zum Entspannen und Relaxen wenn man von einer ausgedehnten Wanderung kommt. Unser Fahrer Anselm bzw. Dr. Love bringt uns zum Ti Kwen Glo Cho, natürlich weil er hier die Besitzer kennt. Wahrscheinlich ist es aber egal, welcher der Anlagen man auswählt denn alle liegen in einer traumhaft schönen Landschaft. Eingerahmt von hohen sattgrünen Bergen, ein mit Palmen und Blumen gespicktes Tal aus dem in unzähligen Quellen heißes schwefliges Wasser an die Oberfläche tritt. In hübschen Gärten unter Obstbäumen werden steinerne Pools angelegt, die Wassertemperatur variiert zwischen badewannenwarm und „oh-mein-Gott-ist-das-heiß“, Erfrischung bietet Quellwasser aus den Bergen.

Wir sitzen also gerade schön beisammen in einem der Schlammbäder als Martins Telefon klingelt. Den Anruf aus Deutschland haben wir schon seit gestern erwartet und uns ist ein wenig bange. Mit Schwefelmatsch beschmiert tapst er durch den paradiesischen Garten und ich sehe nur von Ferne wie eine scheinbar tonnenschwere Last von seinen Schultern fällt. Breit grinsend hebt er nur den Daumen in meine Richtung, wir haben das OK für die einjährige Verlängerung! Ich kann’s nicht glauben, Wahnsinn! Ein Jahr geschenkt! In all die Freude mischen sich natürlich gleich hundert Gedanken, was nun alles organisiert werden muss. Aber die schieben wir erst mal beiseite. Wie aus einem der kleinen Wasserfälle sprudelt die frohe Kunde aus mir heraus und unsere Begleiter freuen sich riesig für uns. Was für eine Nachricht, was für ein Tag! Die restlichen Stunden unserer Tour ziehen eher schemenhaft an uns vorbei, Martin und ich können unser Glück kaum fassen. Dr. Love bring unsere kleine Reisegruppe noch zu den Jacko und den Spanny Falls, zwei wirklich schöne große und beeindruckende Wasserfälle, wieder in malerischer Landschaft, aber unsere Gedanken sind ganz woanders. Wir fahren entlang des weiten und gemächlich dahinfließenden Layou-River, wieder ein traumhaftes, einzigartiges Naturparadies, das ich sonst staunend genießen würde, aber wir planen schon die nächsten Wochen. Den letzten Halt machen wir in St. Joseph, der Tag hat alle doch recht hungrig gemacht. Bei Sandwichs und Bier plappern mittlerweile alle ganz aufgeregt durcheinander, denn unsere Freude scheint auch die Reisegruppe ein wenig infiziert zu haben. Lediglich Jean-Paul und Marjolein wirken etwas bedrückt. Für sie heißt es bald Abschied zu nehmen und sich auf die ungewisse Reise zurück nach Europa zu machen. Mir wird dabei erst richtig deutlich, wie groß das Geschenk ist, welches uns heute gemacht wurde.

A propos Geschenk: Als wäre der Tag nicht schon perfekt genug gelaufen, gibt‘s am Abend noch das Tüpfelchen auf dem „I“. Wir hatten Titus vor ein paar Tagen angefragt, ob er uns irgendwie einen Benzingenerator besorgen kann. Uns war das bisher nicht möglich oder unglaublich teuer. Titus ist hier neben den PAYS-Jungs einer der Platzhirsche und noch dazu ein echt angenehmer, lustiger, etwas ausgebuffter Zeitgenosse; Geschäftsmann, Pirat und Charmeur in einem. Titus bringt die frohe Kunde, dass einer seiner Freunde einen Generator habe, der aber leider nicht läuft. Das Model wisse er nicht, aber er sei noch nicht all zu lange defekt. Erste Frage von uns, was das gute Stück denn kosten soll: Naja… so 900 – 1000 EC. Dazu muss man zwei Dinge wissen: Erstens würde ein Dominikaner bei Geldfragen nie sagen „Das weiß ich nicht“ sondern erst mal eine (möglichst hohe) Zahl in den Raum werfen. Zweitens sollten manche Locals ab Nachmittag keine größeren Geschäfte mehr abwickeln, denn zum Sonnenuntergang sind sie meist schon so weit „entspannt“, dass ihnen der Geschäftssinn vielleicht ein wenig abhanden kommt. Wir sagen Titus, dass wir durchaus an dem kaputten Gerät interessiert sind, vielleicht kann ja Martin was richten. Eine Stunde (es ist mittlerweile stockfinster) später ist er wieder zurück und stemmt das rote Ding auf’s Deck. Seilzugstarter gerissen, ein wenig verstaubt, 120 V statt 230 V, kein Label oder Name oder Typenschild mehr vorhanden. Martin hatte sich in den letzten Tagen und Wochen schon eingehend damit beschäftigt und meint sofort das Modell zu erkennen. Etwas Recherche im Netz später und wir sind uns sicher, dass es ein Honda 2000EU (2kW) ist, der Mercedes unter den Kleingeneratoren. Den kaputten Starter hat er in wenigen Augenblicken repariert, ein paar Drähte umgeklemmt um die 120 V heraus zu bekommen und schon schnurt das Schätzchen los, Energieproblem gelöst! Am nächsten Morgen beeilt sich mein Skipper, Titus so schnell wie möglich die 900 EC zu bezahlen, bevor dieser auf die Idee kommt, den Preis zu überdenken. Ein paar Ausgaben kommen noch hinzu, wie z.B. einen Transformator in Selene einzubauen, um die Spannung von 120 auf 230 V zu wandeln. Da wir ja nun seit gestern wissen, dass unserer Reisekasse statt für ein Jahr nun für zwei Jahre reichen muss, sind wir echt happy so ein Schnäppchen gemacht zu haben! Ganze 450 € für den Generator, den Transformator (120V zu 230V) und paar Kabel. Klingt zwar trotzdem nach viel Geld aber wir haben eher an die 1.000 € nur für den Benzingenerator gerechnet. Manchmal muss man halt auch einfach Glück haben.

Danke-Schön-BBQ bei PAYS

Die Seglercommunity ist im Laufe der letzten beiden Maiwochen erheblich geschrumpft, viele treffen Vorbereitungen um den Hurrikain-Belt, zu dem auch Dominika gehört, zu verlassen. Egal mit welcher Crew man spricht, alle sind sich einig, dass wir hier einen der besten Plätze weltweit gefunden haben, um die Corona-Pandemie auszusitzen. Die Gastfreundschaft, die Hilfsbereitschaft und das herzliche Miteinander der letzten Wochen sowohl unter den Seglern als auch mit den Einheimischen hat mich tief beeindruckt. Aus anfänglicher Skepsis und Misstrauen wurden recht schnell gute Geschäftsbeziehungen, aus Locals und Seglern wurden Freunde, der Begriff der Corona-Family schließlich geprägt. Wir wissen jetzt, dass wir trotz einiger Einschränkungen und mehrtägigen Ausgangssperren dennoch so viel Bewegungsfreiheit auf Dominika genießen durften, wie auf keiner andern Insel. Um unsere Dankbarkeit gegenüber den Mitarbeitern von PAYS und damit stellvertretend für die Menschen in Portsmouth zu zeigen, wurde von den Seglern ein erstes Barbecue seit Monaten (!) am PAYS-Pavillion organisiert, selbstverständlich mit vorheriger Genehmigung durch offizielle Stellen denn noch immer galt die Regel von „socila distancing“ und „no gathering“. Bevor wir uns in alle Himmelsrichtungen zerstreuen wollen und müssen wir als Segler/Gäste/Fremde irgendwie zum Ausdruck bringen, wie Dankbar wir den Dominikanern und besonders unseren vielen, vielen Freunden in Portsmouth sind. Dazu hatte einer der Segler einen richtig schönen nostalgischen Rettungsring aufgetrieben, auf dem alle Crews sich verewigen durften. Unter großem Applaus, bei manchen auch mit einem kleinen Tränchen im Auge, haben wir diesen an Jeff, den Chef von PAYS, übergeben. Thank you, Dominika! Gracias! Danke schön! Merci! Auch an eine wirklich tolle Segler-Community.

Für uns läuft ab Anfang Juni auch der Coutdown bis zur Abreise, die Wochen sind gezählt. Wir haben uns ebenfalls für Grenada als Unterschlupf für die Hurrikan Saison entschieden und einen Einreisetermin für die zweite Juliwoche gebucht. Der Ansturm auf das südlichste Eiland der kleinen Antillen ist so groß, dass ein Platz in der vorbereiteten Quarantäne-Ankerbucht nur zeitlich gestaffelt reserviert werden kann denn die ankommenden Schiffe müssen hier 14 Tage bleiben bevor sie zu anderen Buchten auf Grenada weitersegeln können.

Portsmouth – kleine und große Scharmützel

Aus unseren letzten 6 Wochen in Portsmouth könnte man gut eine Kurzserie im Stil von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ drehen. Wir kommen immer mehr mit den Menschen in Kontakt, ich will behaupten dass neben geschäftlichen Beziehungen auch wirklich gute, herzliche persönliche Kontakte geknüpft werden. Leider bemerken wir zu spät, dass wir dabei ungewollt und ungeahnt von einem Fettnäpfchen in‘s nächste stolpern. Ende Juni tut sich dann ein „Abgrund“ vor uns auf, den jeder nachvollziehen kann, der auf‘m Dorf wohnt. Aber der Reihe nach. Die Restaurants und Bars dürfen wieder öffnen, wir treffen uns mit Freunden mal bei Kish‘s, mal im Purple Turtle, mal im Caribean Vibes. Später werden auch wieder BBQ‘s organisiert, endlich wieder Musik, es wird getanzt, geflirtet, Domino gespielt. Wir treffen meist die selben Segler bei Candys oder bei Christophs, es sind ja nur noch eine handvoll da, aber unsere einheimischen Freunde scheinen da sehr wählerisch zu sein. Sind wir zweimal hintereinander im Turtle werden die Leute von PAYS sauer, gehen wir zu Jardy bekomme ich am nächsten morgen Ärger mit Kish, ordern wir Essen bei Kish wird Sandy vom Madiba sauer … wie man‘s macht, irgendjemand fühlt sich auf den Schlips getreten. Unterhalte ich mich mit Bonti grummelt mich Titus an (ok, Titus war mal im Gefängnis weil er Bonti den Arm gebrochen hat als sie sich um eine ankommende Yacht gestritten haben), grüße ich Homti am Strand wird Kenneth sauer … ich habe irgendwann aufgehört danach zu fragen warum. Portsmouth ist klein, nur 6000 Menschen leben hier, verteilt auf 5 Stadtteile, jeder kennt jeden, nichts ungesehen oder unkommentiert. Einerseits sind sie hier alle irgendwie verwand, verschwägert oder sonst wie verbandelt aber die Leute aus Lagoon kommen mit denen aus Picard nicht klar, die aus Glanvilla nicht mit denen aus Lagoon, die aus Chance nicht mit denen in Zickak … es ist halt eigentlich wie daheim auf’m Dorf.

Anfang Juni, die Boatboys fahren immer seltener durch die Bucht denn es ist kaum noch „Kundschaft“ da, drehen einzig Titus sowie Jerome und Spesh noch regelmäßig ihre Runden. Die beiden Jungs kennen wir nun mittlerweile so gut, dass wir auch einfach mal so am Indian River Halt machen und ne Weile quatschen. Meist kommt dann doch irgendetwas zur Sprache, was wir vielleicht mal besorgen müssten. Dann bietet sich Jerome oft unaufgefordert an, uns irgendwohin zu fahren. Mit seinem altersschwachen, verbeulten und schiefliegenden (weil Federbruch erlitten) Vehikel kurvt er uns durch Portsmouth. Aus der Stadt raus fährt er aber nicht mehr, zum einen ist die Frontscheibe mehrfach gerissen und es kann gut passieren, dass das Gefährt einfach mal stehen bleibt. Bei einer dieser Fahrten lernt Martin dann auch seine 7 Monate alte Tochter kennen, die Jerome ganz stolz präsentiert. Mich irritiert ein wenig die Tatsache, dass er seit Jahren mit einer Deutschen verheiratet ist (ja, er spricht fließend unsere Sprache und arbeitet im Winter in Österreichs Skigebieten), aber das Kind sei kein Problem für die Beziehung. Darüber wie unterschiedlich hier die Auffassung bei Themen wie Familie, Heiraten, Stellung Mann/Stellung Frau, Kinder bekommen und Kinder großziehen sind, werden wir noch so einige Male staunen.

Spesh’s 7-jährige Tochter Bella lerne ich auch eines Tages kennen, ein echt aufgewecktes und unglaublich neugieriges Mädchen, dass ihrem Papa gehörig auf der Nase herum tanzt. Eigentlich wollte ich nur ein Stück außerhalb Picards in die Berge als Bella am Dinghy Dock steht und mich mit großen Augen anschaut. Ganz viele Fragen sprudeln aus ihr heraus: Wie ich heiße, wo ich herkomme, warum ich so helle Haare habe, ob ich ihre Tante kenne, … Ich habe keine große Wahl denn Bella beschließt den Nachmittag mit mir zu verbringen. Den Papa freut’s, denn er kann sich anderen Dingen widmen, zum Beispiel Gesprächen mit „nice Ladys“ führen, eine seiner liebsten Beschäftigungen. Wir schlendern ein paar Stunden durch Glanvilla, gehen wie selbstverständlich bei den Leuten ein und aus. Kommt ein Regenguss rennt Bella los und macht irgendwo die Haustür auf. Alle kennen sie hier und mich seit diesem Nachmittag wohl auch. Tatsächlich sind es fast alles Verwandte von ihr: Tanten, Onkel, Cousinen, Großnichten, Großcousins. Nachdem sie erfahren hat, dass ich auf einem Boot wohne, gibt‘s kein Halten mehr und es wird so lange bei „Daaaady, pleeeeease“ gebettelt bis er zustimmt, dass sie mit mir Selene anschauen darf. Martin ist nicht an Bord und so liegt es an mir den Wirbelwind davon abzuhalten, auf alle möglichen Schalter und Knöpfe zu drücken. Was ist hier drin, wofür ist das denn, kann ich da mal ziehen, gehen wir schwimmen, ich habe keinen Badeschlüpfer, darf ich dein Kleid anziehen … großes Geschrei, als die vereinbarte Zeit rum war. Es waren nur vier Stunden. Mama, ich habe so viel Respekt vor dir, wie du das jahrelang mit uns dreien auf einmal gemeistert hast!

Am nächsten Tag treffe ich mich mit Vater und Tochter noch einmal. Bella möchte mir unbedingt ihre Schule zeigen, die sie seit 8 Wochen nicht mehr besuchen kann und ihren Lieblingsplatz in Portsmouth. Mit Spesh gibt es noch einiges Organisatorisches zu klären, denn Martins Geburtstag steht an. Uns geht es hier so gut, eigentlich haben wir alles also was soll man sich da groß schenken. Mir schwebt da eher eine schöne Geburtstagsparty vor. Das Problem ist Mitte Juni jedoch, dass richtig große Feiern mit Musik und Tanz und OpenEnd bisher noch nicht möglich sind. Abstandsregeln müssen eingehalten werden, die Personenzahl darf 50 nicht überschreiten, ab 20:00 Uhr herrscht immer noch Ausgangssperre. Ich habe also Spesh und Jerome gefragt, was und ob man da trotzdem etwas organisieren könnte. Ich möchte auf keinen Fall die Regeln brechen und schon gar nicht meine Gäste oder die Organisatoren in Schwierigkeiten bringen. Mir wird versichert, dass das kein Problem für sie darstellt. Wir besprechen natürlich das Finanzielle im Vorfeld und ich überlasse die Organisation den beiden Herren. Als Ort, wo die große Sauße steigen soll, haben wir die BushBar im Indian River auserkoren und ich freue mich riesig darauf. Eine traumhafte Location, zu Fuß und per Boot gut zu erreichen und weit genug von der Stadt entfernt ist, dass nicht Hinz und Kunz vorbei kommen. Um mir zu zeigen, dass dies tatsächlich der beste Ort für so eine Feier ist, bekomme ich von Spesh und Bella am Nachmittag eine exklusive Führung durch Portsmouth, Chance und auf verschlungenen Pfaden zum Indian River bis zur BushBar. Damals wusste ich noch nicht, welche Schwierigkeiten ich uns damit eingebrockt hatte…

Bis zu Martins Geburtstag reisen wiederum einige Yachten ab und so wird die Gästeliste immer überschaubarer, wir zählen nur noch 7 Boote. Dazu einige Freunde von Land und damit sollten wir bei maximal 30 Leuten keine Probleme mit den Behörden bekommen. Drei Tage bevor die Party steigen soll sitze ich mit Lori und Spesh bei Pays. Wir sind gerade von einer sehr, sehr schönen langen und doch recht anstrengenden Wanderung zurück. Früh Morgens ging es per Taxi nach Capucin und von dort über das 13. Teilstück des Waitukubuli-Trails bis nach Penville. Der Trail ist wie fast alle Teilstücken super gut ausgebaut, zum Teil recht steil aber mit wunderbaren Ausblicken. Unterwegs spenden zwei Wasserfälle inklusive Pool eine kurzzeitige und willkommene Erfrischung. Besonders Lori merke ich an, wie sie diese letzte Tour genossen hat. Für sie und Brian geht es morgen nach Antigua, wo erstmal 14 Tage Quarantäne warten. Spesh ist stolz wie Bolle und hält damit nicht wirklich hinterm Berg. Er hatte wahrscheinlich eine mindestens so gute Zeit wie Lori und ich, denn es passiert sehr selten dass Mister Charming den Tourguide nur für zwei Ladys geben darf. Dass wir von einer geführten Tour mit ihm kommen entgeht natürlich den andern Guides nicht, die hier tagein tagaus auf Kundschaft warten.

Wir genießen ein kühles Kubuli, tauschen Photos und Kontakte aus und freuen uns über den schönen Tag als mich die ersten Vorboten des aufziehenden Ärgers erreichen. Obwohl wir unser Privatfeier nicht an die große Glocke hängen wollten, wissen die Jungs von PAYS schon längst Bescheid. Man will mir ja keinen Ärger machen aber ich müsste das schon noch offiziell anmelden und vor allem mit Diane vom „Health-Departement“ abklären… Spesh ist genau so überrascht wie ich. Wer sich hier verplappert oder übergangen gefühlt hat, weiß ich nicht. Aber ich bekomme so ganz dezent den Hinweis, dass es viel einfacher wäre, die Party abzusagen und statt dessen bei PAYS durchzuführen… oh weh … was kommt da noch?

Am Tag vor Martins Geburtstag schaue ich schnell bei Kish rein, kurzer Plausch und meine Frage, wo ich denn einen Geburtstagskuchen herbekommen könnte. An Bord backen ist ja irgendwie blöd, weil dann ist es ja keine Überraschung mehr. Sie weiß sofort, wen sie anrufen muss und versichert mir, dass am nächsten Morgen Titus einen schönen Kuchen für Martin liefern wird. Auf meine wiederholte Einladung an sie, an Titus, Reginald und die beiden Crews von Bliss und Matriarch, die ihre Bar als ihr neues Wohnzimmer okkupiert haben reagiert sie … nun ja … anders als ich es erwartet hab. Ja, danke, sie wird das mit Titus besprechen und dann kommen sie vielleicht irgendwann vorbei. Ich denke mir nichts weiter und bin gespannt auf morgen. Der Kuchen kommt wie versprochen und am Morgen lüfte ich dann für Martin auch endlich das lange gehütete Geheimnis, wo es denn heute Nachmittag noch hin geht. Er hatte schon ganz schlimmes befürchtet aber jetzt sind wir beide sehr gespannt, was Spesh und Jerome vorbereitet haben.

Was soll ich sagen, es wird ne richtig schöne Feier. Die Jungs haben vor Tagen verschiedene Frucht-Punshes angesetzt, es gibt gegrillten Fisch, jede Menge Obst und Gemüse, Reis, so was wie Broth aber mit Fleisch, alles aus heimischen Anbau und sehr sehr lecker. Ok, das Bier wurde vergessen und der Typ für die Musik ist nicht aufgetaucht aber hey … wir feiern in der BushBar Geburtsag. Die Stimmung ist gut, es gibt viel zu erzählen und zu lachen. Martin ist eh nicht der große Tänzer, der die Hütte zum kochen bringt und so wird das eben eher ein echt chilliges Beisammen sein an einem wunderschönen Ort mitten im Indian River. Wer mich kennt, weiß dass ich einen Faible für das Organisieren von Feiern habe und mir dafür ein Bein ausreißen würde. Wichtigster Punkt dabei: So viele Leute wie möglich zusammen bringen. Daher war ich schon ein wenig enttäuscht, dass von den vielen eingeladenen aus Lagoon nicht einer aufgetaucht ist …

Es bleibt nicht viel Zeit, sich darüber zu grämen denn 20:00 Uhr müssen wir dann leider schon Schluss machen. Jerome und Spesh bringen uns durch den Jungle zurück zu unserem Dinghy, doch bevor wir einsteigen können müssten wir noch das Finazielle abschließen. Ich verstehe nicht ganz, denn ich habe den beiden doch schon 700 EC bezahlt, so wie ausgemacht. Nee, nee, da fehlen noch 800 EC … whaaat? Wer jetzt wen missverstanden hat, ob es gewollt oder versehentlich passiert ist, kann ich im Nachhinein nicht mehr sagen. Bei all den guten Geschäften, die wir bisher mit den beiden abgeschlossen haben und dem obendrauf eigentlich guten freundschaftlichen Verhältnis fällt es mir schwer, das Wort Kalkül in den Mund zu nehmen. Wie man es auch immer bezeichnen will, es ist auf alle Fälle zu einem herben Missverständnis gekommen: Ich sprach von 500 bis maximal 1000 EC, sie von 1.500 EC. In dem Moment musste ich die Sache erstmal verdauen, also habe ich um Aufschub bis zum nächsten Morgen gebeten, Geld hatte ich so wie so keines dabei.

Die Angelegenheit lässt mich nicht ruhig schlafen und so bin ich schon sehr früh wach. Mitten in mein Sinnieren über Abzocke oder Missverständniss platzt plötzlich Bonti. Er hatte Martin und mich zusammen mit Sue und Malcom gestern im Ruderboot zur Bushbar gebracht, unaufgefordert und ohne dass wir ihn bestellt hatten. Nun möchte er für seine Dienstleistung doch auch gerne noch 120 EC haben, ich bin kurz vorm explodieren. Ich verweise ihn an Jerome und sage, dass ich für die Party eine Festpreis vereinbart habe in dem die Fahrt auf dem Indian River inkludiert ist. Er dampft erst mal schimpfend ab und ich bin in genau der richtigen Stimmung um mir die beiden Organisations-Genies vorzuknöpfen.

Um zu verstehen, warum mich dieser Abend so auf die Palme gebracht hat, muss ich noch ein paar Gedanken voraus schicken. Es sind nicht mehr so viele Segler (Weiße) da und wir werden natürlich überall sofort erkannt. Einerseits ist es schön bei jedem Gang in die Stadt mit Namen angesprochen zu werden. Ein kurzer Plausch mit der netten und sehr religiösen Dame im Minimarkt, der immer mit einem Bibelspruch und „God bless you“ endet oder die Fachsimpelei mit Levin, einem Rastafarai wie er im Buche steht, über die Qualität seiner Früchte und den Saft, den er daraus macht. Am PAYS-Pavillon, den wir immer noch gerne nutzen um das WiFi zu schorren oder am Blog zu arbeiten, treffen wir fast täglich Kenny, Jackson, Jeff, Homti, Yellow, Spaghetti (ja, der heißt wirklich so, es gibt auch noch einen Makaroni) und auch wenn man eigentlich nur arbeiten will befindet man sich automatisch in einer heftigen Diskussion über Corona, Politik, Rassismus, Legalisierung von Marihuana, Geld und besonders Geld leihen oder man trinkt einfach nur ein Bier zusammen. Durch die vielen Leute die man kennt, wird eine kurze Besorgung oftmals ein mehrstündiges Unterfangen. Es gehört hier einfach dazu, nicht nur zu Grüßen, sondern die Frage „How‘r U? How‘s ur day going?“ ist schon ernst gemeint und man nimmt sich Zeit für einander. Man darf nicht vergessen, die Menschen haben hier im Moment nichts bzw. sehr wenig zu tun. Keine Touristen, keine Einnahmen. Und das bringt mich auch schon zur Kehrseite der Medaille. Nicht jede Begegnung ist schön, nicht jedes Gespräch ist angenehm. Die Anzahl der Segler hat rapide abgenommen und damit auch die wenigen begrenzten Einnahmemöglichkeiten. Uns fällt immer öfter auf, dass das Schnorren und Betteln immer mehr zu nimmt. Ich weiß, dass dieses Thema ein ganz heikles Terrain ist und man höllisch aufpassen muss, nicht eine ganze Bevölkerung in eine Schublade zu stecken, aber wir werden zunehmend sensibler dafür, mit welchen Augen uns einige sehr wenige Menschen hier betrachten. „The white Cashmaschine“ ist so ein unschöner Ausdruck, den ich inzwischen mehrfach aufgeschnappt habe. Auch wird uns immer deutlicher vor Augen geführt, dass es für viele Dienstleistungen und Geschäfte den „local“ und den „white“-Tarif gibt.

Jerome wartet bereits am Indian River, hilft mir wie immer mit dem Dinghy. Bevor ich die Angelegenheit mit ihm ausdiskutiere, gehe ich zur Bank und besorge das restliche Geld. Immerhin funktionieren meine Karten wieder (auch so eine Geschichte, die mich noch jetzt auf die Palme bringt. Schönen Gruß an die Hypovereinsbank, Kundenfreundlichkeit geht anders. Von der Sparkasse fange ich mal besser gar nicht an zu reden. Egal, andere Baustelle). Wenn ich was nicht leiden kann, dann sind es Schulden. Dazu bin ich einfach zu gut erzogen, noch dazu wenn der Fehler möglicherweise bei mir liegt. Nichts desto trotz erkläre ich Jerome, dass ich das Gefühl habe, die beiden hätten mich absichtlich hinter die Tanne geführt. Er hält dagegen, dass für den Preis von 500 – 700 EC niemals so eine Feier auf die Beine gestellt werden könne, alleine die Miete für die Bar liegt am Abend bei 500 EC. Wieder beschleicht mich das Gefühl, dass sobald ein Geschäft mit „Weißen“ angebahnt wird, einige andere auf den Zug aufspringen und auch einen kleinen Gewinn machen wollen. So wirklich läßt er sich aber nicht in die Karten schauen, wer von wem wie viel an diesem Abend bekommen hat und ich bin es leid herauszufinden, ob das denn angemessen war oder nicht. Letztendlich will ich die Sache abschließen, vielleicht knicke ich auch zu schnell ein, aber ich habe eben doch im Hinterkopf, wie es um unsere und um deren finanzielle Situation bestellt ist. Ohne Frage 500 € sind eine Menge Geld, so viel reicht uns normalerweise für 2 -3 Wochen. Es ist auch gar nicht die Summe, die mich so verärgert. Es ist das Gefühl anders oder mit weniger Respekt, vielleicht auch weniger Anstand behandelt worden zu sein. Um ein bisschen Abstand zu bekommen und vielleicht auch um zu zeigen, dass wir als Weiße auch nicht unendlich viel Geld haben erkläre ich ihm, dass diese Ausgabe in unsere Kasse ein sehr sehr großes Loch gerissen hat. Daher können wir für den laufenden Monat keine Ausgaben über das notwendige hinaus tätigen. Alles was Martin in Bezug auf meinen Geburtstag angefragt hat müssen wir leider stornieren.
Als ich mich von Jerome verabschiede, bin ich meine Schulden los und der Meinung, dass wir alles geklärt haben. Spesh taucht just in dem Moment auf, als ich gerade ins Dinghy steige. Ich habe keine Lust, nochmals meine Enttäuschung und Ärger zum Ausdruck zu bringen oder auszudiskutieren, wo genau das Missverständniss gelegen hat. Ich nicke ihm nur kurz zu und sage, er solle sich alles von seinem Cousin Jerome erklären lassen. Von da an haben wir Jerome so gut wie nicht mehr gesehen und kaum mehr gesprochen. Geld zerstört Freundschaften, das war leider schon immer so und ist auch hier in der traumhaften Karibik nicht anders.

Spesh jedoch erstaunt uns. Noch am selben Tag kommt er zum Strand und besteht darauf, mit mir zu sprechen. Mir steht momentan der Sinn gar nicht danach, denn auch Bonti taucht noch einmal auf und möchte bezahlt werden. Meinen Ärger über die beiden Jungs konnte ich heute morgen kaum verhehlen, aber ich erkläre Bonti nun, dass mit der Bezahlung die Angelegenheit für mich erledigt ist und letztendlich ein dummes Missverständnis zu all dem Ärger geführt hat. Jeder sollten nun zufrieden sein, wir haben uns alle mal kurz aufgeregt und danach die Hand gegeben, es gibt nichts mehr (meiner naiven Meinung nach) was einem angenehmen Miteinander im Wege steht. Denkste. Bonti, der auch irgendwie zu PAYS gehört, ist hier in Lagoon sowas wie der Ortsteil-Newsletter, d.h. bereits am Nachmittag wusste halb Portsmouth von der Geschichte. Die Kurzform lautete: Die Jungs vom Indian River haben die Segler beschissen und nun machen die auch keine Geschäfte mehr mit uns! Na prima, wie soll man denn das noch einfangen. Spesh jedenfalls bemüht sich, irgendwie Ordnung in das Chaos zu bringen. So richtig gelingt ihm das leider nicht, denn zum einen versteht er die ganze Aufregung gar nicht (Jerome hatte nicht mit ihm gesprochen) und zum anderen hat er wohl schon zu viele Bob Marleys gehabt, ich verstehe ihn jedenfalls kaum. Aber ihm ist die Situation doch auch recht unangenehm und so verspricht er mir, die Sache irgendwie wieder gut zu machen. Das einfachste wäre ja, mir einen Teil des Geldes zurück zu geben aber wir sind lange genug hier, um zu wissen, dass man einmal aus der Hand gegebenes Cash hier so gut wie nie zurück bekommt.

Um etwas Ruhe in die aufgeheizte Situation zu bringen und die Wogen ein wenig zu glätten, ziehen wir uns die nächsten Tage entweder auf‘s Boot zurück, kümmern uns um Selene oder gehen irgendwo ohne Guide wandern. Martin beschäftigt sich mal wieder mit einer defekten Nähmaschine, einem Schlagbohrhammer und diversen Handys, die gewässert wurden. Mich zieht es jedoch eher raus in die Berge, noch einige Male bin ich an den Cabrits unterwegs oder ich genieße die Ruhe am Picard River. Formelles müssen wir auch unbedingt erledigen, denn unsere Visas sind abgelaufen. Drei Monate darf man maximal auf Dominika als Tourist bleiben, danach muss man bei der Einwanderungsbehörde in Roseau das Visum verlängern. Blöd nur, dass wir zweimal fahren müssen, denn die Stempel bekommt man nur bei persönlichem Erscheinen. Martin konnte also nur sein Visum verlängern, ich musste dann am folgenden Tag selbst auf der Behörde erscheinen. Aber mal wieder einen Tag in der Hauptstadt zu verbringen ist ja auch ganz nett, hier kennt uns niemand und wir wurden weit weniger um Geld gebeten, als vorher. Besonders das Betteln ist in Portsmouth in den letzten Wochen ein sehr sichtbares Problem geworden. Am Strand tauchten immer häufiger junge Leute auf, die selbst die Locals hier bisher nicht kannten. Zum Teil wurden wir sehr dreist und aufdringlich in Gespräche verwickelt, die immer in der Bitte bzw. Aufforderung nach Geld endeten. Hunger wird oft als Grund angegeben, tatsächlich geht es aber mehrheitlich um die Beschaffung von harten Drogen. Meist kam dann, bevor so eine Situation eskaliert, einer der PAYS-Jungs zu Hilfe und regelte die Angelegenheit für uns. Leider haben wir nicht immer Glück, eines Nachmittags gerät ein junger Kerl mit Martin so heftig aneinander, dass dieser eine gute Stunde auf- und ab läuft und wüste Beschimpfungen über den Strand brüllt. Ob nur wir oder PAYS oder die ganze Welt seinen Zorn auf sich gezogen haben, konnte ich nicht verstehen.

Wir dosieren unsere Besuche bei PAYS, bei Kish, Jardi oder Christophs nun etwas ausgewogener, versuchen niemanden zu bevorteilen oder zu vernachlässigen. Die Unruhe legt sich, wir haben das Gefühl wieder überall gern gesehene Gäste zu sein, die Stimmung ist wie vorher. Sundowner am Strand, BBQ bei Kish, Palavern bei PAYS. Wir verlieren über niemanden ein schlechtes Wort, denn dazu haben wir absolut keinen Grund. Reden die Locals schlecht übereinander, halten wir uns raus. Alles scheint wieder wie vorher zu sein nur mit Clement gibt es zunehmend Probleme, die uns dazu zwingen, den geliehenen und noch immer nicht bezahlten Außenbordmotor wieder einzuziehen. Auch das läuft ohne Problem und Clement fährt fortan mit der großen von Martin reparieren 15 PS Maschine zum Fischen raus. Bei uns kommt er so gut wie gar nicht mehr vorbei

Mitten in die scheinbar wieder hergestellten Idylle schreckt uns ein Vorfall dann doch erneut auf, man hat versucht in unser Boot einzubrechen. Am Abend zuvor waren wir auf der Piano eingeladen und sind natürlich erst bei Dunkelheit zurück. Zwischen unseren beiden Booten liegen keine 100 m. Schon der Versuch das Schloss vom Steckschott aufzuschließen läßt mich etwas ratlos zurück, so schwer ging das ja noch nie. Scheinbar hat sich irgendetwas verklemmt. Über dem Schott befinden sich unsere drei Anzeigen zur Wassertiefe, Windrichtung und Geschwindigkeit. Nur die Windex ist dauerhaft an, da sie zudem die momentane Ladespannung der Batterien anzeigt. Seltsamerweise war diese aber verstellt. Vier Tage zuvor hatte uns jemand in der Nacht ein Brett ins Cockpitt gelegt, ca 60 cm lang, fingerdick und mit einigen rostigen Nägeln gespickt. Wir haben uns keinen Reim darauf machen können, es erst mal aufgehoben und so im Cockpit verstaut, dass wir uns nicht daran verletzen. Dieses Brett, natürlich mit den Nägeln nach oben, lag in der Nacht auf der Cockpitbank. Wenn wir bei Dunkelheit zurückkommen brennt normalerweise kein Licht auf dem Boot, aber wir kennen uns ja soweit aus, dass wir wissen wo wir hintreten – unter anderem genau da, wo dieses Brett nun lag. Wir schließen also das Boot auf, packen die beiden Steckschots beiseite und bringen die Puzzleteile nicht zusammen. Erst am nächsten Morgen fallen mir die Holzsplitter auf und ich sehe die Beschädigungen am Schott. Eindeutig Spuren eines Stemmeisens oder eines großen Schraubenziehers. An mehreren Stellen wurde das Werkzeug angesetzt aber Gott sei Dank ohne Erfolg. Mir reicht es jetzt, das ist wirklich zu viel. Keine Ahnung, ob hier jemand ein persönliches Problem mit uns hat, oder ob hier tatsächlich jemand versucht hat das Boot zu stehlen. Ich will dass das publik wird. An Deck und im Cockpit lagen einige Dinge, die man schnell zu Geld machen könnte, einen reinen Diebstahlversuch schließen wir aus.

Martin fährt mit dem Nagelbett und dem ramponierten Schott zu PAYS. Wir hängen ja noch immer an einer ihrer kostenpflichtigen Moorings und die Vereinigung ist unter anderem für die Sicherheit in der Bucht zuständig. Fairerweise muss man dazu sagen, dass seit PAYS vor 10 Jahren gegründet wurde, nicht ein Vorfall dieser Art dokumentiert ist. Jeff, der Chef von PAYS ist natürlich auch angefressen. Alle hier wissen, was so eine Geschichte für Folgen haben kann. Nichts ist schlimmer für die so schon gebeutelte Region, wenn jetzt auch noch bekannt würde, dass Portsmouth nicht sicher ist. Die Polizei kommt später noch vorbei, aber wir machen uns keine Hoffnung, dass bei den Ermittlungen irgendetwas zu Tage gefördert wird. Auch diese Geschichte geht wie ein Lauffeuer durch Portsmouth und dieses mal ist es mir sogar ganz recht. Jeder hier weiß, wie wichtig die Segler für die Wirtschaft sind, ganze Familien hängen daran. Nicht nur die Boat-Guys. Auch die Restaurants, Bars, die Frauen die einen Wäscheservice anbieten, die Tauchschulen, Autovermietungen, Tourguides. Kein Kreuzfahrttourist braucht diese Angebote, es sind die Segler die diese Services annehmen. Und so verlassen wir uns darauf, dass die Community am Strand von jetzt an wachsam ist, jeder versichert uns, dass so etwas nie wieder passieren wird. Wir merken, wie ernst es den Locals ist und wie sie sich um die Reputation ihrer schönen Insel sorgen, vor allem aber dass ihnen unsere Sorgen und Unwohlsein nicht egal sind. Niemand außer unserem frechen Haustier-Fisch, beißt in die Hand, die ihm Essen bringt. Wir verzichten darauf, diesen Vorfall auf den einschlägigen Seiten zu publizieren. Portsmouth braucht die Segler und wird alles dafür tun, dass dies eine absolute Ausnahme war.

Es fällt nicht leicht, so eine Situation einfach abzuschütteln. Für einen Diebstahl oder sonstigen Schaden haben wir derzeit keinen Versicherungsschutz. Die letzten Wochen verlassen wir fast nur noch einzeln Selene oder bleiben immer in Sichtweite. Wie gut, dass das für heute von Kish anberaumte BBQ direkt vor unserer „Haustür“ am Strand bei Christophs stattfindet. Nach ein zwei Punsh, karibischen Klängen, wahnsinnig leckerem creolischem Essen, bis auf‘s Messer ausgetragenen Dominopartien, ausgelassener Stimmung und ausladenden Hüftschwüngen ist der Vorfall am Abend schon fast wieder Geschichte. Die ganze Nachbarschaft kommt zusammen, dazu die Familien-Crews von Bliss und Matriarch, Jan und Maggi aus Hamburg (aber die leben hier schon 14 Jahre), selbst Clement und seine Frau kommen aus ihrem Verschlag, auch Spesh und Jerome lassen sich blicken, nur Joanna und Andy von der Bamba Maru sind nicht eingeladen, scheinbar gab es wohl gerade wieder Ärger mit Kish – wird uns auch noch treffen. Es wird viel getanzt, gelacht, geraucht und geflirtet, Mr. Charming ist ganz in seinem Element bei so vielen hübschen Frauen, Jerome kann sich immerhin zu einem Lächeln durchringen. Kish ist verärgert, weil die Herren aus Picard ihren Brüdern oder Cousins die Schau stehlen und zu wild mit den „White Laydys“ tanzen, Martin versucht Harry (USA) und Greg (CA) bei wummernden Ragee-Klängen Skat beizubringen, Meeresrauschen. Titus singt und genießt es Meggan beim Tanzen zuzuschauen aber seine Laune geht urplötzlich in den Keller als Bonti um die Ecke schaut, Palmen wiegen sich im Wind aber Christoph ist das trotzdem alles zu viel und geht lieber an den Steg angeln, Yellow referiert wieder über irgendetwas und merkt nicht mal, dass sein Gesprächspartner zwischendurch auf‘s Klo geht, Ganjageruch wabbert über den Strand und Levin (72, Rastafarai) erklärt mir, dass er noch genug Schwung in den Hüften hat um mit mir … naja, ihr wisst schon. Was für ein schlechter Anfang in den Tag, was für ein herrlicher Abend! In meiner Erinnerung wird das wie ein Abziehbild der Karibik bleiben.

Die letzte Juniwoche bricht an, Abschied nehmen rückt immer näher. Für mich selber sind diese Tage in der Mitte des Jahres aber noch aus einem anderen Grund besonders und schon von klein auf bedeutend: Meine zwei herzigen Brüder und ich haben innerhalb von vier aufeinanderfolgenden Tagen Geburtstag. Soweit ich mich zurück erinnern kann, habe ich keinen davon verpasst, in irgendeiner Konstellation haben wir mehr oder weniger ausschweifende Partys gefeiert. Für einen der Beiden ist es noch dazu ein runder Geburtstag und es stand lange die Idee im Raum, das Geburtstagskind auf die Selene einzuladen und auf den Azoren zu feiern … naja, Corona! So sehr ich unserer Reise genieße, an diesen beiden Tagen bin ich doch sehr traurig. Keiner der für Monate oder Jahre segeln geht, kann mir erzählen, dass er nicht doch hin und wieder seine Familie vermisst. Immerhin klappt es dann doch noch über die weite Entfernung und mit sehr sehr schlechter Internetverbindung (Ja, in Deutschland! Hier ist das kein Problem!) für einen kurzen Moment dabei zu sein. Falls ihr beiden das lest, ich hab euch lieb und wir holen das nach! Die Mama natürlich auch 😉

Und was machen wir mit meinem Geburtstag? Kann ja schnell nach hinten losgehen. Die Planung wollte ich Martin überlassen (ja, ich liebe Überraschungspartys, obwohl ich selbst noch nie eine hatte) aber ich merke schon vorher, dass ihm das große Sorgen bereitet, Angst ist wohl der bessere Ausdruck. Wir wissen ja nun, dass wir uns gehörig in die Nesseln setzen werden, egal wo, wie und mit wem wir feiern. Teuer darf es auch nicht sein aber das muss es ja auch gar nicht, um trotzdem besonders zu werden. Zwei Tage vorher ist nichts geplant. Wie es der Zufall will hat Andy von der Bamba Maru am selben Tag wie ich Geburtstag. Bei gerade noch 4 verbliebenen Yachten und den selben Kontakten an Land, ist schnell klar, dass wir das zusammen machen. Noch dazu ist seine Idee sehr charmant und vor allem günstig mit einem Minimum an Aufwand: Man besorgt ein oder zwei Flaschen Rum, setzt sich an den Strand, macht ein Feuer an und wartet einfach. Hat wohl so schon mehrmals gut funktioniert. Gesagt, getan, noch ein paar Fingerfoods und Stockbrotteig gemacht, Rum besorgt und Eismaschine eingepackt. Die Frage ist nur noch wo? Der Strand ist ja lang und er gehört auch keinem. Aus Andys Erfahrung spielt es theoretisch keine Rolle, denn alle umliegenden Bars profitieren im besten Fall davon. Wer vorbeikommen möchte kauft sich ein Bier oder zwei, schlendert entspannt ans Feuer und wenn das Getränk alle ist, holt sich jeder Nachschub … denkste! Kish hatte schon vorher von der Sache Wind bekommen und kurzerhand ein eigenes privates BBQ für die Crews von Bliss und Matriarch organisiert. Leider, leider könne sie das nun nicht mehr absagen, gleiches höre ich von der kanadischen und amerikanischen Crew. Sie hätte das auch gerne für uns arrangiert, aber wir wollen ja lieber am Strand vor PAYS und nicht vor ihrem Laden feiern … gut, da liegen unglaubliche 300 m dazwischen. Wir kümmern uns nicht weiter darum, denn jetzt muss erstmal Holz besorgt werden. Andy, Martin und Kenny, der hier gleich um die Ecke bei einem Baustoffhandel arbeitet, schichten einen großen Stapel Paletten, Bretter und Äste aufeinander. Schon gibt‘s das nächste Problem. Homti, der hier gleich am Strand lebt und enorm naturverbunden ist, bemängelt den Zustand des Lagerfeuers. Besonders die schädliche Rauchentwicklung beim Verbrennen der Paletten kann er gar nicht gutheißen, es wird ein zweiter Haufen aufgeschüttet. Eigentlich geht‘s darum, dass die Paletten Kenny besorgt hat und die beiden nicht gerade beste Freunde sind. Kenny grummelt, Homti hustet, Bonti möchte ne persönliche Einladung und Spesh ist auch mal wieder vex (verärgert). Es geht also richtig gut los, so wie man das vielleicht manchmal von daheim und dem Klein-Klein unter den Freunden/Familie/Bekannten kennt. Es kommen mehr und mehr Leute, Edison mit seiner deutschen Frau, Jan und Meggi, dazu einige Locals. Die meisten kenne ich und wenn nicht, dann sagt meist einer „das ist mein Cousin“. Der Rum löst die Stimmung, das Essen die verkrampften Mägen und als Andy und ich endlich das Bonfire anzünden haben sich fast alle lieb. Kenny darf Musik machen, Homti dreht die Box immer mal wieder rum, weils ihm zu laut ist und Spesh nimmt sich endlich auch was zu essen ohne dass man ihm das mehrmals aufdrängen muss. Die Sache mit dem Stockbrot scheint die richtige Ablenkung zu sein. Man kennt das hier nicht und so sind fast alle mit dem Verbrennen des Teigs beschäftigt. Andy hatte absolut recht behalten, der Abend war unglaublich schön, entspannt und lustig, besser als manches tagelang präzise geplante Event. Wir saßen beschwippst am Strand unterm Sternenhimmel, hatten Sand zwischen den Fußzehen, hörten das Rauschen der Wellen, das Säuseln des Windes, das Wogen der Palmen und das Knistern des Feuers, dazwischen Musik und viel Lachen von einer handvoll Leuten, die zum Ende unserer Zeit in Dominika für uns zu echten Freunden geworden sind.

Eigentlich könnte ich jetzt aufhören, der Abend war schon fast der perfekte Abschluss. Bis zur Abreise sind es aber noch 14 Tage und die waren alles andere als ereignislos. Da war zum Beispiel Kennys Einladung zum Essen. Er hatte den Abend mit uns am Feuer wohl auch so genossen wie wir, dass es ihm ein Anliegen, war für Joanna und Andy, Martin und mich und ein paar Freunde zu kochen. Chicken creol klingt sehr, sehr lecker und Mr. Link, wie er sich gerne nennt, hat sich mächtig ins Zeug gelegt. Bei solchen Einladungen, besonders wenn sie mich zu den Menschen in ihr zu Hause bringen, interessiert mich ja vor allem deren Hintergrund, ihre Geschichte. Kenny ist für mich eine absolute Ausnahmeerscheinung in Portsmouth. Zum einen ist er einer der wenigen, der so etwas wie eine Festanstellung hat und damit Steuern bezahlt. 80% aller Geschäfte laufen hier gegen Cash, also an der Steuer vorbei. Er hat vier Söhne, die er alleine großzieht. Von seiner ersten Frau ist er geschieden, die Mutter der zwei jüngeren ist kurze Zeit nach der Geburt gestorben. Ohne das Werten zu wollen aber für einen Großteil der männlichen Bevölkerung liegt deren Anteil an der Familiengründung im Wesentlichen beim Zeugen und das möglichst breit gefächert. Das Aufziehen wird dann meist den Frauen, auch mal der eigenen Mutter, Schwester, Cousine überlassen. Viele Kinder zu haben bedeutet für Männer Ansehen, für Frauen großen Kummer. Kenny ist da jedenfalls anders, drei seiner Jungs leben bei ihm, der vierte studiert in Kuba. Seine Wohnung, die er vom Staat bekommen hat, liegt gleich hinter dem Strand in einem brandneuen Wohnkomplex. Aber auch das ruft wieder Neider hervor, die sagen ein richtiger Mann hat Land und baut für seine Familie ein Haus ohne den Staat. Bei derlei Aussagen offenbart sich für mich die große Schwierigkeit, die in der Entwicklung von Staaten wie Dominika liegen. Einerseits wollen die Menschen ein Mindestmaß an staatlicher Fürsorge (Schulen, Straßen, Medizinische Versorgung, Katastrophenschutz, soziale Hilfen), auf der anderen Seite besteht ein unglaublich tiefes Misstrauen in staatliche Strukturen (Regierung, Wahlen, Steuersystem) und jeder Vorstoß zur Regulierung eines gemeinschaftlichen, solidarischen Zusammenlebens wird als massiver Eingriff in die Verwirklichung des eigenen Lebensideals gewertet (Rastkultur, nur Bares ist Wahres). Ich habe das Gefühl, es schmeichelt Kenny wohl am meisten, dass die beiden weißen Ladys so an seinen Kochkünsten interessiert sind und er es genießt so im Mittelpunkt zu stehen. Mal ganz davon abgesehen, ist seine Wohnung samt Einrichtung weit über dem Standard, den wir bisher gesehen haben. Irgendwann ist das Chicken fertig, es duftet unglaublich gut und seine drei Jungs kommen aus ihren Zimmern gekrochen. Aber zuerst müssen sich seine Gäste, also wir vier Deutschen, setzen. Am Tisch sind leider auch nur 4 Plätze vorhanden und Kenny will par tout nicht dazu kommen, obwohl wir alle zusammen rücken. Und dann wird es für mich ein wenig skurill, nee eigentlich tut mir unser Gastgeber ganz schrecklich leid. Anders als bei uns isst hier der Koch als letztes, so zu sagen das was übrig ist, wenn denn was übrig ist. Die Menge an Hühnchen, Reis und Kochbananen schien für 20 Personen zu reichen. Nachdem wir uns gut aufgetan hatten kamen seine Buben, packten sich die Teller randvoll und verschwanden wieder in ihren Zimmern. Gerade versichern wir Kenny, dass es ausgezeichnet war und wir wirklich, wirklich pappsatt sind kommen seine Freunde Edison und Jackson hereingeschneit. Ohne auch nur „Hallo“ oder „Wie gehts“ zu fragen, machen sie sich über den Rest her und ich sehe Kenny an, wie ihm der Zahn tropfte und der Magen knurrt. Mir ist das so so unangenehm und ich weiß gar nicht wie ich mich entschuldigen soll. Außer mich scheint das aber niemanden zu stören. Wir haben eh keine Zeit um Trübsal zu blasen, heute Abend hat seit Beginn der Corona-Krise endlich wieder das Paryboot geöffnet, alle Restriktionen sind aufgehoben, es darf wieder bis zum Morgengrauen getanzt und gefeiert werden.

Ob dies nun ein schöner Abend war der nicht, darüber gehen Martins und meine Meinung weit auseinander. Joanna und ich stürzen uns mit Kenny, Jackson und gefühlt weiteren hundert Leuten auf die winizig Tanzfläche im inneren des umgebauten Fischerbootes. Martin und Andy passen derweil für Stunden auf unsere Taschen auf – soweit ist eigentlich alles wie in Deutschland. Drinnen tanzen die Mädels, draußen drehen die Jungs Däumchen. Ok, ich gebe zu die Musik war laut, sehr laut, Krach trifft es wohl am Besten. Auch die Art zu tanzen ist … naja … gewöhnungsbedürftig. Im Wesentlichen geht es darum, dass die Damen ihren überwiegend gut ausgeprägten Popitz in ausladenden, oder sollte ich besser sagen einladenden, Bewegungen möglichst dicht und auf Höhe des Genitalbereichs ihres Tanzpartners bewegen, Tempo und Rhythmus nach Gusto. Die Herren bewegen sich dabei möglichst wenig und dirigieren das dargebotene Hinterteil nur ab und zu mit den Händen. Alter Falter, wo sind wir denn hier gelandet. Unseren tanzwütigen Begleitern gefällt das offensichtlich ganz gut, Joanna und ich zucken nur mit den Schultern. Man muss ja nicht jeden Quatsch mit machen und so sind wir wohl so was wie die Exoten auf der Tanzfläche. Aber mal ehrlich, auch wenn ich weit weg von Modelmaßen bin, habe ich nicht mal ansatzweise so einen ausgeprägten Booty (Hintern), um anständig Twerken zu können. Geshakert und geflirtet wird trotzdem wie wild, und meist auch gar nicht lange um den heißen Brei herum geredet (hier eher geschrien). So komme ich am Ende des Abends auf drei Heiratsangebote und könnte damit stolze Besitzerin von ca. 25.000 m² Land auf Dominika sein… erinnert mich ein wenig an Israel. Der Abend endet dann auch ziemlich aprupt und wie man das von jeder guten Dorfdisko kennt mit einer kleinen Schlägerei, Zeit nach Hause zu gehen.

Chaudier Pool und Milton Falls

Zwei Orte stehen noch auf meiner To-Do-Liste, bevor wir abreisen. Zum einen der Chaudier Pool und zum anderen der Milton Fall in Syndicate. Beide gehören zum festen Repertoire der meisten organisierten Touren, denn sie gehören zu den schönsten „Natural Spots“ im Norden der Insel.
Zum Chaudier Pool, der kurz vor Calibishie mitten in den Bergen liegt, mache ich mich recht früh morgens alleine auf den Weg. Mit dem Sammeltaxi (5 EC pro Fahrt) geht es bis nach Anse de Mai an die Nordküste. Ich frage den Fahrer, ob er vielleicht den kleinen Umweg über Bense fahren kann, denn das erspart mir gute 1 ½ Stunden Aufstieg auf asphaltierter Straße. Morgens um 9:00 Uhr ist es schon so warm, dass mir schon bei der kleinsten Steigung die Schweißperlen auf der Stirn stehen. Am Abzweig zum Chaudier Pool hüpfe ich aus dem Bus und folge der einzigen Straße in Richtung Berge. Vorbei an bunten Häusern, gepflegten Anwesen, Baustellen und verwilderten Gärten mit einfachen Holzhütten, verläuft der Weg etwa eine halbe Stunde bergauf und bergab. Dazwischen immer wieder herrliche Ausblicke auf den Atlantik und zum Massiv des Morne Diablotin. Ein großes unübersehbares Hinweisschild zeigt mir kurz darauf an, dass ich schon fast da bin. Aus dem Feldweg wird eine Buckelpiste, aber selbst diese wird von manchen Touguides befahren um die fußlahme Kundschaft bis hinunter zum Fluss zu bringen. Heute aber nicht, kein Mensch außer mir ist zu sehen. Mich begleiten nur die inzwischen gewohnten Geräusche aus dem Wald, das Trillern und Zschirpeen der Moutain Whistlers, Black-Swift, House Wren und Warbler, dazwischen schwirren wie immer Kolibris umher. War der Weg über den langen Berggrat noch heiß und sonnig, ist es jetzt auf dem letzten Stück talwärts herrlich schattig und kühl. Riesige Farne, Zedern, Mango- und Brotfruchtbäume, hundert Nuancen von Grün.

Man hört das Rauschen des Hampstead Rivers schon von weitem und dann tauchen die ersten kleinerern Pools zwischen den Bäumen auf. Um zum größten natürlich geformten Becken, dem „Chaudier Pool“ zu gelangen muss man sich ein kleines Stück flussaufwärts seinen Weg über die großen Steinblöcke suchen. Die Bilder haben nicht zu viel versprochen, was für ein riesiges Planschbecken. Eingerahmt von ca. 10 m hohen Felsen stürzt sich der Fluß über drei Kaskaden talwärts. Die Strömung hat die Steine so rund geschliffen, dass hier ein Rutsche entstanden ist. Wem das nicht aufregend genug ist kann von beiden Seiten aus drei oder 5 oder 10 m in das sehr tiefe und sehr klare Wasser springen. Ich lass das mal besser, so ganz alleine will ich lieber nicht riskieren, mich vielleicht doch irgendwo zu verletzen. Im angenehm kühlen Wasser von Pool zu Pool zu schwimmen, ist herrlich. Später kommt doch noch ein junges Pärchen vorbei, die einen Heidenspaß dabei haben, von den Felsen ins schäumende Wasser zu springen. Die Sonne stand schon lange hoch, es wird Zeit nach Hause zu gehen. Zurück am Abzweig in Bense wird mir gesagt, dass das letzte Sammeltaxi, welches hier oben durchfährt leider schon weg ist, ich muss also bis hinunter an die Hauptstraße. Es ist bereits nach 16:00 Uhr, 18:00 hat uns Kenny zum Essen eingeladen. An der Hauptstraße warte ich eine gefühlte Ewigkeit auf ein Sammeltaxi. Ich hüpfe schnell in den Minibus und denke dass ich in 20 Minuten zurück in Portsmouth bin. Nicht! Wir kommen an einer kleinen Rumbar in Dos D‘Ane vorbei und die Fahrgäste samt Fahrer beschließen hier erstmal einzukehren, na prima. So stehe ich etwas verzweifelt an der Straße und bin mir sehr sehr unschlüssig, ob ich es per Anhalter versuchen soll. Das Problem an der Sache ist, man weiß bzw. sieht einfach nicht, wer im Auto sitzt. Nahezu jedes Auto hat abgeklebte Fenster und selbst die Frontscheibe ist meist vollverspiegelt. Meine Rettung kommt in Gestalt von Kish‘s Lobbster-lieferant, den ich ein paar Tage zuvor in ihrer Bar getroffen habe. Er muss so wie so nach Portsmouth ausliefern und bringt mich netterweise direkt bis nach Lagoon.

Spesh hatte mir ja versprochen, dass er sich für die Party-Geschicht am Indian River irgendwie revanchieren wird und er hält sein Wort. Zum einen bekommen wir von ihm einen unglaublichen Berg an Obst und Gemüse, in etwa die Gesamtmenge, die wir ihm über die Zeit in Portsmouth vorher abgekauft haben. Zu dem Zeitpunkt war unser Plan, direkt nach Carriacou zu seglen. Er wusste, dass wir dann für 14 Tage in Quarantäne auf dem Schiff bleiben müssten und wollte sicher gehen, dass wir gut versorgt sind, einfach herzig. Die zweite Sache, die er mir versprochen hatte, war eine Tour zu einem Ziel meiner Wahl, mein Kostenanteil lag lediglich beim Tanken, bei 7 EC für eine Gallone also verschwinden gering. Meine Wahl fiel auf Syndicate, eine Hochebene an der Westflanke des Morne Diablotin Massivs. Von der Küstenstraße kurz vor Dublanc zweigt eine anfangs noch gut befahrbare Straße in die Berge ab und windet sich in vielen engen Kurven hinauf bis schließlich nur noch eine schmale unbefestigte Piste vor einem Schlagbaum endet. Speshy hatte mir schon öfter erzählt, dass er neben Barbwire noch einige Grundstücke besitzt, unter anderem in Calibishie und in Syndicate, ein Wasserfall würde ihm auch gehören. Nun ja, so ganz glaubhaft schienen mir seine Geschichten nicht immer. Ich staune nicht schlecht als er plötzlich den Schlagbaum öffnet. Mit einladender Handbewegung sagt er nur grinsend „Welcome to my Estate!“. Gut, auch das könnte jeder ausgefuchste Tourguide. Der Weg zum Milton oder auch Syndicate Fall ist aber gar nicht so leicht zu finden, viele Besucher biegen auf der Zufahrtsstraße viel weiter unten zum Syndicate Natural Trail ab, einem Nationalparkgelände. Anders als zum Beispiel am Jacko-,Spanny- oder Middleham Fall fehlt von diesem Abzweig jeglicher Hinweis auf den Wasserfall. Die beiden erstgenannten befinden sich zwar auch auf privatem Grund, aber hier verdienen die Eigentümer sich doch ganz gut was dazu und lenken die Besucher schon von Weitem zu ihrem „natural spot“.

Bis zum Flusslauf des Dublanc Rivers kann man den Weg nicht verfehlen, dann aber geht‘s über Stock und Stein, durch Gebüsch und Regenwald und selbst ein ganzes Stück im Fluss aufwärts. Der dichte grüne Bewuchs gibt erst spät den Blick auf den Wasserfall preis und beeindruckt dann um so mehr. Speshy erzählt mir, wie vertrackt die Eigentumsverhältnisse sind und dass er noch zwei Geschäftspartner hat, denen das Estate ebenfalls gehört. Normalerweise müsste er auch Eintritt verlangen, aber dazu müsste er wiederum jemanden beschäftigen, der den ganzen Tag am Eingang sitzt. Zur Zeit ist das absolut sinnlos, es kommt niemand. Auf dem Rückweg wählt er eine andere Strecke und wir kommen zu einer Lichtung am Fluß. Hier sind in mehreren großen Mangobäumen die Überreste von Baumhäusern zu sehen. Dieses Geschäft lief vor Maria ganz ausgezeichnet, die Baumhäuser waren gut gebucht. Dazu war ein Hochseilgarten geplant, aber der wurde bisher nicht genehmigt. Spesh‘s Pläne sind groß, in spätestens drei Jahren will er auch das Baumhaus-resort wieder aufgebaut haben. Um ehrlich zu sein, mein Respekt vor den Menschen hier auf Dominika ist immens. Gut, einerseits gehen sie manchmal ein wenig planlos vor und scheinbar ohne Priorität, andererseit lassen sie den Kopf auch nicht hängen und machen halt weiter bzw. fangen ganz von vorne an. Wenn ich wüsste, dass alles was ich aufbaue jedes Jahr wieder davongerissen werden könnte … ob ich die Kraft und den Willen dazu hätte?

Abschied nehmen

Den Gedanken an unseren letzten Abend schiebe ich lange von mir weg. Irgendwann hat aber alles ein Ende und man soll ja bekanntliche gehen, wenn es am schönsten ist. Wir wollen uns von all unseren Freunden und liebgewonnenen Menschen verabschieden und laden zum BBQ an den Strand ein. Die Wahl fällt dieses Mal auf Jardis Carebean Vibes Bar, mir ist es inzwischen egal, wem wir damit auf den Schlipps treten. Die Leute, denen wir wichtig sind, kommen auch so. Noch dazu ist Jardi die Ruhe in Person, scheinbar nichts bringt ihn aus der Ruhe, nie hat er sich in diesen Nachbarschaftskleinkrieg reingehängt. Direkt am Strand, das Meer vor Augen, karibische Musik vom Feinsten. Joanna und Andy, Jan und Maggi, Kenny, Spesh, Edison, Jackson, selbst Titus kommt vorbei. Für 45 EC habe ich heute morgen ein Tunfischsteak, wohlgemerkt EINS von ca 8.5lbs gekauft und mariniert, die anderen bringen Salat, Brot, Früchte und Rum mit. Mehr braucht man nicht. Über die Dauer des Grillvorgangs gibt es eine kleine Meinungsverschiedenheit. Spesh hat sich bereit erklärt, den Grillmeister zu geben. Die Hitze reicht aus, dass ich nach 3 Minuten anfange, die 5 cm dicken Thunfischsteaks zu wenden, wir mögens halt innen roh. Bei der Qualität des Fisches könnte man auch Sushi machen. Das stößt auf absolutes Unverständnis, wie eklig ist das denn! Na gut, wir machen zwei Varianten. Für uns die rosanen Stücken, für die Locals gegrillte Schuhsohle. Egal, geschmeckt hat‘s trotzdem. Aus den Augenwinkeln sehe ich Kenny mit Jardi an der Anlage rumfummeln und dann traue ich meinen Ohren kaum. Zu unseren großen Überraschung geben sich von dem Moment an die Jungs die Klinke bzw. das Mikrophon in die Hand und machen Free-Style-Musik: „This Song is dedicated to Claudia an Martin … „ Wie cool ist das denn! Joanna steht gerade neben mir und meint nur, dass soetwas hier nocht nie passiert ist. Dazu muss ich sagen, die beiden von der Bamba Maru sind schon viel viel länger als wir in Dominika, die 4. Saison glaube ich. Noch dazu engagieren sie sich mit einem eigenem Hilfsprojekt und über verschiedene Spendenaktionen für soziale Belange oder die Ausstattung von Schulen auf der Insel. Also wenn jemandem so ein Abschied bereitet werden müsste, dann den beiden. Ich bin wirklich gerührt. Kenny, der wohl auch irgendwie als Musikproduzent in seiner Freizeit arbeitet, gibt das Mic an Jackson weiter, dann zurück zu Kenny, Jardi macht auch noch mit, irgendwann darf Spesh dann auch, Edison trällert uns ein Lied, dann wieder Kenny. So geht das den ganzen Abend bis zum frühen morgen.

Ich kann gar nicht beschreiben mit wie viel Wehmut ich an diese Zeit zurückdenke und wie sehr ich diese Insel ins Herz geschlossen habe. Natürlich war nicht alles nur schön und auch im Paradies scheint die Sonne nicht immer. Den Ärger mit Jerome und Spesh hätte ich gerne vermieden, den Einbruchsversuch ebenfalls, oder den Kleinkrieg mit den Restaurantbetreiber. Auch der Ausgang unserer Spendenaktion und das verlorengegangene Vertrauen in Clement sind enttäuschend. Aber all das sind nur kurze Momentaufnahmen wenn in meinem Kopf unsere wunderbare Zeit auf Dominika in Spielfilmlänge abläuft. Es ist ganz normal und der Lauf der Dinge, dass es zu Konflikten oder Missverständnissen kommt, wenn man so lange wie wir an einem Ort bleibt und Teil der fremden Kultur wird. Natürlich muss man da hinein wachsen, sich hinein denken und fühlen, die eigenen Vorstellungen auch mal über Bord werfen und hinterfragen, warum Dinge anders laufen, als man es von zu Hause gewohnt ist. Aber ist nicht genau das der Reiz am Reisen? Auch um mit dem Kennenelernen anderer Kulturen oder Lebensweisen auch mal die eigene Sichtweise und Erwartung an das Leben zu überdenken? Kann man dankbar dafür sein wegen einer weltweiten Pandemie auf einer Insel festzusitzen? JA! Wenn die Insel Dominika heißt! Wir hatten so viele Freiheiten, waren im Gegensatz zu anderen Inslen so weing eingeschränkt und sind immer mit allem gut versorgt worden. Nie gab es einen Mangel an Essentiellem wie Essen, Wasser, Diesel oder Gas. Gastfreundschaft, Hilfe, Lachen und gute Kontakte gab’s obendrauf im Überfluss. Wir hatten so viel Zeit, diese Perle der Antillen zu entdecken, konnten uns so oft an der wunderschönen und beeindruckenden Natur berauschen. Wir sind durch Täler und über Berge gewandert, in türkisfarbenes Wasser und den Regenwald eingetaucht, haben die Erde kochen und das Meer brodeln gesehen. Geräusche, Gerüche, Farben, Klänge und Geschmäcker sind mir inzwischen vertraut geworden, Dominika fühlt sich für mich ein wenig wie ein zweites zu Hause an. Den wichtigsten Anteil daran haben aber wieder die Menschen, die uns in dieser Zeit begegnet sind. Und nein, nicht nur begegnet! Die vielen liebenswerten Menschen, die uns anfangs nur unterstützt und Zuversicht gegeben haben, die gastfreundlich und hilfsbereit waren, die manchmal auch einfach nur zugehört und uns später aus der Patsche geholfen haben, auch die die uns eine Lektion für’s Leben erteilt haben und alle die, die letztendlich zu Freunden geworden sind. Spesh, Kenny, Titus, Jerome, Joanna, Andy, Homti, Clement, Kish, Jeff, Jan & Maggi, Elvis, Edison&Silvia, Flanksy, Yellow, Levin … danke für alles. Nur eine Sache nehme ich euch allen übel, ihr habt mich nicht davor gewart, dass ein großes Stück von mein Herz auf Dominika bleiben wird.

Video in Spielfilmlänge:

4 Antworten auf „Dominika Teil 6 – Unvergesslich!“

  1. Hallo, ihr Lieben!
    Habt Dank für eure wahnsinng langen, interessanten und erlebnisreichen Bericht. Ich hab mehrere Tage zum Lesen gebraucht. Es war einfach phänomenal! Man fühlt sich, als wäre man dabei. Also, noch einmal, tausend Dank.
    Für die nächste Zeit wünsche ich euch alles Liebe nd Gute
    eure Evi

  2. Hallo ihr beiden,
    auch Opa Hannes und Oma Rosi sind von eueren Schilderungen total begeistert. Ich bin auch der Auffassung von Claudias Mutti, so etwas muß einmal unbedingt zu Papier gebracht werden und auch der Finanzvorschlag ist zu akzeptieren. Hoffentlich geht alles gut mit euerem neuen Liegeort und das was ihr euch dort vorgenommen habt. Wir können es auch nicht erwarten, bald wieder etwas von euch zu hören. Bis dahin wünschen wir euch alles Gute, recht viel Gesundheit und macht weiter so. Bei familiären Zusammentreffen mit Nancy gibt es kaum noch ein anderes Thema. Auch unsere große Tochter Antje ist hell begeistert.
    Nochmals alles Gute von Opa Hannes und Oma Rosi !

  3. Hallo Ihr beiden,
    bei den heimatlichen Temperaturen stellt sich sowas wie „Karibik-feeling“ ein, nur das kristallklare warme Wasser fehlt im Erzgebirge… Durch Euren neuen und wieder super geschriebenen Bericht und die tollen Fotos fühlt man sich mittendrin im Leben auf Dominica. Insbesondere haben es mir die Schilderungen des „ganz normalen Lebens“ inmitten der Locals angetan; soziokulturelle Einblicke vom Feinsten! Sowas müsst Ihr unbedingt in Buchform herausbringen, denn das kann man in keinem Reiseführer lesen.

    Und noch eine Anmerkung: Eure Reise wird ja nun, wie zu lesen ist, ein Jahr länger dauern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Reisebudget gleichermaßen mit wächst.
    Vermerkt doch mal Eure Kontonummer auf der Webside.! Vielleicht sieht das mancher Abonnent Eures Blogs so wie ich und würde einen kleinen Obolus für den Lese- und Videogenuss und die Exklusivberichte aus erster Hand locker machen. Netflix , Amazon , Sky usw sind ja auch nicht umsonst. Wer selbst Blogs schreibt oder Videos produziert, weiß, wieviel Wochen und Tage Arbeit darin stecken. Kleinvieh macht auch Mist! Und wenn wenigstens die Drinks in der jeweiligen Bar rausspringen , in der Ihr das WLAN anzapfen müsst beim Hochladen ins Netz. Da kommen sicher einige Stunden und einige Gläser zusammen; echte Produktionskosten ????!
    In Gedanken fahre ich weiter mit und freue mich schon heute auf den nächsten Bericht.
    Bleibt behütet
    Uta

  4. Viele Grüße aus der Heimat! Wir freuen uns, daß Ihr Euren Aufenthalt so erllebnisreich gestaltet und daß Ihr gesund seit. Ihr seit ja nun bald ein Jahr unterwegs. es ist erstaunlich, wie die Zeit dahinfließt. Großen Dank für den prima Bericht . Zu Hause außer der Hitzewlle nichts besonderes. Wir sind in Gedanken bei Euch! Erika und Friedrich

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